»Du sagst es.« Civilai beugte sich zu Fraulein Nong und flusterte seiner Begleiterin etwas ins Ohr, worauf ihre Augenbrauen in die Hohe schnellten und ein Hauch von Rot ihre Wangen farbte. Sie sah aus dem Fenster und grinste ubers ganze Gesicht.

»Ich hoffe, du hast ihr keine Versprechungen gemacht, die ein alter Knacker wie du nicht mehr halten kann«, sagte Siri.

Dtui und der Doktor waren gegen drei Uhr morgens in ihrem uberfullten Vorstadtasyl angekommen. Die Promenadenmischung schlummerte nach wie vor friedlich in ihrem Nest, und ein Rudel Geckos scharte sich wie eine dreidimensionale Tapete um die Lampe auf der Veranda. Siri fuhrte eine fluchtige Inventur durch und stellte fest, dass wahrend ihrer Abwesenheit ein neuer Bewohner hinzugekommen war. Neben Manoluk, Dtuis Mutter, hatten Herr Inthanet aus Luang Prabang und Frau Fah, deren Mann vor Kurzem verstorben war, sowie ihre beiden Kinder unter Siris Dach Quartier gefunden. Und jetzt lag ausgerechnet ein Monch in seiner Hangematte im Garten. Keiner von ihnen ruhrte sich.

Siri und Dtui a?en und schliefen ein wenig, doch schon gegen sechs waren beide wieder so hellwach wie die Hahne auf dem Dach. Prompt wurden sie von ihren Mitbewohnern ins Kreuzverhor genommen. »Wer ist ermordet worden? Wie? Wer war der Tater?«

Die Horspielserien im Radio waren ihnen anscheinend zu langweilig geworden. Der Doktor gab sich alle Muhe, ihre Abenteuer im Nordosten kurz zusammenzufassen; dennoch war er erleichtert, als sie endlich zur Arbeit gehen konnten. Auf halbem Weg in die Stadt fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, nach dem Monch zu fragen, vielleicht weil er nur ungern zur Antwort bekommen hatte: »Welcher Monch?«

Schwester Dtui und er trafen zur gewohnten Zeit in der Klinik ein. Es war Montagmorgen, und schon schien ihr Aufenthalt im Nordosten unendlich fern, wie eine Reise in eine andere Zeit, ein anderes Land. Siri stellte sein Motorrad auf seinem Stammparkplatz ab, und Dtui schloss die Pathologie auf. Statt nach Bleich- und Desinfektionsmitteln roch es muffig. Wie eine Pathologie, die zehn Tage leer gestanden hatte. Wenigstens war es sauber, und alles war an seinem Platz, genau wie sie es zuruckgelassen hatten.

Sie offneten die Fenster, um die hei?e Luft hinaus- und noch hei?ere Luft hereinzulassen. Dann setzten sie sich an ihre Schreibtische und machten sich daran, ihre bruchstuckhaften Erinnerungen an den Houaphan-Fall zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenzufugen. Es wurde sie vermutlich den halben Tag kosten, sie in eine Form zu bringen, die Richter Haengs beschranktes Begriffsvermogen nicht uberma?ig strapazierte.

Um zwanzig nach acht kam Herr Geung wie ein Betrunkener ins Buro getorkelt. Er hatte noch nicht einmal seine Stiefel ausgezogen. Siri und Dtui blickten auf und sahen seine schwankende Silhouette in der Tur stehen. Das Einzige, was ihn noch auf den Beinen zu halten schien, war sein schiefes Lacheln.

»Hallo, Su?er«, sagte Dtui. »O Gott, Geung. Was ist denn mit Ihnen passiert?« Sie stand auf und ging auf ihn zu.

Bevor er auf die Knie sank und mit lautem Krachen auf dem Betonfu?boden landete, horte Geung die Stimme des Doktors. Sie klang so wunderbar – und er hatte schon befurchtet, er wurde sie nie wieder zu horen bekommen. Er hatte dieses Zusammentreffen die ganze Zeit vor Augen gehabt, als er unter Schmerzen durch die Vororte und quer durch die Stadt getaumelt war und am Rande der belebten Stra?en immer wieder das Bewusstsein verloren hatte. Er hatte davon getraumt, die Gesichter seiner Kollegen wiederzusehen, und jetzt war es so weit – das Leichenschauhaus stand noch, und er hatte sein Wort gehalten. Er war uberglucklich. Auch das war sein vorbestimmtes Schicksal.

»Herr Geung«, hatte der Doktor mit einem Blick auf seine Armbanduhr gesagt. »Sie kommen zu spat.«

21

RACHER MIT SCHLOHWEISSEN HAAREN

Als Leiter des laotischen Justizministeriums hatte sich Richter Haeng ohne Weiteres sieben Tage die Woche zu beschaftigen gewusst. Doch da er erstens uber einen Beraterstab verfugte, der mit der Arbeitsweise des Ministeriums weitaus vertrauter war als er, und zweitens eine ausgepragte Abneigung gegen neue Projekte hegte, gelang es ihm immer wieder, gro?ere Lucken in seinen Terminplan zu sprengen. Diese fullte er mit Besuchen der familieneigenen Fischfarm, nachmittaglichen Stelldicheins mit schillernden Nachtclubsangerinnen und seiner Lieblingsbeschaftigung: die Schuhe von den Fu?en schleudern und ein ausgiebiges Nickerchen halten. Ware »Dauerdosen« eine sportliche Disziplin gewesen, hatte Haeng bei den Asienspielen darin muhelos die Goldmedaille errungen. Er hatte alles fest im Griff und sich obendrein als kompetenter Nachfolger jener korrupten royalistischen Halunken erwiesen, die er bei Dorfseminaren so oft gegei?elt hatte.

