Ha? und ihre Leidenschaft fur Gerechtigkeit und Ordnung schienen die bestimmenden Gefuhle in ihrem Leben zu sein, soweit man sie nach ihren Handlungen beurteilen konnte.

Und dies war das einzige Mal, da? Karellen zornig geworden war oder wenigstens zornig gewirkt hatte. „Sie konnen einander toten, wenn Sie wollen“, hatte die Botschaft gelautet, „das ist eine Sache zwischen Ihnen und Ihren eigenen Gesetzen. Aber wenn Sie, au?er fur Nahrung oder in Selbstverteidigung, die Tiere toten, die Ihre Welt mit Ihnen teilen, dann sind Sie mir verantwortlich.“

Niemand wu?te genau, wie umfassend dieses Verbot war oder was Karellen tun wurde, um es durchzusetzen. Sie brauchten nicht lange zu warten.

Die Stierkampfarena war vollbesetzt, als die Matadore und ihre Begleiter in festlichem Zuge hereinkamen. Alles schien wie gewohnlich zu sein. Das helle Sonnenlicht glanzte auf den traditionellen Trachten, die gro?e Zuschauermenge begru?te ihre Lieblinge, wie sie es Hunderte von Malen getan hatte. Aber hier und dort blickten besorgte Gesichter zum Himmel auf, zu dem fernen Silberschiff, das funfzig Kilometer uber Madrid schwebte.

Dann hatten die berittenen Stierkampfer, die Picadores, ihre Platze eingenommen, und der Stier war schnaubend in die Arena gesturmt. Die mageren Pferde, deren Nustern sich vor Schrecken blahten, drehten sich im Sonnenlicht, als ihre Reiter sie zwangen, auf ihren Feind loszugehen. Die erste Lanze blinkte auf und traf, und in diesem Augenblick erscholl ein Ton, wie man ihn noch nie auf der Erde gehort hatte.

Es war ein Ton, als ob zehntausend Menschen vor Schmerz uber die gleiche Verwundung aufschrien, zehntausend Menschen, die, als sie sich von dem Schreck erholt hatten, merkten, da? sie selbst vollig unverletzt waren. Aber dies war das Ende jenes Stierkampfes und aller Stierkampfe uberhaupt, denn die Nachricht verbreitete sich schnell. Es ist erwahnenswert, da? die Zuschauer so erschuttert waren, da? nur einer von zehn sein Geld zuruckverlangte, erwahnenswert auch, da? der Londoner „Daily Mirror“ die Sache noch schlimmer machte, indem er vorschlug, da? die Spanier Kricket zum Nationalsport wahlen sollten.

„Sie mogen recht haben“, erwiderte der alte Waliser. „Vielleicht sind die Beweggrunde der Overlords gut, je nach ihrer Lebensweise, die in mancher Hinsicht der unseren entsprechen mag. Aber sie sind Eindringlinge. Wir haben sie nie gebeten, herzukommen, unsere Welt auf den Kopf zu stellen und Ideale zu zerstoren, ja Nationen, fur deren Schutz Millionen von Menschen gekampft haben.“

„Ich gehore einer kleinen Nation an, die fur ihre Rechte kampfen mu?te“, gab Stormgren zuruck. „Dennoch bin ich fur Karellen. Sie konnen ihn argern, Sie konnen sogar die Verwirklichung seiner Ziele hinauszogern, aber das wird auf die Dauer keinen Unterschied machen. Zweifellos sind Sie aufrichtig in Ihrem Glauben. Ich verstehe Ihre Befurchtung, da? die Traditionen und Kulturen kleiner Lander uber den Haufen geworfen werden, wenn der Weltstaat kommt. Aber Sie haben unrecht: Es ist nutzlos, sich an die Vergangenheit zu klammern. Schon bevor die Overlords zur Erde kamen, war der souverane Staat im Untergehen; sie haben sein Ende nur beschleunigt. Niemand kann ihn jetzt retten, und niemand sollte es versuchen.“

Es kam keine Antwort. Der Mann ihm gegenuber regte sich nicht und sprach auch nicht. Er sa? mit halbgeoffneten Lippen da, und seine Augen waren jetzt blind und leblos. Die andern um ihn her waren ebenfalls regungslos, in gezwungenen, unnaturlichen Haltungen erstarrt. Mit einem Laut des Entsetzens sprang Stormgren auf und ging rucklings zur Tur.

Die Stille wurde plotzlich unterbrochen. „Das war eine gute Rede, Rikki. Ich danke Ihnen. Jetzt konnen wir, glaube ich, gehen.“

Stormgren drehte sich auf den Fersen herum und starrte in den dunklen Gang. In Augenhohe schwebte dort eine kleine unscheinbare Kugel, ohne Zweifel die Quelle der geheimnisvollen Kraft, die die Overlords eingesetzt hatten. Man konnte es kaum mit Sicherheit sagen, aber Stormgren bildete sich ein, ein leises Summen wie von einem Bienenkorb an einem schlafrigen Sommertag zu horen.

