durch das transparente Zelt, das neun Zehntel der Oberflache Lansings schutzte, grune und goldene Flecken zu sehen. Er dachte an treibenden Schnee, goldfarbene Gase, die in der Kalte kristallisiert waren.

Das war Lansing, einst das stolze Herz des stolzen Himmels Gurtel, die einzige derartige Welt. Das selbstgeschaffene Okosystem hatte die Umweltbedingungen der Alten Erde wieder auferstehen lassen, und nur deshalb hatte die Bevolkerung den Krieg uberleben konnen.

Weil es als Herz und Zentrum ein Schaustuck gewesen war, mehr nicht. Er wu?te, da? Lansing bei der letzten Annaherung an Diskus der Piraterie anheimgefallen war, und fragte sich, wie es jetzt wohl aussehen mochte. Seine Mannschaft war nervos und feindselig. Er hatte den Mannern Anweisung gegeben, auch innerhalb des Asteroiden die Schutzanzuge anzubehalten, um sich vor moglichen Krankheitserregern zu schutzen — und um sich vor allen Tatlichkeiten der Eingeborenen zu schutzen, die bei einer direkten Konfrontation von Angesicht zu Angesicht geschehen konnten.

Sie setzten sich in Richtung auf die einzige Luftschleuse in Bewegung, die im Felsgestein uber den Schiffen zu erkennen war. Raul betrachtete die einsame Funkantenne auf der Kuppe eines nahe gelegenen kahlen Hugels. Sie wurde vom kalten Licht der fernen Sonne sparlich beleuchtet und versank in der Nacht, wahrend der Planetoid sich weiter drehte. Keine Lichter zur Warnung landender Schiffe blinkten an dem schlanken Mast. Sein Funker war au?erstande gewesen, Funkverkehr von Lansing zu empfangen. Er fragte sich, ob ihr Kommunikationsnetz vollkommen zusammengebrochen war, ob sie uberhaupt von der Landung seines Schiffes informiert waren… oder ob sie schon alle — eine unangenehme Vorahnung — tot waren.

Einer seiner Manner drehte das Rad, die Schleuse offnete sich. Die Manner hinter ihm warteten ohne Anzeichen von Spannung, Erleichterung oder Triumph daruber, ihr Ziel erreicht zu haben. Er horte lediglich unbehagliches Flustern und Murmeln, das er uber seinen Helmfunk empfing. Ihre Stille verbluffte ihn, bis er erkannte, da? auch er schwieg, als hatten Isolation und der Hauch des Todes, der Himmels Gurtel umgab wie dieses Zelt hier seine Welt, sie alle in ihren Bann geschlagen. Das Schleusentor schwang nach au?en. Raul betrat sie mit einem fluchtigen Gedanken an das Tor zur Holle, zur Unterwelt.

Die Schleuse schlo? sich wieder und ersetzte Vakuum durch Luft. Raul fuhlte, wie der Anzug seine Starre verlor, und sah sich fluchtig um, ob niemand ungehorsam seinen Helm offnete. Nach fast drei Megasekunden in kunstlich wiederaufbereiteter Luft wu?te er selbst nur zu gut, wie stark dieser Drang werden konnte. Er uberprufte seine Waffe, die er in der Armbeuge hielt.

Das innere Schleusentor glitt beiseite. Er blickte hinein — und mitten in die Gesichter von zwolf Mannern und Frauen, die sie ihrerseits unglaubig musterten. Sie hatten ihn nicht erwartet, erkannte er. Er trat in den Korridor vor und suchte die furchtsamen Gesichter nach dem eines moglichen Anfuhrers ab, sah Schmutz und zerrissene, behelfsma?ig geflickte Kleidung. Er horte die verblufften Fluche der Manner hinter seinem Rucken und hob daraufhin seine eigene Stimme. „Nun gut, wer…“

Eine Frau von unbestimmbarem Alter loste sich von der Gruppe und kam auf ihn zu; sie trug etwas in Lumpen Gehulltes, Tranen rannen uber ihre Wangen, die dunklen Augen musterten ihn eindringlich. Er horte eine zitternde Stimme: „… ein Wunder, es ist ein Wunder…“ Bevor er reagieren konnte, hatte sie ihm das Bundel in die Hand gegeben und war in einem Tunnel verschwunden. Er betrachtete das Bundel und sah ein neugeborenes Kind. Das Baby gab keinen Laut von sich. Als er den Grund erkannte, wandte er sich ab. „Wessen Kind ist das?“ Seine Stimme bekam einen harten, zornigen und verneinenden Klang.

Einer der Manner kam auf ihn zu, sein Gesicht zeigte immer noch Furcht, eine Art Verzweiflung trieb ihn voran. „Es ist meines… unseres. Bitte… bitte, geben Sie es mir wieder.“ Etwas in seiner Stimme machte aus dem Kind ein Ding. Er streckte einen Arm aus, der Armel glitt zuruck — er war bis zum Ellbogen aufgerissen. Schmutz war schwarz unter seinen Fingernageln zu sehen, er schwarzte auch seine Handlinien.

Raul hielt ihm das Kind unsicher hin. Der Vater ri? es ihm fast aus dem Arm. Er stie? sich unerwartet durch den Kreis der bewaffneten Manner zur Schleuse. Er warf das Baby hinein, schlug mit einer Hand auf die Kontrollplatte und begann, am Rad zu drehen.

Raul sah Sandoval vorwarts springen, aber der Mann versperrte mit seiner Gestalt den Zugang zur Schleuse, deren Tor sich langsam schlo?. Sandovals Hand umklammerte sein Hemd und ri? es fast in Fetzen, als er daran zog, doch der Mann stie? ihn mit einem Fu? beiseite. Gerade als Sandoval die Finger in den letzten Spalt schieben wollte, schlo? sich die Tur endgultig. Das grune Licht uber dem Tor wurde rot. „Warum…“ Sandoval fuhr herum, wahrend zwei seiner Manner den Mann in ihre Mitte nahmen.