Daher reagierte er besonders ungehalten, wenn das Politburo ihn mit Aufgaben betraute, die ihn um seine dreistundigen Mittagspausen und seine freien »Sagen-Sie-einfach-ich-bin-bei-Gericht«-Nachmittage brachten. Die Unterzeichnung des Vietnam-Vertrages hatte sein Leben in eine infernalische Abfolge von Konferenzen, Galadiners und endlosen Reden verwandelt, die er nicht selten selbst zu halten hatte. Die Juristendelegation aus Hanoi war besonders lastig gewesen. Die Kollegen hatten unbedingt einen Blick in das Innenleben des laotischen Rechtssystems werfen wollen. Leider mangelte es fraglichem Mechanismus nicht nur an Ol, sondern auch an einer ganzen Reihe unentbehrlicher Ersatzteile. Was er jedoch schwerlich zugeben konnte. Und so hatte sich Richter Haeng ein raffiniertes Tauschungsmanover einfallen lassen.

Um die Belegschaft der beiden Polizeireviere aufzustocken, denen die Vietnamesen einen Besuch abstatten wollten, hatte er Beamte aus den Randbezirken abberufen und im Zentralgericht eine geturkte Verhandlung inszeniert. Er lie? vier nagelneue Mikrofiche-Lesegerate aus dem alten USAID-Komplex in die Kriminaltechnische Abteilung bringen. Da keine einzige laotische Verbrecherakte auf Microfiche vorlag und die Apparate ohnehin niemand bedienen konnte, kam es am Tag des Delegationsbesuches zu einem ebenso plotzlichen wie ratselhaften Stromausfall, sodass die Besucher abziehen mussten, ohne das System in Aktion gesehen zu haben. Der Richter war der Erschopfung nahe und dankte dem Himmel, dass er die Vietnamesen in spatestens zwolf Stunden wieder los sein wurde.

Ein Mitglied der Gruppe – seines Zeichens Mediziner, genauer gesagt, Gerichtsmediziner – hatte seine Landsleute davon uberzeugt, dass zu einer umfassenden Inspektion des Rechtssystems auch ein Besuch der Pathologie gehore. Richter Haeng hatte dem nach Kraften widersprochen – der Gestank, das viele Blut, die Hitze -, doch alle schienen die Einschatzung des nervtotenden kleinen Quacksalbers zu teilen. Haeng kam der Gedanke, dass womoglich jedes Land unter den Eskapaden eines aufsassigen Leichenbeschauers zu leiden hatte. Aber ihm blieb keine Wahl. Am Abend des letzten Besuchstages, nach einem Abschiedsbankett im alten Prasidentenpalast, lie? Haeng sich von seinem Fahrer zu Dr. Siri hinauschauffieren. Es war nicht nur sein erster Besuch in dem neuen Vorort hinter dem That-Luang-Schrein, sondern auch sein erstes Zusammentreffen mit Siri, seit dieser in den Nordosten aufgebrochen war und Haeng seinen schwachsinnigen Handlanger aus der Pathologie hatte entfernen lassen.

Auf der Fahrt atmete er ein paar Mal tief durch und legte sich passende Antworten auf die zweifellos zu erwartenden Klagen und Beschwerden zurecht. Siri war zwar unverschamt, verfugte aber durchaus uber gewisse Qualitaten. Zumindest in Xam Neua hatte er ordentliche Arbeit geleistet. Um ihn gnadig zu stimmen, beschloss Haeng, ihn dafur zunachst uber Gebuhr zu loben und ihm im Namen der Partei fur seine erfolgreichen Bemuhungen zu danken. Keinesfalls jedoch wurde er sich von Siri wegen des verschollenen Idioten auf der Nase herumtanzen lassen. Er war schlie?lich der Leiter des Justizministeriums und der Doktor nichts weiter als ein Angestellter. Trotzdem zitterten ihm die Hande, als er durch das hohe Tor in den gepflegten Vorgarten trat. Die Haustur stand sperrangelweit offen, und er sah Siri in der Kuche hantieren. Haeng ballte die Fauste und rief Siris Namen, war aber nicht im Mindesten auf Siris Reaktion gefasst. Der Doktor winkte ihm lachelnd zu und kam aus dem Haus getrottet, um ihn willkommen zu hei?en. Er war so hoflich, so freundlich, dass Haeng sich ernsthaft fragte, ob er ihn vielleicht verwechselte. Doch Siri nahm den Richter am Arm und fuhrte ihn hinein.

Der Bungalow war ein Irrenhaus: Alte, Kranke, durchgedrehte Goren. Siri hatte ein tadelloses, aus offentlichen Geldern finanziertes Eigenheim in einen Schweinestall verwandelt. Das wurde er dem

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