„Schneller, als ich Himmel verandern konnte… Ist das nicht ironisch? Wir begannen hier mit allem und Morningside mit nichts… und nun sehen Sie, wer scheiterte.“
„Auch wir sind fast gescheitert — mehr als einmal.“ Bertha betrachtete die Wand, als konnte sie durch die Zeit selbst blicken. „Wie auch Uhuru und Hollenloch und Lebensraum. Aber wir bekamen Hilfe.“
„Von wem?“
„Gegenseitige Hilfe. Planeten wie Morningside sind so karglich, da? jede kleine Unregelma?igkeit einer Katastrophe gleichkommt… aber sie sind die zahlenma?ig am haufigsten unter den kolonisierbaren Welten. In unserem Raumsektor sind sie alle wie Morningside. Aber unsere Welten befinden sich innerhalb einer vernunftigen Reichweite. Wir grundeten einen Handelsring, und wenn es einem von uns schlechtgeht, dann greift der Rest helfend ein. So konnen wir uberleben. Mehr tun wir nicht, wir uberleben. Aber das genugt… und es mu? fur alle Ewigkeit genugen, jetzt, wo unsere Reise hierher ein Fehlschlag war.
Wir haben auch unser Ma? an Ironie, wissen Sie… Morningside wurde nach einem gro?eren politischen Aufstand auf der Erde kolonisiert. Unser nachster Nachbar, Uhuru, wurde von unseren ehemaligen ‚Feinden’ besiedelt, nachdem ihr eigenes Imperium auf der Erde gesturzt war. Not schafft festere Bindungen als die Politik dies jemals kann.“
Er lachte unvermittelt. „Wie wir funf ja am besten wissen sollten.“
Ihre Augen hielten ihn im Bann. Sie hatte einen Finger uber die Lippen gelegt.
„Wenn Sie vor dem Krieg gekommen waren, Bertha, dann konnten vielleicht sogar wir funf etwas ausrichten. Himmel hatte etwas uber Gemeinsamkeit und Teilen lernen konnen. Jetzt ist es zu spat, es ist nichts mehr da, das man teilen konnte.“
Sie verlagerte wieder ihr Gewicht, wobei sie leise stohnte. „Wa-die… Sie sagten einmal, das Wissen, das Himmels Technologie auf den Hochststand brachte, sei immer noch intakt. Wenn man die Schwerindustrie wieder aufbauen wurde, konnte das ein neuer Antrieb fur den Gurtel sein, und alles konnte wieder so sein wie vor dem Krieg. Sie sagten, schon die
Er horte ihre Stimme, die plotzlich vor Eifer lebhaft klang, als waren Schmerz und Kummer von ihr abgefallen, um sich auf ihn zu konzentrieren. „Das hatte ich auch gedacht. Aber ich habe mich geirrt.“
„Geirrt?“
„Unser Niedergang ist bereits zu weit fortgeschritten. Wir konnen uns nicht mehr erholen, der Tod ist eine Krankheit, die uns alle angesteckt hat. Wir konnen niemals mehr zusammenarbeiten, nicht einmal, um uns selbst zu retten.“
„Aber wenn man begreifen wurde, da? Hoffnung fur alle besteht…“
„Und wie wollen Sie ihnen das begreiflich machen? Sie haben doch am eigenen Leib verspurt, wie sie zuhoren.“ Er schlug mit der Hand auf die Bank. „Sie wurden nicht zuhoren!“
„Nein, das wurden sie nicht…“ Bertha begann kummerlich zu lacheln und schuttelte den Kopf. „Wadie Abdhiamal — wie konnte es soweit kommen? Sie sagen, sie werden nicht, ich sage, sie werden… Wie konnen wir uns gegenseitig besser verstehen, als wir uns selbst verstehen konnen?“
Er schuttelte den Kopf, ein Lacheln glattete seine Zuge, und wahrend er sie ansah, verflog sein sinnloser Zorn.
