Ich zuckte die Achseln.
»Verabschiedet sie sich nicht von den Kindern?«
»Vermutlich nicht.«
»Sie haut einfach so mir nichts dir nichts ab?«
»Genau.«
Ellen schuttelte den Kopf. »Jack«, sagte sie, »ich wei? nicht, ob sie eine Affare hat oder nicht, aber - was nimmt sie?«
»Nichts, soweit ich wei?.«
»Irgendwas nimmt sie. Da bin ich sicher. Wurdest du sagen, dass sie abgenommen hat?«
»Ja. Einiges.«
»Und sie schlaft sehr wenig. Und ist offensichtlich aufgekratzt .« Ellen schuttelte den Kopf. »Viele gestresste Manager nehmen Drogen.«
»Ich wei? nicht«, sagte ich.
Sie sah mich nur an.
Ich ging wieder in mein Arbeitszimmer, um Ricky anzurufen, und vom Fenster aus sah ich, wie Julia in der Einfahrt den Wagen zurucksetzte. Ich wollte ihr zuwinken, aber sie blickte uber die Schulter, wahrend sie ruckwarts fuhr. Im Abendlicht spiegelten sich Streifen, von den Baumen daruber, auf der Windschutzscheibe. Julia war fast an der Stra?e, als ich meinte, jemanden neben ihr auf dem Beifahrersitz zu sehen. Anscheinend ein Mann.
Durch die Frontscheibe des fahrenden Wagens konnte ich sein Gesicht nicht erkennen. Und als Julia auf die Stra?e bog, versperrte ihr Korper mir den Blick auf die Person. Aber es wirkte so, als wurde Julia mit ihm reden, angeregt. Dann legte sie den ersten Gang ein und lehnte sich zuruck, und einen kurzen Augenblick lang sah ich den Mann deutlich. Er sa? im Gegenlicht, sein Gesicht lag im Schatten, und offenbar blickte er Julia direkt an, da ich noch immer keine Gesichtszuge ausmachen konnte, doch er hing so lassig im Sitz, dass er mir recht jung vorkam, vielleicht in den Zwanzigern, obwohl ich auch das nicht mit Sicherheit sagen konnte. Es war nur ein fluchtiger Eindruck. Dann beschleunigte der BMW, und Julia fuhr die Stra?e hinunter.
Ich dachte: Jetzt reicht's aber. Ich lief nach drau?en und die Einfahrt hinunter. Ich erreichte die Stra?e, als Julia gerade an dem Stoppschild am Ende des Blocks hielt und die Bremslichter aufleuchteten. Sie war rund funfzig Schritte entfernt, die Stra?e in schwaches, schrag einfallendes, gelbes Licht getaucht. Es schien, als ware Julia allein im Wagen, aber ich konnte es wirklich nicht deutlich sehen. Einen Moment lang war ich erleichtert und kam mir albern vor. Da stand ich hier auf der Stra?e, ohne irgendeinen triftigen Grund. Mein Verstand spielte mir einen Streich. Da sa? niemand auf dem Beifahrersitz.
Als Julia dann rechts abbog, tauchte der Typ plotzlich wieder auf, als ware er nach vorn gebeugt gewesen, um irgendetwas im Handschuhfach zu suchen. Und dann war der Wagen verschwunden. Und schlagartig kam mein ganzer Kummer wie eine Welle zuruck, wie ein hei?er Schmerz, der sich uber meine Brust und den ganzen Korper ausbreitete. Ich geriet au?er Atem, und mir wurde ein wenig schwindelig.
Es war doch noch jemand im Wagen gewesen. Ich trottete zuruck, die Einfahrt hoch, vollig aufgewuhlt, und wusste nicht, was ich jetzt tun sollte.
