nennen: Sie nahm von meiner Anwesenheit keinerlei Notiz. Ich hielt sie fur sehr dumm und gewinnsuchtig.«

Poirot nickte. »Sie erwahnten soeben die Herzogin von Merton. Mademoiselle. Haben Sie sie oft gesehen?«

»Ja. Sie hat sich wahrend der letzten vierzehn Tage in der ruhrendsten Weise um mich gekummert. Vielleicht hatte ich ohne sie das Ganze gar nicht ertragen - die Vernehmungen, die Reporter, Ronald im Gefangnis . Ich wurde mir jetzt erst so recht bewu?t, da? ich keine wirklichen Freunde habe. Aber die Herzogin war unbeschreiblich gut, und auch ihr Sohn ist nett zu mir gewesen.«

»Mogen Sie ihn gern?«

»Er ist scheu und steif und schwer zuganglich. Doch da seine Mutter fast stets von ihm spricht, habe ich das Gefuhl, da? ich ihn besser kenne, als es eigentlich der Fall ist.«

»Ich verstehe. Wie gefallt Ihnen Ihr Vetter, Mademoiselle?«

»Ronald? Ich mag ihn sehr, sehr gern. Leider haben wir uns wahrend der letzten beiden Jahre wenig gesehen; aber als er noch bei uns im Haus lebte - ach, wie war das schon! Immer war er lustig und guter Dinge, immer zu einem Spa? aufgelegt. Wie ein Sonnenstrahl, der etwas Licht in unser dusteres Haus brachte, kam er mir vor.«

»Nicht wahr, Sie wunschen nicht, da? er gehenkt wird?« fragte Poirot, und ich zuckte ein wenig zusammen, weil mich die Frage roh und nebenbei recht uberflussig dunkte.

»Nein, nein«, gab das Madchen unter heftigem Zittern zuruck. »Oh, wenn es doch meine Stiefmutter gewesen ware! Die Herzogin sagt, sie mu? es gewesen sein.«

»Ja«, sagte mein Freund weich, »es ist ein Jammer, da? Hauptmann Marsh nicht drau?en bei dem Taxi stehenblieb, weil dann der Chauffeur beeiden konnte, da? er Ihr Haus nicht betrat.«

Sie neigte den Kopf. Die Tranen, die sie bislang muhsam zuruckgehalten hatte, liefen die blassen Wangen herab und fielen ungehindert in ihren Scho?. Poirot nahm behutsam die kleine, schmale Madchenhand.

»Ich soll ihn fur Sie retten, nicht wahr?«

»Ja, ja. O bitte, retten Sie ihn. Sie wissen nicht ...«

»Mademoiselle, Sie haben kein leichtes Dasein gehabt, ich wei? es sehr wohl«, unterbrach er sie ernst. »Nein, es ist bei Gott nicht leicht gewesen ... Hastings, wollen Sie fur Mademoiselle ein Taxi besorgen?«

Ich geleitete Geraldine Marsh hinunter. Sie hatte sich inzwischen gefa?t und dankte mir, als ich die Tur des Wagens schlo?, mit ein paar freundlichen, netten Worten.

Oben wanderte Poirot, die Stirn in zahllose Falten zerknittert, ruhelos im Zimmer auf und ab. Ich sah, wie unglucklich er sich fuhlte, und begru?te daher das laute Gellen des Telefons als eine willkommene Ablenkung.

»Hier Poirot. Ah, Sie sind's, Japp? Bonjour, mon ami.«

»Was hat er wohl zu melden?« flusterte ich, mich naher an den Apparat drangend.

Schlie?lich sagte Poirot, nachdem er sich eine geraume Zeit mit einsilbigen Ausrufen begnugt hatte:

»Ja, und wer holte sie ab?«

Die Antwort schien ihn zu enttauschen.

»Sind Sie sicher, Japp?«

».. «

»Comment?«

»Nein, es ist nur etwas unerwartet. Ich mu? mich umstellen.«

».. «

»Das ist gleich. Die Hauptsache, da? ich recht hatte, mon cher! Richtig, richtig, eine kleine Einzelheit.«

».. «

»Nein. Ich bin nach wie vor derselben Ansicht. Stellen Sie Nachforschungen in den Restaurants in der Nachbarschaft von Regent Gate und Euston an. Tottenham Court Road und vielleicht Oxford Street.«

».. «

»Ja, ein Mann und eine Frau. Und ebenfalls in der Umgegend des Strands, kurz vor Mitternacht. Comment?«

».. «

»Aber ja. Ich wei?, da? Hauptmann Marsh mit den Dortheimers zusammensa?. Es gibt doch au?er Hauptmann Marsh aber auch noch andere Leute in der Welt.«

».. «

»Dickschadelig ...? Tout de meme, tun Sie mir den Gefallen. Schon, schon. Also besten Dank im voraus.«

Er legte den Horer auf seinen Platz.

