„Bertha… ich wurde gerne mit Ihnen sprechen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Ich habe Ihnen einiges zu sagen.“ Er betrat das Zimmer.

„Schon gut, Abdhiamal.“ Ihre Augen glitten zu seinem Handgelenk, wo er Welkins Reif trug. „Ja, vielleicht sollten Sie das tun.“ Ihr Gesichtsausdruck veranderte sich. „Aber sagen Sie mir zuerst, wie es Clewell geht. Bekommt ihm die Beschleunigung?“

„Ich glaube schon. Er ist sehr schwach, aber er ist kein Narr…“ Und la?t sich nicht zum Narren machen. Plotzlich erfullte ihn Bewunderung fur den alten Mann. „Ich glaube nicht, da? ich das Recht hatte, hier zu sein, wenn ich nicht der Meinung ware, da? es ihm verhaltnisma?ig gut geht… Aber was ist mit Ihnen? Was wollen Sie beweisen? Warum, zum Teufel, ruhen Sie sich nicht ein wenig aus…“ Er schwieg, da er nicht wu?te, weswegen er eigentlich so zornig war.

Ihre aufgesprungenen Lippen verzogen sich. „Weil ich lieber erschopft als ganz tot bin. Und ja, ich versuche etwas zu beweisen.“ Sie zeigte zum Computerterminal, wobei ihr Gesicht sich wieder entspannte. „Ich wei? nicht, ob ich Ihnen das erzahlen soll, aber… wir haben eine Wasserstoff- und Heliumspur entdeckt, leicht rotverschoben. Ich halte es fur einen Fusionsantrieb, der von uns wegzeigt. Gegenwartig ist er immer noch drei?ig Millionen Kilometer hinter uns zuruck — aber wir werden verfolgt.“

„Sie konnen einen Antrieb auf diese Entfernung entdecken? Ihre Instrumente sind besser als unsere.“ Wieder war er beeindruckt.

„Sind sie das? Gut… Aber mit diesen Wasserstoffkanistern im Schlepptau konnen wir uns nicht schneller bewegen als unsere Verfolger. Ich will wissen, ob diese Schiffe vom Demarchy oder von Diskus kommen. Und wenn sie vom Demarchy stammen — was haben sie Ihrer Meinung nach fur eine Mission? Wollen sie immer noch das Schiff in ihren Besitz bringen, oder sind sie hinter uns her, um uns zu vernichten?“

Er stemmte sich auf den Tisch, wobei ihm sein Muskelkater wieder zu schaffen machte. „Gute Frage. Die Schiffe stammen aus dem Demarchy. Niemand sonst hat so was noch zur Verfugung. Die Ringbewohner haben nur noch gewohnliche Flussigtreibstoffraketen.

Unsere Schiffe — die des Demarchy — gehoren teilweise den machtigsten Gesellschaften, aber in Zeiten nationalen Notstands’ unterstehen sie direkt dem Demarchy, was bedeutet, da? MacWongs Geschichte, ich konnte Sie den Ringbewohnern ausliefern, offenbar gut angekommen ist…“ Er schwieg. „Er wu?te, es war eine verdammte Luge, und da ich ihn kenne, wurde ich sagen, er will das Schiff immer noch haben. Und das war die einzige Moglichkeit, die sich ihm bot, Ihr Schiff doch noch zu erreichen.“

„Aber er mu? doch wissen, da? wir ihm immer noch entkommen konnen, zumal wir ja jetzt neuen Treibstoff haben, auch wenn wir uber Lansing nochmals anhalten. Wenn sie ein Wendemanover ausfuhren mussen, um sich an unsere Geschwindigkeit anzugleichen, dann werden wir schon lange bevor sie uns erreichen wieder verschwunden sein. Wenn sie nicht verlangsamen, dann schie?en sie an uns vorbei… und dann konnten sie uns hochstens noch im Vorbeifliegen vernichten.“ Sie tappte nervos mit den Fingern auf die Tischoberflache.

Er nickte. „Das wei? er auch. Aber er will dieses Schiff intakt fur das Demarchy haben, und er ist nicht derjenige, der alles fur Gold nimmt, was glanzt. Er hat etwas vor, aber ich komme nicht dahinter, was.“

„Wenigstens wissen wir, da? sie da sind, und sie wissen nicht, da? wir es wissen. Wenn sie glauben, den Abgrund durch den Uberraschungseffekt uberbrucken zu konnen, dann haben sie sich getauscht.“ Sie rutschte in ihrem Sessel hin und her und stutzte sich schlie?lich schwer auf den Tisch. „Wenn wir mit dem Bremsmanover beginnen, werden wir ja sehen, ob sie das auch machen. Und selbst wenn sie nicht verlangsamen… nun, hangt davon ab, was Sie mir uber die Reichweite ihrer Waffen erzahlen konnen. Ich glaube, wir konnen immer noch lange genug uber Lansing bleiben, um den uberflussigen Wasserstoff abzuladen — und dann ohne zu zogern im rechten Winkel zu ihnen beschleunigen. Wenn sie den Kurs andern, werden wir unwiederbringlich aus diesem System verschwunden sein.“

„Unwiederbringlich verschwunden sein. Und wir werden…“ Er betrachtete ihr kraftiges und doch zartes Gesicht und fragte sich, wie er es je fur ausdruckslos hatte halten konnen. Er verspurte den plotzlichen Drang, es zu beruhren.

Das Erkennen seines Wunsches farbte ihre Wangen. Sie sah seltsam zu ihm auf, fast einladend, und hob eine Hand. „Setzen Sie sich, Abdhiamal… Wadie Abdhiamal. Ohne uns… ja, ohne uns werden Sie besser dran sein.“

Er lie? sich auf den gepolsterten Stuhl sinken, nachdem er ein paar Kleider beiseite gesto?en hatte. „Bertha, es gibt keine Entschuldigung fur das, was wir Ihnen angetan haben. Und wenn ich bedenke, was ich Ihnen aus reiner Dummheit personlich angetan habe… Mein Gott, ich hatte Sie fast… umgebracht. Alles, was ich gesagt habe, ohne zu wollen…“

Ihre Hand gebot seinen Worten Einhalt. „Ich wollte ebenfalls nicht Ihr Leben ruinieren, Wadie… Ich bin Ihnen genausoviel schuldig wie Sie mir. Mehr. Ist es schon zu spat, alles zu regeln?“

Er lehnte sich zuruck und pre?te den Kopf gegen die Wand, sein Blick war fest auf sie gerichtet. „Es ist nie zu spat. Aber… ich kann meinen Gefuhlen nie gut Ausdruck verleihen, Bertha. Ich kann sie mir selbst ja kaum eingestehen.“ Er atmete tief ein. „Plotzlich erkenne ich eine ganze Menge Dinge, die ich andern will. Aber wir haben so wenig Zeit…“ Er brach ab. Wieder spurte er die Gegenwart der Geister. „Dieses Bild dort druben — ist das Eric neben Ihnen?“

Sie war uberrascht. Ihre Zuge glatteten sich, sie nickte. „Er war mein erster Ehemann. Er war auch eine Art — Verhandlungsfuhrer, ein Sprecher. Wir waren acht Jahre lang monogam, bevor wir in Clewells Familie einheirateten.“

„Und Sie haben Kinder?“

„Zwillinge, Richard und Kirsten, der Junge und das Madchen vor mir. Sie sind jetzt etwa elf…“ Sie lachelte. „Es sind alles meine Kinder, aber die Zwillinge brachte ich zur Welt. Sie tragen meinen Namen. Alle sieben Kinder, die noch zu Hause sind, sind bei meiner Familie.“

„Sie haben Ihre Kinder zuruckgelassen…“ Er zwang sich selbst zum Schweigen, bevor er sie wieder verletzen konnte. Wir verandern uns, aber die Veranderungen kommen immer zu rasch… und zu spat. Und es dauerte nur noch hundert Kilosekunden, bis sie Lansing erreicht haben wurden.

Sie betrachtete ihn verwirrt. „Ja, wir haben sie bei meinen Eltern auf der Baumfarm gelassen.“ Verstehend fugte sie dann noch hinzu: „Wenn man auf Morningside aufgewachsen ist, ist die halbe Welt die eigene Familie. Man hilft sich, erzahlt sich Geschichten, arbeitet zusammen… es gibt immer einen, der sich uber einen Besuch freut. Wir haben unsere Kinder nicht weggegeben, wenn es auch schmerzlich ist, da? sie ohne uns soviel alter werden. Aber wenigstens Clewell und ich werden noch sehen, was aus ihnen geworden ist…“ Sie senkte den Blick und legte die Papiere zurecht. In ihren Augen sah er mehr als nur den physischen Schmerz.

„Shadow Jack und Bird Alyn… riskieren Sie ihretwegen soviel, um einer sterbenden Welt noch ein paar Sekunden mehr zu verschaffen?“

Sie zogerte. „Ich wei? es nicht. Ich hatte nicht daran gedacht… aber ich glaube schon. Ich wunschte… ich wunschte, ich wurde wissen, wie ich noch mehr tun kann.“

„Also wissen Sie Bescheid? Wie es auf Lansing aussieht?“

Sie nickte.

„Ich mache mir daruber keine nennenswerten Gedanken, mu? ich zugeben. Ich habe mir buchstablich jede Chance auf etwas Besseres weggeredet.“ Er lachelte. „Aber ich bereue es nicht. Es diente einem guten Zweck.“

Sie hob eine Tasse auf und stellte sie wieder hin. „Was werden Sie auf Lansing tun, Wadie?“

Er lachelte, als er seinen Namen horte, doch das Lacheln erlosch, als er daruber nachdachte. „Dasitzen und auf das Ende der Welt warten, vermute ich. Das Ende aller Welten. Nicht mit einem spektakularen Knall, sondern mit einem unhorbaren Seufzen.“

„Das mussen Sie nicht, daruber sind Sie sich ja im klaren.“

Er fuhlte ihre Beruhrung. Er schuttelte den Kopf. „Vielleicht nicht. Vielleicht ist das die Strafe dafur, da? ich immer vorgegeben habe, es gabe ein Morgen.“

„Und das glauben Sie nicht?“

„Ich wei? nicht.“ Er zuckte die Achseln. „Ich wei? nicht mehr, was ich glaube.“ Er wu?te nur, da? er sich in einem riesigen Mausoleum befand und Angst hatte, dem Tod ins Gesicht zu blicken. „Aber ich gehore hierher, zum Himmel, wenn das einen Sinn ergibt. Es jagt mir hollische Angst ein, und trotzdem mu? ich es bis zum Ende durchstehen. Trotzdem danke.“ Er sah ihr unzufriedenes Lacheln.

„Sie konnen Ihre Meinung immer noch andern.“

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