telefonierte jemand nach Chiswick und hangte, als Lady Edgware an den Apparat kam, sofort ab?«

»Richtig, Poirot, richtig; so lauteten sie. Jetzt erinnere ich mich ganz genau.«

»Hastings, ich habe schon lange eine gewisse kleine Idee, wer der Mann war - der Mann hinter den Kulissen -, mit mir herumgetragen. Drei jener Fragen beantwortete ich, und die Antworten stimmen mit meiner kleinen Idee uberein. Aber auf zwei Fragen finde ich keine Antwort, mon cher.

Ich will Ihnen auseinandersetzen, was das bedeutet: Entweder bin ich auf ganz falschem Weg, sowohl was die Person als auch ihren Beweggrund zur Tat betrifft; oder die Antwort auf beide Fragen ist die ganze Zeit vorhanden, und ich sehe sie nicht.« Er erhob sich zum drittenmal, ging zu seinem Schreibtisch, schlo? ihn auf und nahm den Brief heraus, den ihm Lucie Adams anvertraut hatte. Dann legte er ihn vor sich auf die Platte und brutete uber ihm.

Minute reihte sich an Minute, aus ihnen wurden Viertelstunden. Ich gahnte und griff nach einem Buch, fest uberzeugt, da? Poirots Studium zu nichts fuhren wurde. Zu oft hatten wir den Brief bereits durchgelesen und waren nie schlauer dadurch geworden. Selbst zugegeben, da? er sich nicht auf Ronald Marsh bezog, so fehlte andererseits jeder Hinweis, wer sonst gemeint sein konne.

Lustlos blatterte ich die Seiten um ... duselte schlie?lich ein ... War es ein Schrei, der mich aufweckte?

»Hastings . !« Mit einem unbeschreiblichen Ausdruck sah Hercule Poirot mich an, die Augen grun und leuchtend. »Hastings!«

»Ja, was gibt's?«

»Wissen Sie noch, da? ich Ihnen sagte, wenn der Morder ein Mann von Ordnung und Methode gewesen ware, wurde er die Seite abgeschnitten und nicht abgerissen haben?«

»Ja?«

»Das war ein Irrtum! Ordnung und Methode herrschen durchweg bei diesem Verbrechen, mon cher. Die Seite mu?te abgerissen werden. Bitte, schauen Sie!«

Ich tat, wie er befohlen.

»Eh bien, sehen Sie's?«

»Meinen Sie, er sei in Eile gewesen?« fragte ich schuchtern.

»Eile oder nicht Eile - das kommt auf dasselbe heraus. Sehen Sie wirklich nicht, mein Freund? Die Seite mu?te abgerissen werden .«

Und wahrend ich ratlos den Kopf schuttelte, gestand Poirot mit leiser Stimme:

»Ich bin toricht gewesen. Und blind obendrein. Aber jetzt . jetzt ... wird's mit Riesenschritten vorwartsgehen.«

27

Eine Minute spater sprang er auf, und ich desgleichen - trotz meiner Ahnungslosigkeit zu allem bereit.

»Wir wollen ein Taxi nehmen, mon cher. Es ist neun Uhr, da konnen wir gerade noch einen Besuch machen.«

Geschwind eilte ich hinter ihm die Treppe hinab.

»Wohin soll's denn gehen?«

»Nach Regent Gate.«

Ich hielt es fur kluger, mich weiterer Fragen zu enthalten. Poirot, das merkte ich wohl, war nicht zu Auskunften aufgelegt. Als wir Seite an Seite im Auto sa?en, trommelten seine Finger eine aufgeregte, nervose Melodie, die nicht zu seiner gewohnlichen abgeklarten Ruhe pa?te.

Derweilen ging ich im Geist Carlotta Adams' letzten Brief durch, den ich fast auswendig kannte, und einmal uber das andere wiederholte ich mir auch Poirots Worte uber die abgerissene Seite. Aber nichts half ... nach wie vor blieb es mir unbegreiflich, Warum eine Seite durchaus abgerissen werden mu?te.

In Regent Gate offnete uns ein neuer Butler. Poirot fragte nach Miss Carroll, und wahrend wir zum Zimmer der Sekretarin emporstiegen, uberlegte ich mir zum funfzigsten Male, wo wohl der fruhere griechische Gott geblieben sei. Die doch gewi? findige Polizei hatte keine Spur von ihm entdecken konnen. Ein plotzlicher Schauder lief uber meinen Rucken, als mir einfiel, da? auch er vielleicht nicht mehr unter den Lebenden weilte .

