da? sie die Seele des Menschen zerstorten.

Der Niedergang hatte kaum erst begonnen, aber die ersten Anzeichen des Verfalls waren nicht schwer zu entdecken. Salomon war kein Kunstler, aber er hatte ein sicheres kunstlerisches Urteil und wu?te, da? sein Zeitalter die Leistungen fruherer Jahrhunderte auf keinem einzigen Gebiet zu erreichen vermochte. Vielleicht wurden sich die Dinge im Lauf der Zeit einrenken, wenn der Schock bei der Begegnung mit der Zivilisation der Overlords sich gemildert hatte. Aber es konnte auch anders kommen, und ein vorsichtiger Mann wurde daran denken, eine Versicherungspolizze zu erwerben.

Neu-Athen beruhte auf dieser Politik. Seine Errichtung hatte zwanzig Jahre und einige Milliarden Dezimalpfund erfordert, also einen verhaltnisma?ig geringen Bruchteil des Gesamtreichtums der Welt. In den ersten funfzehn Jahren war nichts geschehen, in den letzten funf alles.

Salonions Aufgabe ware undurchfuhrbar gewesen, hatte er nicht eine Handvoll der beruhmtesten Kunstler der Welt davon uberzeugen konnen, da? sein Plan vernunftig ware. Sie hatten ihm zugestimmt, weil es ihrem Ich zusagte, nicht weil es fur die Rasse wichtig war. Aber nachdem sie einmal uberzeugt worden waren, hatte die Welt auf sie gehort und den Plan moralisch und wirtschaftlich unterstutzt. Hinter dieser Reklamefassade launi scher Talente hatten die wirklichen Erbauer der Kolonie ihre Plane entworfen.

Eine Gesellschaft besteht aus menschlichen Wesen, deren Verhalten als Einzelpersonen nicht voraussehbar ist. Aber wenn man genugend grundlegende Einheiten nimmt, beginnen sich gewisse Gesetze zu offenbaren, wie es vor langer Zeit von den Lebensversicherungsgesellschaften bemerkt wurde. Niemand kann sagen, welche Einzelpersonen in einem bestimmten Zeitraum sterben werden, aber die Gesamtzahl der Todesfalle kann man mit erheblicher Genauigkeit voraussagen.

Es gibt andere, feinere Gesetze, die zuerst Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts von Mathematikern wie Weiner und Raschavesky aufgespurt wurden. Sie behaupteten, da? Ereignisse wie Wirtschaftskrisen, die Folgen des Wettrustens, die Bestandigkeit sozialer Gruppen, politische Wahlen und so weiter durch sorgfaltige mathematische Berechnungen analysiert werden konnten. Die gro?e Schwierigkeit war die ungeheure Zahl der veranderlichen Gro?en, von denen viele sich kaum in zahlenma?igen Begriffen ausdrucken lie?en. Man konnte nicht bestimmte Kurven zeichnen und endgultig feststellen: „Wenn diese Linie erreicht wird, bedeutet es Krieg!“ Und man konnte nie vollstandig so ganz unvorhergesehene Ereignisse berucksichtigen wie zum Beispiel die Ermordung einer Schlusselfigur oder die Wirkungen irgendeiner neuen wissenschaftlichen Entdeckung — noch weniger Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Uberschwemmungen, die eine tiefgreifende Wirkung auf viele Menschen und die sozialen Gruppen, in denen sie lebten, haben konnten.

Dennoch konnte man viel tun, dank den in den vergangenen hundert Jahren geduldig gesammelten Erkenntnissen. Die Aufgabe ware unausfuhrbar gewesen ohne die Hilfe der riesigen Rechenmaschinen, die in wenigen Sekunden die Arbeit von tausend rechnenden Menschen verrichten konnten. Solche Hilfen waren bei der Planung der Kolonie in hochstem Ma?e benutzt worden.

Trotz allem aber konnten die Grunder von Neu-Athen nur den Boden und das Klima bereitstellen, in dem die Pflanze, die sie heranzuziehen wunschten, vielleicht zur Blute kommen wurde. Wie Salonion selbst bemerkt hatte: „Wir konnen des Talents sicher sein; um das Genie konnen wir nur beten.“ Aber es war eine vernunftige Hoffnung, da? in einer so konzentrierten Gesellschaft ir gendwelche interessante Reaktionen erfolgen wurden. Wenige Kunstler gedeihen in der Einsamkeit, und nichts ist anregender als ein Meinungsstreit bei ahnlichen Interessen.

Bisher hatte dieser Zusammenprall nennenswerte Ergebnisse auf dem Gebiet der Bildhauerei, der Musik, der literarischen Kritik und der Filmproduktion erbracht. Es war noch zu fruh, festzustellen, ob die mit historischen Forschungen beschaftigte Gruppe die Hoffnungen ihrer Begrunder erfullen wurde, die offen danach strebten, den Stolz der Menschheit auf ihre eigenen Leistungen wiederherzustellen. Die Malerei krankelte noch, was manche in ihrer Ansicht bestarkte, zweidimensionale, statische Kunstformen hatten keine weiteren Moglichkeiten.

