besichtigen und schlie?lich mit Schnappschussen furs heimische Fotoalbum nach Hause fahren. Jedenfalls hatten sie sich Siri und Dtui gegenuber entsprechend geau?ert.

»Sagen Sie, was macht ein hubsches Ding wie Sie eigentlich so fern der Heimat?«, hatte Offizier Nummer Drei die dralle Krankenschwester gefragt, deren Spitzname Dtui »Dickerchen« bedeutete. Der korpulente, rotgesichtige Mann hatte die Kunst des Flirtens offenbar in zwielichtigen Nachtclubs erlernt. Er starrte die ganze Zeit schon unverhohlen auf Dtuis Bruste.

»Ich begleite meinen Chef«, antwortete sie und wies mit einem Nicken zu Siri.

»Aha, ein hei?es Liebeswochenende«, sagte Offizier Nummer Vier und knuffte seinen Nebenmann zwischen die Rippen. Dtui und Siri erroteten im Duett, was die Manner mit brullendem Gelachter quittierten.

»Schon war’s«, entgegnete Dtui mit dem typisch laotischen Pflasterlacheln, das allerlei emotionale Wunden und Blessuren kaschierte. »Leider ist es rein geschaftlich.«

»Soso. Geschaftlich. Das habe ich meiner Alten auch immer erzahlt, wenn ich mal ein Wochenende ausspannen wollte«, gestand Offizier Nummer Eins stolz. »Und mit was fur Geschaften verdienen Sie Ihre Brotchen, wenn ich fragen darf?«

Dtui runzelte die Stirn, wahrte aber die Contenance. Siri bewunderte ihre Gelassenheit.

»Ich bin Krankenschwester. Und mein Chef ist Chirurg.« Dass Siri sie zur Pathologin ausbildete und er der staatliche Leichenbeschauer war, behielt sie wohlweislich fur sich.

»Doktorspiele, ha?«, fragte Offizier Nummer Zwei, was zu noch gro?eren Heiterkeitsausbruchen fuhrte.

Siri hatte den Eindruck, dass die Manner sich die gro?te Muhe gaben, leutselig und kumpelhaft zu wirken, und er wusste auch, warum. Sie hatten Angst. Trotz ihrer Prahlereien und unrealistischen Erwartungen war ihnen wohl klar, dass sie sich auf feindlichem Gebiet befanden, und ihre einzige Waffe war diese falsche Kameraderie.

Siri sorgte sich um ihre Familien. Er fragte sich, wie ihre Frauen und Kinder uberleben sollten, wahrend ihre Ernahrer wacker Steine klopften. »Sorgt das Justizministerium fur Ihre Angehorigen, solange Sie hier sind?«, erkundigte er sich.

Offizier Nummer Zwei fand diese Frage au?erst komisch. »Seit der Machtubernahme haben sie uns keinen blanken Kip bezahlt.« Da es in Laos keine Munzen gab, ware ein Kip aus Metall noch weniger wert gewesen als einer aus Papier. Fur den man derzeit etwa ein Sechstel US-Cent bekam. So denn uberhaupt Geld vorhanden war, verdiente ein Polizist unter der neuen Regierung monatlich siebentausend Kip zuzuglich einer kleiner Reisration.

»Und wovon leben Sie?«

»Ach, wir haben unsere Quellen. Einige von uns konnten unter dem alten Regime einen Notgroschen beiseitelegen. Wir haben Geld au?er Landes geschafft. Schlie?lich ahnten wir, dass eines Tages die Roten kommen und alles uber den Haufen werfen wurden.«

»Ich mochte Ihnen weder Angst noch Bange machen, aber Ihnen ist hoffentlich klar, dass ich einer dieser gar garstigen Roten bin, die Ihnen die Suppe versalzen haben«, sagte Siri.

Offizier Nummer Zwei errotete. »Ach wirklich? Tut mir leid. Aber Sie sehen gar nicht aus wie … Und was machen Sie dann hier? Ich meine …«

Um den Schaden wiedergutzumachen, erkundigte Offizier Nummer Eins sich eilends, wo Dtui und der Doktor arbeiteten.

»An der Mahosot-Klinik.«

»Dann haben Sie ja eine ziemlich weite Reise hinter sich.«

»Das kann man wohl sagen«, meinte Dtui. »Ich bin seit zwanzig Jahren nicht aus Vientiane herausgekommen. Es ist so exotisch hier oben.« Sie warf Siri einen verstohlenen Blick zu. »Ich freue mich schon auf meinen ersten Schwund.«

»Ihren ersten was?«

»Schwund. Meine Mutter hat mir davon erzahlt, als ich ein kleines Madchen war.«

Siri wandte den Kopf, damit die Polizisten sein Grinsen nicht bemerkten.

»Davon habe ich noch nie gehort«, gestand der Offizier. »Was, bitte, ist ein Schwund?«

»Das ist nicht Ihr Ernst. Sie wissen nicht, was ein Schwund ist? Zugegeben, sie sind recht selten, aber hier oben im Norden werden Tiere nicht eingepfercht, sondern ziehen in gemischten Rudeln frei umher – Huhner, Hunde, Ziegen, Schweine. Und da Tiere nun einmal so sind, wie sie sind, geht es da frohlich drunter und druber, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

Siri konnte sich nicht langer beherrschen. Er stand auf, ging zur Treppe und betrachtete den Vollmond, der sich trub in einem Tumpel spiegelte. Um sein Kichern zu uberspielen, simulierte er einen Hustenanfall.

Dtui fuhr unbeirrt fort. »Und es mag an der Hohenluft oder auch an dem schwefelreichen Wasser liegen, aber hier in Houaphan geht aus der Paarung eines lusternen Ruden mit einer ebensolchen Sau zuweilen …«

»Das kann nicht Ihr Ernst sein.«

»Ich schwor’s beim Leben meines Bruders. Ich habe Fotos gesehen. Sie sehen aus wie ein Schwein mit dem Schwanz und den Pfoten eines Hundes. Nicht zu fassen, dass Sie davon noch nie gehort haben.«

»Also, ich habe schon davon gehort«, sagte Offizier Nummer Vier.

»Unsinn«, sagte Offizier Nummer Zwei.

»Da fallt mir ein. Ich meine, mich erinnern zu konnen, auf einem Bauernhof bei Tha Heua einen gesehen zu haben. Damals wusste ich allerdings noch nicht, worum es sich handelte. Ulkiges Vieh«, sinnierte Offizier Nummer Eins.

»Stimmt«, sagte Dtui, »und hier oben gibt es sie in rauen Mengen. Falls Ihnen einer begegnet, ware ich Ihnen dankbar, wenn Sie ihn fangen konnten. Ich wurde meiner Mutter gern ein Exemplar als Souvenir mitbringen.«

»Kein Problem«, meinte Offizier Nummer Vier. »So schwierig kann das ja nicht sein.«

»Leider mussen wir morgen sehr fruh raus«, sagte Offizier Nummer Zwei, der wohl merkte, dass man ihm einen kolossalen Baren aufzubinden versuchte. Er stand auf und streckte seine schmerzenden Glieder, als habe er soeben seinen ersten 1000-Meter-Lauf hinter sich gebracht. Auch die anderen erhoben sich. »Wir sind schon um sechs Uhr zur Feldarbeit eingeteilt.«

Siri trat wieder zu ihnen. »Passen Sie auf, wo Sie graben. Diese Gegend ist mit Blindgangern formlich gespickt.«

Der Offizier kicherte. »Mit Verlaub, aber ich bezweifle, dass man uns wissentlich in ein Minenfeld schicken wurde.«

»Trotzdem. Seien Sie vorsichtig. Ich habe keine Lust, den morgigen Tag damit zu verbringen, allzu leichtsinnigen Polizisten die Beine wieder anzunahen.« Siri verstummte. Dabei konnte er sich kaum eine effektivere Minenraummethode vorstellen als einen Trupp korrupter royalistischer Gendarmen, die wie mit Schaufeln bewaffnete Revuegirls im Stechschritt uber ein Feld marschierten.

»Wunsche eine geruhsame Nacht, ihr beiden Turteltaubchen«, sagte Offizier Nummer Eins mit einem vieldeutigen Augenzwinkern. Die anderen machten sich lachend in ihren Schlafsaal auf und lie?en Siri und Dtui allein auf der Veranda zuruck. Kaum waren sie verschwunden, streckte Dtui ihnen die Zunge heraus.

»Widerliche Kerle«, sagte sie.

»Opfer ihrer Geldgier, weiter nichts«, meinte Siri. »Aber sie werden sich andern. Nimmt man einem Menschen seine komfortable Existenz, so ist er buchstablich auf sich selbst und sein blo?es, nacktes Ich zuruckgeworfen. Von einem Augenblick zum anderen mit leeren Handen dazustehen eroffnet zuweilen neue Horizonte. Sollten diese Manner die Kalte, den Hunger und die Krankheiten hier oben halbwegs lebendig uberstehen, wird sie das zu besseren, demutigeren Menschen machen.«

»Sie finden aber auch wirklich im letzten Misthaufen noch eine Perle, Dr. Siri. Trotzdem, Sie irren sich. Die andern sich nicht mehr.«

»Warum so pessimistisch, Dtui?«

»Schwein bleibt Schwein.«

Siri zog seine buschigen Augenbrauen hoch. »Und Schwund bleibt Schwund.«

Als ihr Gelachter verklungen war, blickten sie schweigend zu den schroffen Felsspitzen empor, die mit dem Nachthimmel verschmolzen.

»Meinen Sie, wir konnen uns wenigstens ein paar Sehenswurdigkeiten anschauen?«, fragte Dtui schlie?lich.

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