Ihre Hand glitt zogernd vom Tisch und beruhrte das Lederband an seinem Handgelenk. Er griff nach ihrer Hand, ihre Finger umklammerten einander, braun und bleich. Sie sah erst ihn ernst an, dann ihre Hande. Schlie?lich entzog sie ihm ihre Hand wieder und sagte leise, wie zu sich selbst: „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie heute noch unglucklich und unzufrieden.“
Flagschiff Einheit (Im Raum Lansing)
+ 3,00 Megasekunden
Doch die Meldungen, die er empfangen hatte, deuteten darauf hin, da? das Sternenschiff das System nicht direkt verlassen hatte, sondern seinem eigenen Kurs folgte und nochmals nach Lansing zuruckkehrte. Raul betrachtete das Instrumentenpult. Siebenundzwanzig-tausend Kilosekunden waren verstrichen, bis zur Ankunft bei Lansing blieben somit noch dreiundzwanzig Kilosekunden. Wie in der Fabel vom Hasen und der Schildkrote — verlangsamt durch die Last des gestohlenen Wasserstoffs, konnte das Sternenschiff niemals vor ihm in Lansing sein, wenn Lansing tatsachlich sein Ziel war. Aber warum sollte es? Warum sollten diese Au?enweltler fur Lansing Pirat spielen, wo sie bereits in den Ringen schwere Verluste erlitten hatten? Rache? Aber sie hatten die Destille mit Leichtigkeit zerstoren konnen: statt dessen stahlen sie nur tausend Tonnen Wasserstoff — zu wenig, um die Gro?e Harmonie entscheidend zu schwachen, aber auch zuviel fur ein schnelles Entkommen.
Und derjenige, der ihnen beim Diebstahl geholfen hatte, war Wadie Ahdhiamal… Wadie Abdhiamal vom Demarchy. Vom Demarchy zum Gesetzlosen erklart, wie Djem gesagt hatte, von seinem Volk zum Verrater gestempelt, da er dem Sternenschiff das Entkommen ermoglicht hatte. Und wenn es eine Tatsache gab, deren er, Raul, ganz sicher war, dann war es die, da? Abdhiamal mit Sicherheit kein Verrater war. Aber warum hatte er dann die Zukunft seines Volkes verraten? Er war vielleicht nicht der Vernunftigste, aber verruckt war er auch nicht. Warum bedrohte er Schnee-der-Errettung, wo er doch besser als jeder andere Demarchos wissen mu?te, da? das auch das Ende seines eigenen Volkes bedeuten konnte? Warum verriet er seine Freunde? Denn sie waren seine Freunde gewesen, und indem er sie verriet, hatte er sich selbst die einzige mogliche Zuflucht im Himmel-System vernichtet, die ihn aufgenommen hatte.
Vielleicht war er dazu gezwungen worden. Aber Djem hatte gesagt, Abdhiamal habe nicht wie ein Mann gehandelt, der unter Zwang steht… Raul wu?te, Djem wurde Abdhiamal nie verzeihen — wenn nicht aus anderen Grunden, so nur wegen des Verrats ihrer Freundschaft. War es das Schiff oder seine Besatzung, die einen Mann wie Abdhiamal dazu bringen konnte, alles aufzugeben? Vielleicht wurde er es nie erfahren. Aber das Schiff folgte ihnen nach Lansing…
Raul streckte sich und sah Sandoval an. Sandovals hakennasiges Profil zeigte eine Maske kompromi?loser Langeweile, wahrend er ein Romanband las. Ein guter Offizier, dachte Raul. Wenn er diesen Einsatz seines Schiffes fur nutz- und sinnlos hielt, lie? er es sich nicht anmerken. Raul behielt seine eigenen Zweifel und Spekulationen fur sich. Dreiundzwanzig Kilosekunden nach Lansing. Und vielleicht wurden sie doch nicht enttauscht werden…
Der Anblick von Diskus, bis fast zur Unkenntlichkeit zusammengeschrumpft, begru?te Raul, als er sich von der Luftschleuse abstie? und zur felsigen Oberflache des Landefelds von Lansing hinabschwebte. Er erinnerte sich daran, einmal zum Himmel des Demarchy aufgeblickt zu haben, wo Diskus nur ein winziges, helles Punktchen gewesen war, ein Stern unter vielen und auch so unerreichbar wie die Sterne. Er erinnerte sich an das Gefuhl von Isolation und Einsamkeit, das ihn damals erfullt hatte. Dieses Mal, zwar unsichtbar, aber immerhin doch in nachster Nahe, hatten sie ein Schiff im Orbit um Lansing, das fur ihre Sicherheit garantierte. Er bewegte sich vorsichtig, wahrend er auf die Handvoll Besatzungsmitglieder der gelandeten Schiffe wartete. Nach fast drei Megasekunden konnte er endlich wieder einmal samtliche Muskeln unter normaler Gravitationseinwirkung entspannen. Jenseits des Feldes lagen drei weitere Schiffe. Er studierte sie mit fluchtiger Neugier und erkannte, da? selbst Lansing jene elektronuklearen Raketen hatte, uber die die Gro?e Harmonie nicht verfugte. Aber gleichzeitig erkannte er, diese drei Schiffe waren so todlich, da? sie Gro?e Harmonie ohne sie wahrscheinlich besser dran war. Unter ihm (der kaum merkliche Sog der Gravitation hatte ihm dieses Wort eingegeben) waren