»Und zwischendurch haben Sie sich aus dem Kreis der Geladenen nicht entfernt?«
»Nun . ich .«
»Also haben Sie sich entfernt?« Japp glich einem Terrier, der auf eine Ratte losfahrt.
»Ich wei? nicht, was Sie meinen. Man rief mich wahrend des Dinners zum Telefon.«
»Wer rief Sie?«
»Inspektor, ich glaube, es ist ein Schabernack gewesen. Eine Stimme fragte: >Lady Edgware?< Und als ich antwortete: >Ja, personlich<, horte ich ein Lachen, und die Verbindung wurde unterbrochen.«
»Verlie?en Sie das Haus, um zu telefonieren?«
Wieder ri? Jane erstaunt die Augen auf.
»Aber nein!«
»Wie lange waren Sie vom Tisch abwesend?«
»Eine bis anderthalb Minuten.«
Jetzt erlitt Japp beinahe einen Kollaps. Ich war uberzeugt, da? er nicht ein Wort von ihrer Aussage glaubte, aber nachdem er sie angehort hatte, blieb ihm nichts anderes ubrig, als neue Erkundigungen einzuziehen, die das Gesagte entweder bestatigten oder widerlegten.
Mit einem kalten Dank zog er sich zuruck, und auch wir schickten uns an, aufzubrechen. Doch da klang Jane Wilkinsons bittende Stimme:
»Mr. Poirot, wollen Sie mir eine Gefalligkeit erweisen?«
»Gewi?, Madame.«
»Senden Sie ein Telegramm an den Herzog in Paris. Er wohnt im Crillon. Nicht wahr, er mu? uber das Vorgefallene unterrichtet werden. Und ich mochte ihm nicht selbst telegrafieren, da ich nach meinem Gefuhl ein oder zwei Wochen die einsame Witwe spielen mu?.«
»Das Telegramm durfte sich erubrigen, Madame«, sagte Poirot. »Die Zeitungen werden den Fall schnell genug und ausfuhrlich aufgreifen.«
»Habe ich nicht gesagt, da? Sie ein Pfiffikus sind? Naturlich wird er es aus den Zeitungen erfahren, und es ist viel besser, ihm nicht zu telegrafieren. Keinen Schritt, den man einer Witwe vielleicht vorwerfen konnte ...! Ob ich wohl fur George einen Kranz Orchideen bestelle? Es gibt doch keine kostbarere Blume.
Zu dem Begrabnis werde ich wohl auch gehen. Was halten Sie davon?«
»Als erstes werden Sie zu dem Untersuchungstermin gehen, Madame.«
»Wirklich?« Sie uberlegte ein paar Sekunden. »Ja, ich glaube, Sie haben abermals recht. Ach, wie mir dieser Inspektor von Scotland Yard zuwider ist! Er erschreckte mich zu Tode . Monsieur Poirot?«
»Madame?«
»Eigentlich ist es doch ein unsagbares Gluck, da? ich mich anders besann und doch noch an der Abendgesellschaft teilnahm.«
Poirot, der bereits zur Tur ging, wirbelte auf seinem Absatz herum. »Wie, was, Madame? Sie besannen sich anders?«
»Ja. Ich wollte ursprunglich absagen, da mich gestern nachmittag eine furchtbare Migrane befiel.«
Poirot schluckte, als sa?e ihm ein Klo? in der Kehle.
»Madame, haben Sie das irgend jemandem gegenuber erwahnt?«
»Mehreren gegenuber sogar. Ich sa? mit verschiedenen Freunden und Bekannten beim Nachmittagstee, die mich zu einer anschlie?enden Cocktailgesellschaft weiterschleifen wollten, worauf ich nein sagte und hinzufugte, da? ich wegen meiner Kopfschmerzen auch Sir Montague Corner eine Absage schicken wurde.«
»Und weshalb uberlegten Sie es sich dann doch anders?«
»Ellis setzte mir zu. Behauptete, da? ich Rucksichten zu nehmen habe. Gewi?, der alte Sir Montague halt viele Faden in seiner Hand und ist von einer sehr mimosenhaften Empfindlichkeit. Sehr rasch verschnupft, verstehen Sie? Gott, mir konnte das ja mehr oder weniger gleichgultig sein, denn sobald ich Merton heirate, stehe ich uber dem Ganzen. Ellis jedoch wahlt immer die vorsichtige Seite. >Zwischen Lipp' und Kelchesrand schwebt der dunklen Machte Hand< - das ist ihr Wahlspruch. Und vielleicht hat sie recht. Kurz und gut, ich lie? mich uberzeugen und ging hin.«
»Sie sind Ellis zu gro?er Dankbarkeit verpflichtet, Madame.«
»Ja, das scheint mir auch so! Jener brummige Inspektor hatte mein Fernbleiben doch unfehlbar ausgekundschaftet, wie?«
Sie lachte, aber Poirot stimmte nicht mit ein. Mit gepre?ter Stimme meinte er: »Trotzdem gibt einem dies alles heftig zu denken. Heftig, Madame!«
»Ellis!« rief Jane Wilkinson. Ohne Hast kam die Gerufene aus dem ansto?enden Zimmer herein.
»Mr. Poirot sagt, es sei ein wahres Gluck, da? du mich zur Teilnahme an dem gestrigen Dinner uberredetest.«
Ellis wurdigte Poirot kaum eines Blickes.
»Man pflegt einmal getroffene Verabredungen nicht in letzter Minute ruckgangig zu machen, gnadige Frau. Sie tun das ohnehin viel zu gern, und immer verzeihen es die Leute auch Ihnen nicht; sie werden murrisch und verstimmt.«
Jane nahm den Hut, den sie bei unserem Eintritt probiert hatte, und setzte ihn sich wieder auf das gewellte Haar.
»Ich hasse Schwarz«, klagte sie trubselig, »und trage es niemals. Aber als zuchtige Witwe habe ich keine Wahl. Scheusale sind diese Hute insgesamt. Rufe die andere Modistin an, Ellis. Ich kann doch nicht als Vogelscheuche herumlaufen!«
Und wahrend sie ihre Befehle erteilte, stahlen mein Freund und ich uns leise aus der Tur.
Reichlich eine Stunde spater lie? sich Inspektor Japp abermals bei uns blicken. Er warf seinen Hut auf den Tisch und verfluchte sich und seinen Beruf.
»Haben Sie Nachforschungen angestellt?« fragte mein Freund teilnahmsvoll.
Japp nickte duster.
»Sofern nicht funfzehn Personen lugen, kommt sie als Tater nicht in Frage.« Er lachte grimmig auf. »Und dabei schien es anfanglich klipp und klar zu sein, da? niemand als sie Lord Edgware getotet haben konnte. Sie ist die einzige Person, die Grund dazu hatte.«
»Das dunkt mich ein wenig vorschnell geurteilt. Mais continuez.«
»Ja, ich glaube an eine abgekartete Sache, Monsieur Poirot. Dies Theatervolk halt ja wie Pech und Schwefel zusammen, wenn es einen der ihrigen zu schutzen gilt. Aber so liegen die Verhaltnisse hier nicht. Die Gaste Sir Montague Corners waren alles gro?e Kanonen; keiner von ihnen unterhielt mit Jane Wilkinson freundschaftliche Beziehungen, einige lernten sie erst gestern abend kennen. Ihr Zeugnis ist unabhangig und glaubwurdig. Dann klammerte ich mich immer noch an die Hoffnung, da? sie eine halbe Stunde heimlich weggeschlichen sein konnte - Vorwande hatte sie schon gefunden: die Nase zu pudern, die Lippen zu malen . Aber nein sie stand tatsachlich nur vom Tisch auf, um einem Telefonanruf Folge zu leisten, wobei der Butler sie geleitete, neben ihr wartete und so Zeuge der gewechselten Worte wurde. Und der Mann bestatigt bis in die kleinsten Einzelheiten die Darstellung Lady Edgwares.«
»Ist es ein Mann oder eine Frau gewesen, die anrief?«
»Wenn ich nicht irre, eine Frau.«
»Sonderbar!«
»Gramen wir uns nicht um Nebensachlichkeiten!« sagte Japp ungeduldig. »Also der ganze Abend verflo? genauso, wie sie ihn uns geschildert hat. Um ein Viertel vor neun erschien sie, blieb bis halb zwolf und fuhr eine Viertelstunde spater vor dem Savoy vor. Ich habe den Chauffeur daruber befragt, und nicht nur er, sondern auch die Angestellten des Hotels geben die gleichen Zeiten an.«
»Eh bien, das ist doch uberzeugend genug.«
»Und die beiden in Regent Gate? Es handelt sich nicht nur um den Butler. Auch Lord Edgwares Sekretarin hat sie gesehen. Beide schworen bei allem, was ihnen heilig ist, da? es Lady Edgware gewesen sei, die um zehn Uhr das Haus betrat.«
»Wie lange bekleidet der Butler sein Amt schon?«
»Sechs Monate. Ubrigens ein schoner Bursche.«
»Auffallend schon. Wenn er aber erst sechs Monate dort dient, kann er Lady Edgware nicht erkannt haben,