»Wie viele Hausschlussel sind vorhanden?«

»Zwei«, erwiderte Miss Carroll prompt. »Lord Edgware pflegte den einen immer in der Tasche zu haben, wahrend der andere in der Halle liegt. Einen dritten Schlussel verlor liederlicherweise Hauptmann Marsh seinerzeit.«

»Verkehrt Hauptmann Marsh viel im Haus?«

»Bis vor drei Jahren lebte er mit uns zusammen.«

»Und warum zog er fort?«

»Ich wei? es nicht. Vermutlich vertrug er sich mit seinem Onkel nicht.«

»Mademoiselle, sollten Sie uber diesen Punkt nicht etwas mehr wissen?« entgegnete Poirot freundlich.

Sie warf ihm einen spitzen Blick zu.

»Ich bin keine Plaudertasche, Monsieur Poirot.«

»Trotzdem konnten Sie die unbestimmten Geruchte uber einen ernstlichen Zwist zwischen Onkel und Neffen klaren.«

»So ernstlich war der Zwist nicht. Bei einer weniger heiklen Natur wie Lord Edgware ...«

»Ah, sogar Sie sagen das?«

»Ich spreche nicht von mir, Monsieur Poirot; ich habe nie irgendwelche Mi?helligkeiten mit Lord Edgware gehabt.«

»Hauptmann Marsh hingegen . «, trachtete mein Freund sie zu weiteren Enthullungen zu veranlassen.

Miss Carroll zuckte die Achseln.

»Ihm sa? das Geld sehr locker in der Tasche; er geriet in Schulden. Aber der Grund, weshalb ihm Lord Edgware sein Haus verbot, mu? noch ein anderer gewesen sein. Mir ist er nicht bekannt.«

Ihr Mund schlo? sich zu einem schmalen Strich. Augenscheinlich beabsichtigte sie, nichts mehr zu sagen.

Das Zimmer, wo diese Unterredung stattfand, lag im ersten Stock. Als wir es verlie?en, fa?te Poirot meinen Arm.

»Halt, Hastings. Seien Sie so nett, hier oben zu bleiben, Japp und mich zu beobachten, wenn wir in die Bibliothek gehen, und uns dorthin nachzukommen.«

Schon lange habe ich es aufgegeben, Hercule Poirot mit Fragen zuzusetzen, die mit warum beginnen. Tu hubsch und brav nur deine Pflicht, und plage dich mit Fragen nicht! - dies Verslein schien man eigens fur mich ersonnen zu haben. Darum blieb ich folgsam stehen und guckte uber das Gelander.

Zuerst gingen mein Freund und Japp zu der Haustur, die au?erhalb meines Gesichtskreises lag. Dann tauchten sie wieder auf, mit langsamem Schritt die Halle durchquerend, und mein Auge haftete an ihren Rucken, bis sie in die Bibliothek verschwunden waren. Um die mir gestellte Aufgabe ganz gewissenhaft zu erledigen - auch wenn ich ihren Sinn nicht begriff -, wartete ich noch eine weitere Minute, ehe ich treppabwarts lief und mich wieder zu ihnen gesellte.

Lord Edgwares Leichnam hatte man naturlich schon entfernt. Die Vorhange waren zugezogen, und das elektrische Licht brannte. Poirot und Japp standen mitten im Zimmer und schauten umher.

»Nichts hier!« horte ich den Inspektor gerade sagen. Und der kleine Belgier erwiderte mit einem Lacheln:

»Freilich, weder die Zigarettenasche noch die Fu?spur oder ein Damenhandschuh - und nicht einmal der leichte Hauch eines Parfums. Nichts von dem, was in Detektivromanen zu finden ist.«

»Ja, die Polizei wird in allen diesen Geschichten immer so blind wie die Fledermaus geschildert«, erganzte Japp schmunzelnd.

»Ich entdeckte einmal einen Fingerzeig«, meinte Poirot versonnen, »an den niemand glauben wollte, weil er statt vier Zentimeter vier Fu? ma?.«

Jetzt glaubte ich das Ergebnis meines Postenstehens berichten zu mussen.