„Sandoval!“ Raul hob eine Hand. „Das genugt! Das genugt… Es war ein… Gnadenakt. La?t ihn los.“

„Sir…“ Hinter dem Glas des Helmes konnte er Sandovals hilflose Wut sehen.

Raul schuttelte den Kopf und verdrangte die Erinnerung an seine eigenen drei Tochter und zwei Sohne, die mittlerweile alle erwachsen und gesund waren. Er sah, wie der Vater langsam gegen die Wand sackte, als die Manner ihn freigaben. Der Mann zupfte klagend an seinem zerrissenen Hemd, als sei der Ri? eine todliche Wunde.

Raul sah wieder in den Tunnel, in dem der Rest der Zuschauer verschwunden war. Unter dem zornigen Gemurmel der Mannschaft ging er auf ihren Gefangenen zu, durch einen Ring der Gesichter. Der Mann duckte sich und hob abwehrend eine Hand. „Ich mu?te es tun… ich mu?te es tun. Jemand mu?te es tun. Sie wu?te es, aber sie wollte es nicht zugeben. Jeder sagte das. Es ware ohnehin gestorben, oder nicht? Oder nicht? Sie sahen es, es war krank…“ Er senkte die Arme und umklammerte Rauls Armel. „Sie haben es gesehen?“

Raul widerstand dem Drang, die Hande wegzuschlagen. Er holte tief Atem. „Ja. Ich habe es gesehen. Es hatte nicht uberlebt.“

Der Mann klammerte sich wimmernd an seinen Armel. „Danke… danke…“

Raul schuttelte ihn unsanft, sowohl von Mitleid wie auch von Abscheu erfullt. „Wer sind Sie?“

Der Mann sah ihn verstandnislos und dumm an.

„Ihr Name“, sagte Raul. „Identifizieren Sie sich.“

„Wind… Wind Kitavu.“ Der Mann richtete sich auf, und als die Vernunft in seine Augen zuruckkehrte, lie? er Rauls Armel los. Alte Augen im Kopf eines jungen Mannes. „Wer… was machen Sie hier?“

„Ich stelle die Fragen. Zuerst — gibt es hier einen Fuhrer, und wenn ja, konnen Sie uns zu ihm bringen?“

Wind Kitavu nickte und sah mi?trauisch in die Mundungen von einem halben Dutzend Gewehren. „Der Premierminister, das Abgeordnetenhaus. Ich kenne die Sale. Ich werde Sie…“ Seine Finger suchten wieder nach dem Ri? in seinem Hemd und hielten die Halften nervos zusammen. „Sie sind nicht der…“ Raul sah die Frage in ihm aufsteigen, doch er schluckte sie wieder herunter. „Soll ich Sie hinbringen?“

Raul winkte seine Manner beiseite und lie? Wind Kitavu passieren. Er folgte ihm, und hinter ihm folgte die Mannschaft. Wie er bemerkte, war ein Bein des Mannes kurzer als das andere und verkummert. Die Tore zur Holle, das Zentrum Himmels.

Sie wurden nicht wie erwartet zur Oberflache gefuhrt. Wind Kitavu blieb in den unterirdischen Korridoren, wo Manner und Frauen sie stumpf beobachteten und alle Anzeichen von Furcht und Verwunderung, in der Hauptsache aber Verwirrung zeigten. Keine Bedrohung. Seine Benommenheit wich einem Gefuhl tiefer Depression. Eine Frau gesellte sich aus einer Nische zu Wind Kitavu. „… Sternenschiff…?“ Wind Kitavu schuttelte den Kopf, worauf sie sich wieder entfernte. Raul sah Verzweiflung in ihrem Blick, als sie an ihm vorbeikam. Sein Gefuhl des Elends wurde immer gro?er.

Auf seinen Befehl hin zeigte ihnen der Mann den Weg zum Kommunikationszentrum, und er schickte Sandoval mit zwei Mannern zu einer Uberprufung dorthin. Mit den anderen ging er weiter, wobei er sich standig fragte, was sie im Abgeordnetenhaus erwarten mochte.

Was er auch erwartet hatte, es konnte ihn nicht auf das vorbereiten, was er dann zu sehen bekam. Jemand hatte die Nachricht von ihrer Ankunft uberbracht: Sieben Gestalten standen wartend in dem Zimmer mit den groben Wanden, das er instinktiv als Lagerhalle und nicht als Versammlungszentrum erkannte. Die funf Manner und zwei Frauen wirkten in ihrer Staatstracht wie glitzernde Juwelen auf einem kahlen Felsuntergrund. Ein Mann nestelte immer noch an den Falten seiner Armel herum, wie Raul bemerkte. Der Mann, der ihnen am nachsten stand, trat nach vorn, sein Gang war wurdevoll, sein Gesicht ein Ausdruck erhabener Gewichtigkeit. Raul betrachtete die kostbaren Brokatgewander: Die Fasern absorbierten das Licht, brachen es und warfen es schillernd wieder zuruck. Trotzdem konnte er dazwischen immer wieder Flickstellen sehen. Das Gewebe war alt und vom Zahn der Zeit angenagt. Der Mann trug eine turbanahnliche Kopfbedeckung aus demselben Material; wo sein Gesicht und seine Hande sauber waren, hoben sie sich dunkel gegen den hellen Stoff ab.

Raul wartete stumm, bis der Abgeordnete ihn erreicht hatte. Die anderen Ratsmitglieder versammelten sich

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