Es war bemerkenswert, obwohl man eine befriedigende Erklarung dafur noch nicht gefunden hatte, da? Bewegung eine wesentliche Rolle bei den erfolgreichsten kunstlerischen Schopfungen der Kolonie spielte. Selbst die Plastiken waren selten unbeweglich. Andrew Carsons aufsehenerregende Formgebilde und Bogen veranderten sich langsam, wahrend man sie betrachtete, gema? verwickelten Mustern, die der Geist anerkennen konnte, auch wenn er sie nicht vollig verstand. Tatsachlich beanspruchte Carson, mit einiger Berechtigung, die „Mobiles“ des vorigen Jahrhunderts zu ihrer letzten Vollendung gebracht und auf diese Weise Bildhauerkunst und Ballett vermahlt zu haben.

Die musikalischen Experimente der Kolonie beschaftigten sich zum gro?en Teil ganz bewu?t mit dem, was man „Zeitspanne“ nennen konnte. Welches war der kurzeste Ton, den der Geist erfassen konnte, oder der langste, den er ohne Langeweile zu ertragen vermochte? War das Ergebnis durch Variationen oder durch die Anwendung einer geeigneten Instrumentierung zu verandern? Solche Probleme wurden endlos erortert, und die Auseinandersetzungen waren nicht nur akademisch. Sie hatten zu mehreren interessanten Kompositionen gefuhrt.

Aber die erfolgreichsten Experimente hatte Neu-Athen in der Kunst des Zeichenfilms mit seinen grenzenlosen Moglichkeiten gemacht. Die hundert Jahre seit Disneys Zeit hatten auf dem Gebiet dieses nachgiebigsten Kunstmittels noch vieles ungetan gelassen. Von den strengen Realisten konnten Ergebnisse erzielt werden, die von echten Fotografien nicht zu unterscheiden waren, sehr zur Verachtung aller, die den Zeichenfilm auf der abstrakten Linie wei ter entwickelten.

Die bisher untatigste Gruppe der Kunstler und Wissenschaftler erregte gerade das gro?te Interesse und die gro?te Beunruhigung. Diese Arbeitsgruppe befa?te sich mit der „volligen Identifikation“. Die Geschichte des Films lieferte den Schlussel zu ihren Unternehmungen. Zuerst der Ton, dann die Farbe, dann der stereoskopische Film, dann Cinerama hatten das alte liebe Stumm-„Kintopp“ mehr und mehr der Wirklichkeit gleich gemacht. Wo war das Ende davon? Sicherlich wurde die Endstufe erreicht sein, wenn das Publikum verga?, da? es Publikum war und an der Handlung teilnahm. Um das zu erreichen, mu?ten alle Sinne angeregt werden, und vielleicht mu?te man sogar Hypnose anwenden, indessen viele hielten es fur moglich. Wenn dieses Ziel erreicht war, wurde es eine ungeheure Bereicherung der menschlichen Erfahrung bedeuten. Ein Mensch konnte, wenigstens fur eine Weile, ein anderer werden und an irgendeinem wirklichen oder eingebildeten Abenteuer teilnehmen. Er konnte sogar eine Pflanze oder ein Tier sein, wenn es sich als moglich erwies, die Sinneseindrucke anderer Lebewesen einzufangen und wiederzugeben. Und wenn die „Vorstellung“ vorbei war, wurde er eine Erinnerung mitnehmen, die ebenso lebhaft wie irgendein Erlebnis seines Daseins und nicht mehr von der Wirklichkeit zu unterscheiden war.

Die Aussicht war betorend. Viele fanden sie auch erschreckend und hofften, das Unternehmen wurde mi?glucken. Aber sie wu?ten im Innersten, da? es, wenn die Wissenschaft einmal etwas fur moglich erklart hatte, vor seiner schlie?lichen Verwirklichung kein Entrinnen gab.

So war es damals um Neu-Athen und einige seiner Traume bestellt. Es hoffte das zu werden, was die alten Athener hatten sein konnen, wenn sie Maschinen statt Sklaven besessen hatten, Wissenschaft statt Aberglauben. Aber es war noch viel zu fruh, um zu sagen, ob dieses Experiment glucken wurde.

2

Jeffrey Greggson war ein Inselbewohner, der bisher noch kein Interesse fur Asthetik oder Wissenschaft hatte, die beiden Haupt beschaftigungen der Alteren. Aber aus rein personlichen Grunden schatzte er die Kolonie sehr. Die in keiner Richtung weiter als wenige Kilometer entfernte See faszinierte ihn. Den gro?ten Teil seines kurzen Lebens hatte er tief im Binnenland verbracht und hatte sich an die neue Situation, von Wasser umgeben zu sein, noch nicht gewohnt. Er war ein guter Schwimmer und pflegte oft auf dem Rad mit anderen jungen Freunden an den Strand zu fahren, um mit Flossen und Gesichtsmaske das seichtere Wasser der Lagune zu durchforschen. Anfangs war Jean nicht sehr glucklich daruber, aber nachdem sie selbst ein paarmal getaucht war, verlor sie die Furcht vor der See und ihren seltsamen Geschopfen und lie? Jeffrey nach Belieben herumtollen, unter der Bedingung, nie allein zu schwimmen.

Das andere Mitglied des Greggsonschen Haushalts, das die Veranderung begru?te, war Fey, die schone, goldfarbene Jagdhundin, die dem Namen nach George gehorte, aber selten ohne Jeffrey zu sehen war. Die beiden waren unzertrennlich, bei Tage und, wenn Jean nicht dazwischengetreten ware, bei Nacht. Nur wenn Jeffrey auf seinem Fahrrad davonfuhr, blieb Fey zu Haus und lag regungslos vor der Tur, um, die Schnauze auf die Pfoten

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