»Alles in Ordnung, Poirot. Wenn Sie vielleicht gedacht haben, da? der Butler oder sonst jemand vom Personal Ihnen nachspahte, so irren Sie sich. Ich habe niemanden gesehen.«

»Die Augen meines guten treuen Hastings!« klang es mit einem leisen Anflug von Spott. »Sagen Sie mir, mon cher, haben Sie die Rose zwischen meinen Lippen wahrgenommen?«

»Die Rose zwischen Ihren Lippen?« Japp prustete vor Lachen. »Bei Gott, Monsieur Poirot, Sie werden noch mal meinen Tod auf dem Gewissen haben! Eine Rose . ! Und was kommt nun dran?«

»Mich wandelte die Lust an, Carmen zu spielen«, erklarte der kleine Belgier ganz ungeruhrt. »Sie haben es also nicht bemerkt, Hastings?«

»Nein«, gab ich kleinlaut zu, weil ich einen Vorwurf in seiner Stimme zu horen glaubte. »Aber ich konnte Ihr Gesicht ja nicht sehen.«

»Na, einerlei!« Er winkte lassig mit der Hand.

»Jetzt mochte ich die Tochter noch einmal sprechen«, lie? sich der Inspektor vernehmen. »Sie war heute fruh zu aufgeregt, um eine vernunftige Aussage machen zu konnen.«

Er druckte auf den Klingelknopf und befahl, als der Butler erschien: »Fragen Sie Miss Marsh, ob sie mir einige Minuten gewahren will.«

Der Mann zog sich zuruck. Doch kurz darauf trat nicht er, sondern Miss Carroll uber die Schwelle.

»Geraldine schlaft«, sagte sie. »Das arme Ding hatte einen formlichen Nervenschock. Nach Ihrem Fortgang, Inspektor, gab ich ihr ein Beruhigungsmittel, und nun liegt sie im festen Schlaf. In zwei Stunden vielleicht, ja, Inspektor?«

Japp nickte zustimmend.

»Uberhaupt gibt es nichts, uber das ich Ihnen nicht ebensogut Auskunft erteilen konnte«, setzte die Sekretarin hinzu.

»Was halten Sie von dem Butler, Miss Carroll?«

»Er ist mir unsympathisch - das will ich nicht leugnen. Aber ich habe fur meine Abneigung keinen triftigen Grund. Gefuhlssache, Monsieur Poirot.«

Wahrend dieses letzten Gesprachs hatten wir die Haustur erreicht.

»Nicht wahr, dort oben haben Sie gestern abend gestanden, Mademoiselle?« Mein Freund wies die Treppe hinauf.

»Ja. Warum?«

»Und Sie sahen Lady Edgware quer durch die Halle zum Bibliothekszimmer gehen?«

»Ja.«

»Sie haben ihr Gesicht deutlich gesehen?«

»Gewi?.«

»Mais, Mademoiselle! Sie konnten es ja gar nicht sehen ... Von der Stelle aus, wo Sie sich befanden, konnen Sie nur ihren Hinterkopf gesehen haben.«

Miss Carroll errotete vor Arger.

»Ihr Hinterkopf, ihre Stimme, ihr Gang! Das lauft alles auf dasselbe hinaus. Vollig unverkennbar! Ich versichere Ihnen: ich wei?, da? es Jane Wilkinson war - die abgefeimteste, schlechteste Frau auf dem ganzen gro?en Erdball.«

Und nach diesem vernichtenden Urteilsspruch rannte sie die Treppe hinauf.

8

Japp riefen dienstliche Pflichten, indessen Poirot und ich in den Regent's Park einbogen und uns eine ruhige Bank suchten.

»Jetzt erkenne ich den Zweck Ihrer Rose zwischen den Lippen«, meinte ich lachend. »Zuerst freilich schwankte ich, ob Sie oder ich verruckt geworden seien.«

Mein Freund nickte voller Ernst, ohne in mein Lachen einzustimmen.

»Hoffentlich erkennen Sie auch, welch eine gefahrliche Zeugin die Sekretarin ist, Hastings. Gefahrlich, weil ungenau. Haben Sie gehort, wie sie anfanglich steif und fest behauptete, das Gesicht der Besucherin gesehen zu haben? Und ich hielt es gleich fur ausgeschlossen. Beim Hinauskommen aus der Bibliothek - ja: doch nimmermehr beim Hineingehen. Infolgedessen stellte ich meinen kleinen Versuch an und baute ihr dann eine Falle.«

»Aber ihren Glauben haben Sie doch nicht erschuttert«, wandte ich ein. »Und sind nicht schlie?lich Stimme und Gang einer Person auch unverkennbar?«

»Nein, nein.«

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