„Karellen! Gott sei Dank! Aber was haben Sie getan?“

„Beunruhigen Sie sich nicht; den Leuten ist nichts passiert. Sie konnen es eine Lahmung nennen, aber es ist viel einfacher. Sie leben nur etwa tausendmal langsamer als gewohnlich. Wenn wir fort sind, werden sie nicht wissen, was geschehen ist.“

„Sie werden sie hier lassen, bis die Polizei kommt?“

„Nein, ich habe einen viel besseren Plan. Ich lasse sie gehen.“

Stormgren empfand eine uberraschende Erleichterung. Er warf einen letzten Abschiedsblick auf den kleinen Raum und seine erstarrten Insassen. Joe stand auf einem Bein und starrte toricht ins Nichts. Plotzlich lachte Stormgren und griff in die Tasche.

„Schonen Dank fur die Gastfreundschaft, Joe“, sagte er. „Ich glaube, ich lasse ein Andenken hier.“ Er sah die verschiedenen Zettel durch, bis er die gesuchten Zahlen gefunden hatte. Dann schrieb er auf ein verhaltnisma?ig sauberes Blatt:

Die Bank von Manhattan soll an Joe einhundertfunfunddrei?ig Dollar und funfzig Cent (135,50 Dollar) zahlen.

R. Stormgren.

Als er den Zettel neben den Polen legte, fragte Karellens Stimme: „Was machen Sie da eigentlich?“

„Wir Stormgrens bezahlen unsere Schulden immer. Die andern beiden haben betrogen, aber Joe hat ehrlich gespielt. Wenigstens habe ich ihn nie beim Mogeln ertappt.“

Er fuhlte sich sehr munter und beschwingt und um ganze vierzig Jahre junger, als er zur Tur ging. Die Metallkugel glitt zur Seite, um ihn vorbeizulassen. Er nahm an, da? es eine Art Roboter ware; dadurch erklarte sich, wie Karellen ihn durch die Felsschichten zu erreichen vermocht hatte.

„Gehen Sie etwa hundert Meter geradeaus“, sagte die Kugel mit Karellens Stimme. „Dann nach links, bis ich Ihnen weitere Weisungen gebe.“

Stormgren schritt rasch vorwarts, obwohl er sich sagte, da? er sich nicht zu beeilen brauche. Die Kugel blieb im Gang schweben, wahrscheinlich, um seinen Ruckzug zu decken.

Eine Minute spater kam er an eine zweite Kugel, die an einer Abzweigung des Ganges auf ihn wartete.

„Sie haben einen halben Kilometer zu gehen“, sagte sie. „Halten Sie sich links, bis wir uns wieder treffen.“

Sechsmal begegnete er solchen Kugeln auf seinem Weg ins Freie. Zuerst uberlegte er, ob der Roboter es irgendwie fertigbrachte, ihm immer vorauszueilen; dann vermutete er, da? eine Kette von solchen Apparaten vorhanden sein musse, die eine regelrechte Leitung zu den Tiefen der Mine bildete. Am Eingang formte eine Gruppe von Wachtern ein unwahrscheinliches Denkmal, das wieder von einer der allgegenwartigen Kugeln bewacht wurde. In wenigen Metern Entfernung lag am Berghang das kleine Flugschiff, in dem Stormgren stets seine Reisen zu Karellen unternommen hatte.

Einen Augenblick blinzelte er im Sonnenlicht. Dann sah er die zerstorten Bergwerksmaschinen um sich her und dahinter ein verlassenes Eisenbahngleis, das sich den Berghang hinunterzog. In mehreren Kilometern Entfernung erstreckte sich am Fu? des Berges ein dichter Wald, und ganz in der Ferne konnte Stormgren das Wasser eines gro?en Sees blinken sehen. Er nahm an, da? er irgendwo in Sudamerika ware, obwohl er kaum hatte sagen konnen, wie er zu dieser Vermutung kam.

Als er das kleine Flugschiff bestieg, warf Stormgren einen letzten Blick auf den Grubeneingang und die erstarrten Manner. Dann schlo? sich die Tur hinter ihm, und mit einem Seufzer der Erleichterung sank er auf den vertrauten Sessel.

Eine Weile wartete er, bis er wieder zu Atem gekommen war; dann stie? er eine einzige, von Herzen kommende Silbe aus: „Nun?“

„Es tut mir leid, da? ich Sie nicht fruher befreien konnte. Aber Sie sehen, wie wichtig es war, zu warten, bis alle Fuhrer sich dort versammelt hatten.“

„Wollen Sie damit sagen“, sprudelte Stormgren heraus, „da? Sie die ganze Zeit gewu?t haben, wo ich war? Wenn ich dachte.“

„Seien Sie nicht zu hastig“, erwiderte Karellen, „wenigstens lassen Sie mich erst alles erklaren.“

„Gut“, sagte Stormgren duster, „ich hore.“ Er begann zu argwohnen, da? er nur ein Koder in einer klug aufgestellten Falle gewesen war.

„Ich hatte Ihnen einige Zeit einen ›Spurer‹ nachgeschickt“, begann Karellen. „Obwohl Ihre neuen Freunde mit Recht annahmen, da? ich Ihnen nicht unter die Erde folgen konne, vermochte ich doch auf Ihrer Spur zu bleiben, bis man Sie in die Mine brachte. Dieser Transport durch den Tunnel war genial, aber als der erste Wagen

Вы читаете Die letzte Generation
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату