»Mein Lieber, man hort doch allgemein, da? Stimme und Gang die kennzeichnendsten Merkmale sind!«

»Gewi?. Und deshalb auch jene, die am leichtesten nachgeahmt werden konnen. Lassen Sie Ihre Gedanken doch nur einige Tage zuruckwandern - bis zu jenem Abend, als wir im Theater .«

»Carlotta Adams ...? Poirot, aber dann ist sie ein Genie!«

»Eine wohlbekannte Person nachzuahmen, bietet die wenigsten Schwierigkeiten. Jedoch stimme ich mit Ihnen darin uberein, da? Miss Adams ungewohnliches Talent hierfur hat.

Ich glaube, sie konnte selbst ohne die Hilfe von Rampenlicht und Entfernung eine Tauschung durchfuhren.«

Ein toller Gedanke scho? durch mein Hirn.

»Um Gottes willen, Sie halten es doch nicht fur moglich ... Nein, nein, Poirot, das hie?e vom zufalligen Zusammentreffen allzuviel verlangen. Weshalb sollte uberdies Carlotta Adams Lord Edgware nach dem Leben trachten? Sie kennt ihn nicht einmal.«

»Woher wissen Sie, da? sie ihn nicht kennt? Setzen Sie nicht so keck einfach Dinge voraus, Hastings. Es mag sehr wohl zwischen ihnen ein Band bestanden haben, von dem wir nichts ahnen. Wohlgemerkt - das deckt sich nicht vollstandig mit meiner Theorie.«

»Sie haben also eine Theorie fertig?«

»Ja. Die Moglichkeit von Carlotta Adams' Mitwirkung fa?te ich von erster Stunde an ins Auge.«

»Aber Poirot .«

»Still, Hastings. Lassen Sie mich einige Tatsachen zusammenstellen. Bar jeder Verschwiegenheit, erortert Lady Edgware unverblumt die Beziehungen zwischen sich und ihrem Gatten und geht sogar so wert, da? sie davon redet, ihn toten zu wollen. Nicht nur Sie und ich haben dies gehort. Ein Kellner horte es, die Kammerfrau wird es wohl verschiedentlich gehort haben, ferner Martin Bryan und meines Erachtens auch Carlotta Adams. Rechnen Sie nun noch jene hinzu, denen es diese Leute weitergesagt haben. Ferner wurde an jenem Abend daruber gesprochen, wie unubertrefflich Carlotta Adams ihre beruhmte Kollegin nachzuahmen verstande. Wer aber hatte Grund, Lord Edgware zu toten? Seine Frau.

Nehmen wir nun einmal an, da? jemand anders Lord Edgware aus dem Weg zu raumen wunschte. Oh, welch herrlichen Sundenbock beschert ihm da das Schicksal! An dem Tag, als Jane Wilkinson verkundet, da? sie wegen einer heftigen Migrane den Abend ungestort fur sich verleben wolle, wird der Plan in die Tat umgesetzt.

Lady Edgware mu? gesehen werden, wie sie das Haus in Regent Gate betritt. Eh bien, sie wird gesehen. Sie enthullt sogar dem Butler gegenuber ihre Identitat. Ah, c'est un peu trop, 9a! Selbst ein Hammel mu?te da Argwohn schopfen.

Und ein anderer Punkt - zugegeben, ein sehr winziger Punkt.

Die Frau, die gestern abend bei Lord Edgware eindrang, war schwarz gekleidet. Jane Wilkinson aber tragt niemals Schwarz, wie wir aus ihrem eigenen Mund vernommen haben. Wenn nun jene geheimnisvolle Besucherin nicht Jane Wilkinson war, sondern eine Frau, die Jane Wilkinson verkorperte - hat jene Frau dann Lord Edgware getotet?

Oder stahl sich eine dritte Person ins Haus und vollbrachte die Tat? Erschien sie vor oder nach dem Besuch der vermeintlichen Lady Edgware? Erschien sie hinterher - wie erklarte die Frau dann Lord Edgware ihre Gegenwart? Den Butler, der sie nicht genugend kannte, und die Sekretarin, die sie nicht aus nachster Nahe sah, vermochte sie irrezufuhren; sie durfte aber wohl kaum hoffen, da? ihr dies auch bei dem Gatten gelingen wurde. Oder hat sie etwa in der Bibliothek nur noch eine Leiche angetroffen? Ist Lord Edgware bereits vor ihrer Ankunft getotet worden -etwa zwischen neun und zehn?«

»Halt, Poirot!« schrie ich. »Mir brummt schon der Kopf!«

»Nein, nein, mein Freund. Wir zahlen nur die Moglichkeiten her. Das gleicht dem Anprobieren von Kleidern. Pa?t dies hier? Nein, es schlagt Falten an der Schulter. Dies vielleicht? Ja, das pa?t besser. Wieder ein anderes ist zu kurz. Und so fort - bis wir die genaue Pa?form treffen: die Wahrheit.«