»Du wei?t nicht, was du jetzt tun sollst?«, fragte Ellen. Wir spulten die Topfe und Pfannen, die Sachen, die nicht in die Maschine passten. Ellen trocknete ab, ich schrubbte. »Du greifst zum Horer und rufst sie an.«
»Sie ist im Auto.«
»Sie hat ein Handy. Ruf sie an.«
»Kommt nicht infrage«, erwiderte ich. »Was soll ich denn sagen? He, Julia, wer ist der Typ, der neben dir sitzt?« Ich schuttelte den Kopf. »Das wird ein unangenehmes Gesprach.«
»Vielleicht.«
»Das bedeutet die Scheidung, mit Sicherheit.«
Sie blickte mich nur an. »Du willst dich nicht scheiden lassen, oder?«
»Meine Gute, nein. Ich will meine Familie zusammenhalten.«
»Das wird vielleicht nicht moglich sein, Jack. Es kann sein, dass du auf diese Entscheidung keinen Einfluss hast.«
»Ich begreife das alles nicht«, sagte ich. »Ich meine, der Typ in dem Wagen, das war ein junger Bursche, ein Jungelchen.«
»Und?«
»Das ist nicht Julias Stil.«
»Ach ja?« Ellens Augenbrauen gingen hoch. »Er war wahrscheinlich in den Zwanzigern oder Anfang drei?ig. Und uber-haupt, wei?t du so genau, was Julias Stil ist?«
»Na, immerhin lebe ich seit dreizehn Jahren mit ihr zusammen.«
Sie stellte scheppernd einen Topf ab. »Jack. Es ist bestimmt schwer fur dich, das alles zu akzeptieren.«
»Allerdings.« Im Kopf wiederholte sich die Szene, wie der Wagen die Einfahrt zurucksetzte, immer und immer wieder. Ich fand jetzt, dass die Person im Wagen irgendetwas Merkwurdiges an sich gehabt hatte, dass sie irgendwie sonderbar ausgesehen hatte. Das Gesicht war durch die Windschutzscheibe verschwommen, durch das sich verandernde Licht, als Julia ruckwarts die Einfahrt hinunterfuhr. Ich konnte weder die Augen noch die Wangenknochen noch den Mund sehen. In meiner Erinnerung war das ganze Gesicht dunkel und undeutlich. Das sagte ich Ellen.
»Das ist nicht uberraschend.«
»Nein?«
»Nein. Das nennt man Verleugnung der Realitat. Sieh mal, Jack, Tatsache ist, du hast den Beweis direkt vor Augen. Du hast es
Ich wusste, dass sie Recht hatte. »Ja«, sagte ich. »Es wird Zeit.«
Das Telefon klingelte. Ich hatte die Hande tief im Spulwasser. Ich bat Ellen, dranzugehen, doch eins von den Kindern war schneller gewesen. Ich hatte den Grillrost sauber geschrubbt und reichte ihn Ellen zum Abtrocknen.
»Jack«, sagte Ellen, »du musst die Dinge jetzt so sehen, wie sie sind, und nicht, wie du sie gerne hattest.«
»Du hast Recht«, sagte ich. »Ich ruf sie an.«
In diesem Moment kam Nicole in die Kuche, ganz blass.
»Dad? Da ist die Polizei dran. Die wollen dich sprechen.«
Julias Kabrio war etwa funf Meilen von unserem Haus entfernt von der Stra?e abgekommen. Es war gut funfzehn Meter tief eine steile Boschung hinabgesturzt und hatte eine Schneise durch die Salbei- und Wacholderbusche gepflugt. Dann war es anscheinend umgekippt, denn jetzt lag es auf der Seite, die Rader in der Luft. Ich konnte nur die Unterseite des Wagens sehen. Die Sonne war fast untergegangen, und dort unten war es schon dunkel. Die drei Rettungswagen auf der Stra?e hatten das Blaulicht angeschaltet, und die Sanitater seilten sich bereits ab. Wahrend ich zuschaute, wurden tragbare Scheinwerfer aufgestellt, die das Unfallauto in grelles, blaues Licht tauchten. Uberall um mich herum horte ich Funkgerate knistern.
Ich stand oben an der Stra?e bei einem Motorradpolizisten. Ich hatte schon gefragt, ob ich nach unten durfe, doch das war nicht moglich, wie man mir sagte; ich musste oben bleiben. Als ich die Funkgerate horte, fragte ich: »Ist sie verletzt? Ist meine Frau verletzt?«
»Das werden wir gleich wissen.« Er war ruhig.
»Was ist mit dem Beifahrer?«
»Moment«, sagte er. Er hatte ein Headset in seinem Helm und redete jetzt einfach mit leiser Stimme los. Es klang wie ein Code. Ich verstand: » ... Update ein vier-null-zwei fur siebendrei-neun hier ...«
Ich stand am Rand der Boschung und blickte nach unten, versuchte, etwas zu erkennen. Inzwischen waren etliche Hilfskrafte bei der Arbeit, einige hinter dem umgesturzten Wagen verborgen. Lange Zeit, so schien mir, geschah nichts weiter.
Der Polizist sagte: »Ihre Frau ist bewusstlos, aber sie ist . sie war angeschnallt und ist nicht rausgeschleudert worden. Anscheinend ist sie nicht schwer verletzt. Herz und Atmung sind stabil. Sie hat keine Wirbelsaulenverletzungen, aber ... sie . hat vermutlich einen Arm gebrochen.«