»Nun, was Gutes?« forschte ich ungeduldig.

»Wei? ich, ob es was Gutes ist? Jedenfalls aber wurde die Golddose in Paris gekauft. Auf eine briefliche Bestellung hin hat sie ein sehr bekanntes Pariser Geschaft angefertigt. Der Brief ist von einer Lady Constancy Ackerley unterzeichnet worden und kam zwei Tage vor dem Mord an. Die Dame betonte, da? die Dose mit Initialen und Gravierung am nachsten Tag fertig sein musse und abgeholt werden wurde, das hei?t also am Tag vor der Tat. Im ubrigen gibt es eine Lady Constancy Ackerley nicht, mein Lieber, der Name wurde wohl gewahlt, damit die Initialen passen sollten.«

»Und man holte die Dose tatsachlich ab?«

»Ja. Die Bezahlung erfolgte in Banknoten.«

»Wer holte sie ab?« erkundigte ich mich erregt, denn ich fuhlte, da? wir uns der Wahrheit naherten.

»Eine Frau, Hastings.«

»Eine Frau?«

»Mais oui. Eine Frau mittleren Alters, die einen Kneifer trug.«

Sprachlos schaute ich meinen Freund an. Aber auch dessen Weisheit war zu Ende.

25

Ich glaube, es war am dritten Tag nach diesem Besuch, als wir uns zum Lunch zu den Widburns nach Claridge begaben.

Weder Poirot noch ich legten auf diese Gesellschaft Wert. Aber nachdem wir bereits sechs Einladungen abgelehnt hatten, lie? uns die beharrliche Mrs. Widburn, die gern Beruhmtheiten bei sich empfing, zwischen so viel Tagen die Wahl, da? die Kapitulation unvermeidlich wurde.

Poirot zeigte sich seit dem Eintreffen der Pariser Nachricht au?erst wortkarg. Auf meine Bemerkungen gab er stets die gleiche Antwort:

»Da ist etwas, das ich nicht begreife.« Und ein- oder zweimal horte ich ihn im finsteren Selbstgesprach murmeln: »Ein Kneifer in Paris, ein Kneifer in Carlotta Adams' Handtaschchen ...«

Schlie?lich kam ich so weit, Mrs. Widburns Lunch als eine sehr gelegene Zerstreuung zu betrachten.

Der junge Ross befand sich auch unter den Eingeladenen. Er kam sofort auf mich zu, um mich mit ein paar lustigen Worten zu begru?en, und da Mrs. Widburn mehr Herren als Damen gebeten hatte, wurde er mein Tischnachbar.

Uns beinahe gegenuber sa? Jane Wilkinson und neben ihr der junge Herzog von Merton, wahrend die Hausherrin den Platz an seiner anderen Seite einnahm.

Bildete ich es mir ein, oder sah er wirklich etwas krank aus . ? Die Gesellschaft, die ihn umgab, konnte schwerlich seinen Neigungen entsprechen. Streng konservativ, um nicht zu sagen reaktionar, schien der junge Mann durch einen bedauernswerten Irrtum aus dem Mittelalter in unsere heutige Zeit versetzt worden zu sein, und seine Vernarrtheit in die moderne Jane Wilkinson war einer jener anachronistischen Scherze, in denen sich die Natur gefallt.

Beim Anblick von Janes Schonheit und unter dem Bann ihrer seltsam heiseren Stimme, die auch den abgedroschensten Satzen einen Charme verlieh, wunderte mich seine Unterwerfung freilich nicht. Allein man kann sich an die vollendetste Schonheit und die betorendste Stimme gewohnen! Es scho? mir durch den Sinn, da? vielleicht gerade eben ein Strahl gesunder Einsicht die Nebel berauschender Liebe zerteilte. Eine zufallige Bemerkung - eine ziemlich beschamende Blo?e, die sich Jane gab, rief diesen Eindruck hervor. Irgend jemand - wer es war, habe ich vergessen - hatte in der Unterhaltung die Redensart »das Urteil des Paris« gebraucht, und gleich darauf meldete sich Jane Wilkinsons kostliche Stimme.

»Paris?« sagte sie. »Auf Paris kommt es heutzutage nicht mehr an. Ma?gebend sind London und New York.«

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