Der Anblick Miss Carrolls, nuchtern, sachlich und augenfallig gesund, verscheuchte rasch diese finsteren Vorstellungen.

»Was fuhrt Sie zu mir, Monsieur Poirot?« erkundigte sie sich, und man horte, wie sehr sie dieser Besuch uberraschte.

Mein Freund wich einer klaren Antwort aus.

»Ich bin froh, Sie noch hier vorzufinden«, sagte er, wahrend er sich mit echt gallischer Ritterlichkeit uber ihre Hand beugte.

»Geraldine wollte nichts von meiner Abreise horen«, erklarte Miss Carroll. »Sie bat mich noch weiter zu bleiben. Und eigentlich braucht das arme Kind in diesen bosen Tagen auch jemanden und sei es auch nur, um einen Puffer zu haben. Ich kann Ihnen versichern, Monsieur Poirot, da? ich, wenn erforderlich, ein sehr tuchtiger Puffer bin.«

Ich glaubte es ihr ohne weiteres und stellte mir vor, mit welcher rucksichtslosen Kurze sie Reporter und Neuigkeitsjager vor die Tur gesetzt haben mochte.

»Mademoiselle, Sie sind mir immer wie ein Muster der Tuchtigkeit erschienen«, schmeichelte Hercule Poirot. »Und Tuchtigkeit stelle ich uber alles. Sie ist selten. Mademoiselle Marsh zum Beispiel verfugt uber keinerlei praktischen Sinn.«

»Sie ist eine Traumerin. Ein Segen, da? sie es nicht notig hat, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen!«

»Ja, wirklich.«

»Aber ich glaube kaum, da? Sie wegen dieser Frage hierhergekommen sind, Monsieur Poirot. Was kann ich fur Sie tun?«

Nach meiner Meinung behagte es Poirot, der etwas weitschweifige Umwege liebte, durchaus nicht, auf diese bundige Art nach dem Zweck seines Besuches gefragt zu werden.

»Ich mochte uber einige Punkte eine endgultige Klarung haben, Mademoiselle«, erklarte er, wohl einsehend, da? es Miss Carroll gegenuber kein Ausweichen gab. »Und Ihrem Gedachtnis kann man vertrauen.«

»Sonst wurde ich eine sehr schlechte Sekretarin sein«, erwiderte sie spitz und musterte ihn durch ihre Kneiferglaser.

»War Lord Edgware im vergangenen November in Paris?«

»Ja. Wenn Sie das Datum wissen wollen, werde ich nachsehen.«

Sie erhob sich, nahm aus einer Schublade ein kleines, gebundenes Buch und verkundete nach einigem Hin- und Herblattern: »Lord Edgware reiste am 3. November nach Paris und kehrte am 7. zuruck. Ferner unternahm er eine zweite Reise am 29. November, die bis zum 4. Dezember dauerte. Sonst noch etwas, Monsieur?«

»Ja. Aus welchem Grunde fuhr er?«

»Bei der ersten Gelegenheit beabsichtigte er den Ankauf einiger Statuetten, deren Versteigerung jedoch verschoben wurde. Die zweite Reise verfolgte keinen bestimmten Zweck, soviel ich wei?.«

»Begleitete Mademoiselle Marsh ihren Vater?«

»Sie hat ihn nie begleitet, Monsieur Poirot. Lord Edgware wurde an dergleichen nie gedacht haben. Au?erdem befand sie sich im November noch in einem Pariser Kloster, aber ich bezweifle sehr, da? ihr Vater sie aufsuchte.«

»Und Sie begleiteten ihn auch nicht?«

»Nein.« Und unvermittelt fragte sie ziemlich barsch: »Was sollen eigentlich diese Erkundigungen?«

Mein Freund tat, als hatte er die Frage nicht gehort.

»Nicht wahr, Miss Marsh ist ihrem Vetter sehr zugetan?« fuhr er fort.

»Wirklich, Monsieur Poirot, ich verstehe nicht .«

»Miss Marsh kam neulich zu mir. Wissen Sie das?«

»Nein.« Die Augen hinter den Glasern blickten ganz verdutzt. »Ich hatte keine Ahnung davon. Was sagte sie?«

»Sie erzahlte mir - obwohl nicht mit denselben Worten -, da? sie ihrem Vetter sehr zugetan sei.«

»Nun, warum fragen Sie mich dann noch?« »Weil mir an Ihrer Meinung liegt.«

Jetzt entschlo? sich Miss Carroll zu antworten.

»Meine Meinung ist, da? sie viel zu sehr an ihm hangt - von jeher schon.«

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