»Wem trauen Sie ein solches teuflisches Vorgehen zu?«

»Gemach, mon ami, so schnell la?t sich das nicht sagen. Man mu? weiter schurfen, wer wohl ein Interesse an Lord Edgwares Tod hat. Da ist naturgema? der Neffe, der ihn beerbt. Und trotz Miss Carrolls entschiedener Erklarung mu? man auch mit Feinden rechnen. Haben Sie bei unserer Unterredung mit Lord Edgware nicht den Eindruck gewonnen, da? er der Mann ist, der sich sehr leicht Feinde gemacht haben durfte?«

»Ja, unbedingt.«

»Eins steht jedenfalls fest: da? der Morder sich sehr sicher gewahnt hat. Bedenken Sie, Hastings, da? Jane Wilkinson ohne ihre Sinnesanderung in allerletzter Minute kein Alibi hatte. Der Beweis, da? sie sich aus ihren Raumen im Savoy-Hotel nicht entfernte, wurde schwierig, wenn nicht unmoglich gewesen sein. Man hatte sie verhaftet - und wahrscheinlich gehenkt.«

Mir rann ein eisiger Schauer uber den Rucken.

»Aber etwas verursacht mir Kopfzerbrechen«, fuhr mein Freund fort. »Der Wunsch, sie zu belasten, ist klar erkennbar -doch wie steht es mit dem telefonischen Anruf? Warum verlangte sie jemand zu sprechen, der - nachdem er sich uber ihre Anwesenheit vergewissert hatte - unverzuglich abhangte? Das geschah gegen halb zehn, mithin vor dem Mord. Der Anruf kann doch nur aus wohlmeinender Absicht erfolgt und nicht von dem Morder ausgegangen sein, der alle Faden gesponnen hatte, um Jane zu beschuldigen. Wer also rief an?«

Ich schuttelte den Kopf, aufs au?erste betroffen.

»Vielleicht war es ein blo?er Zufall«, wagte ich einzuwerfen, »ein zufalliges Zusammentreffen.«

»Nein, nein. Alles und jedes kann nicht ein einfaches Zusammentreffen gewesen sein. Sechs Monate zuvor wurde ein Brief unterschlagen. Weshalb?« Er seufzte. »Oh, es sind noch viele Punkte zu klaren! Erinnern Sie sich nur jener Geschichte, die Martin Bryan uns erzahlte ...«

»Mein lieber Poirot, die hat gewi?lich nichts mit diesem Mordfall zu schaffen.« »Sie sind blind, Hastings, blind und vorsatzlich dumm. Sie hat damit zu schaffen, und wenn wir jetzt auch noch im dunkeln tappen, so werden sich uns nach und nach die Zusammenhange doch entschleiern.«

Ich beneidete ihn um diese Siegeszuversicht, denn ich hatte eher das Gefuhl, als verwirrte sich mit jeder Stunde das Ganze mehr. Und in meinem Hirn summte und brummte es.

»Nein, ich halte Carlotta Adams dessen nicht fur fahig«, sagte ich unvermittelt.

Noch wahrend ich sprach, erinnerte ich mich jedoch an Poirots Worte uber die Liebe zum Geld. Liebe zum Geld . war das die Wurzel, aus der das scheinbar Unbegreifliche emporkeimte? An jenem Abend war Poirot von hellsichtigen Kraften erfullt gewesen. Er hatte Jane in Gefahr gesehen - die Folge ihrer sonderbar egoistischen Veranlagung. Und er hatte auch gesehen, da? Carlotta vielleicht einmal durch Habsucht vom rechten Weg abgelockt werden konnte.

»Ich glaube nicht, da? sie den Mord beging, Hastings«, horte ich jetzt neben mir seine Stimme. »Sie ist zu klug und berechnend dazu. Moglicherweise hat man es ihr uberhaupt verheimlicht, da? ein Mord geplant wurde. Unwissentlich und unschuldig mag sie als Werkzeug gebraucht worden sein. Aber dann .«

Er brach mitten im Satz ab, runzelte die Stirn.

»Doch auch so ist sie jetzt zur Mitschuldigen geworden. Und heute wird sie die Nachricht aus den Zeitungen erfahren, wird sich vergegenwartigen .«

Wieder ein unvollstandiger Satz. Und nun ein heiserer Schrei.

»Schnell, Hastings. Schnell ...! Ich habe eine Binde vor den Augen gehabt, ich Esel! Ein Taxi! Sofort!«

Ich starrte ihn verstandnislos an.

Er winkte sturmisch mit den Armen.

»Ein Taxi! Sofort!«

Da fuhr ein leeres voruber, und wir sprangen hinein.

»Kennen Sie ihre Adresse?«

»Wessen? Carlotta Adams'?«.

»Mais oui, mais oui. Schnell, Hastings. Jede Sekunde ist wertvoll.«

»Woher soll ich denn ihre Adresse kennen?«

Hercule Poirot stie? einen Fluch aus.

»Das Telefonbuch? Nein, ihr Name wird nicht darin enthalten sein. Also das Theater!«

Aber dort zeigte man sich nicht geneigt, Carlotta Adams' Adresse zu verraten, und es bedurfte Poirots ganzer mit Liebenswurdigkeit gemischter Hartnackigkeit, damit wir sie erfuhren. Dann jagten wir weiter, nach

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