Mae wartete noch immer. Sie wartete volle zwei Minuten, und dann zog sie schlie?lich die Kamera zuruck. Sie wies mit einem Daumen nach hinten, bedeutete mir, dass wir gehen sollten. Gemeinsam krochen wir vom Rand weg, den Hugel hinab und zogen uns dann leise in die nachtliche Wuste zuruck.
Wir sammelten uns gut hundert Meter westlich vom Hugel, in der Nahe unserer Fahrzeuge. Mae wuhlte in ihrem Rucksack; sie holte ein Klemmbrett mit einem Filzstift hervor, schaltete ihre Taschenlampe an und fing an zu zeichnen.
»Das erwartet uns da unten«, sagte sie. »Die Hohle hat so eine Offnung, hast du ja gesehen. Hinter der Biegung ist im Boden ein gro?es Loch, und die Hohle fuhrt rund hundert Meter spiralformig nach unten. Dann gelangt man in einen gro?en Raum, der an die drei?ig Meter hoch ist und etwa sechzig Meter breit. Ein einziger gro?er Raum, mehr nicht. Es fuhren keine Gange davon ab, zumindest hab ich keinen gesehen.«
»Gesehen?«
»Ich war da«, sagte sie nickend.
»Wann?«
»Vor zwei Wochen. Als wir uns zum ersten Mal auf die Suche nach dem Versteck des Schwarms gemacht haben. Ich hab die Hohle entdeckt und bin am Tag hinein. Ich hab nichts gesehen, was auf einen Schwarm hingedeutet hatte.« Sie erzahlte, dass die Hohle voller Fledermause gewesen sei, an der ganzen Decke hatten sie gehangen, dicht aneinander, eine einzige rosa, wimmelnde Masse, bis zum Eingang hin.
»Igitt«, sagte Bobby. »Ich hasse Fledermause.«
»Vorhin hab ich da unten aber keine gesehen.«
»Meinst du, sie sind vertrieben worden?«
»Vermutlich gefressen.«
»Gott, Leute«, sagte Bobby und schuttelte den Kopf. »Ich bin blo? Programmierer. Ich glaube nicht, dass ich das schaffe. Ich glaube nicht, dass ich mich da runtertraue.«
Mae achtete nicht auf ihn. Sie sagte zu mir: »Wenn wir reingehen, mussen wir Thermit zunden. Und zwar die ganze Zeit, bis wir unten im Raum sind. Ich wei? nicht, ob wir genug Thermit haben.«
»Vielleicht nicht«, sagte ich. Mir machte etwas anderes Sorge. »Wir verschwenden hier nur unsere Zeit, wenn wir nicht alle Schwarme vernichten und alle Assembler, die sie herstellen. Richtig?«
Sie nickten beide.
»Ich wei? nicht, ob das moglich ist«, sagte ich. »Ich hab gedacht, die Schwarme hatten nachts keine Energie. Ich hab gedacht, wir konnten sie auf dem Boden zerstoren. Aber sie haben Energie - zumindest einige. Und wenn uns nur einer entwischt, wenn er aus der Hohle rauskommt ...« Ich zuckte die Achseln. »Dann war das alles hier blo? Zeitverschwendung.«
»Stimmt.« Bobby nickte. »Du hast Recht. Dann war's umsonst gewesen.«
Mae sagte: »Wir mussen sie irgendwie in der Hohle einsperren.«
»Wie soll das gehen?«, fragte Bobby. »Ich meine, sie konnen doch einfach rausfliegen, wann immer sie wollen.«
Mae sagte: »Vielleicht gibt es doch eine Moglichkeit.« Wieder kramte sie in ihrem Rucksack herum, suchte irgendetwas. »Aber erst mal verteilen wir drei uns besser.«
»Wieso?«, fragte Bobby beunruhigt.
»Tu's einfach«, sagte Mae. »Los, geh schon.«
Ich stellte die Schnallen an meinem Rucksack enger, damit er nicht klapperte. Ich setzte mir die Nachtsichtbrille auf die Stirn und ging los. Ich hatte etwa die Halfte des Weges bis zum Hugel zuruckgelegt, als ich eine dunkle Gestalt hinaus in die Nacht klettern sah.
Ich lie? mich, so leise ich konnte, zu Boden fallen. Ich befand mich an einer Stelle mit hohen Salbeibuschen und war daher einigerma?en gut versteckt. Ich schaute uber die Schulter, aber ich konnte weder Mae noch Bobby sehen; auch sie hatten sich fallen lassen. Ich wusste nicht, ob sie sich schon getrennt hatten. Vorsichtig bog ich eine Pflanze vor mir zur Seite und blickte zum Hugel hinauf.
Die Beine der Gestalt hoben sich gegen das schwache, grune Leuchten ab. Der Oberkorper war schwarz vor den Sternen am Himmel. Ich klappte die Brille runter und wartete einen Moment ab, wahrend es blau flackerte, und dann kam das Bild.
Diesmal war es Rosie. Sie ging umher und blickte in alle Richtungen, der Korper wachsam und argwohnisch. Nur, sie bewegte sich nicht wie Rosie, sie wirkte eher wie ein Mann. Plotzlich veranderte sich die Silhouette und wurde zu Ricky. Und nun bewegte sie sich wie Ricky.
Die Gestalt duckte sich und schien uber den Salbei hinweg-zuspahen. Ich fragte mich, warum sie die Hohle verlassen hatte. Auf die Antwort musste ich nicht lange warten.
Hinter der Gestalt tauchte ein wei?es Licht am westlichen Horizont auf. Es wurde rasch heller, und gleich darauf horte ich das Drohnen von Rotorblattern. Das musste Julia sein, dachte ich. Ich fragte mich, was denn so dringend sein mochte, dass sie gegen den Rat der Arzte das Krankenhaus verlassen hatte, um mitten in der Nacht herzufliegen.
Als der Hubschrauber naher kam, schaltete er seine Suchscheinwerfer an. Ich sah den blauwei?en Lichtkreis uber den Boden auf uns zu gleiten. Auch die Ricky-Gestalt sah zu, verschwand dann au?er Sichtweite.
Und dann drohnte der Hubschrauber uber mir, blendete mich einen Moment mit dem Halogenlicht. Sofort legte er sich scharf in die Kurve und kreiste ein Stuck zuruck.
Der Hubschrauber kam in einem langsamen Bogen wieder, flog uber den Hugel, hielt aber erst an, als er direkt uber meinem Versteck war. Das blaue Licht erfasste mich. Ich rollte mich auf den Rucken und winkte dem Hubschrauber zu, zeigte wiederholt in Richtung Labor. Mit den Lippen formte ich »Weg!« und machte eine entsprechende Geste.
Der Hubschrauber senkte sich, und einen Moment dachte ich, er wollte direkt neben mir landen. Dann drehte er jah ab und flog nach Suden in Richtung Landeplatz. Der Klang wurde schwacher.
Ich hielt es fur besser, rasch meine Position zu verandern. Ich ging auf die Knie und robbte drei?ig Meter nach links. Dann lie? ich mich fallen.
Als ich wieder zum Hugel schaute, sah ich drei, nein, vier Gestalten aus der Hohle kommen. Sie trennten sich, bewegten sich jeweils zu einem anderen Teil des Hugels. Sie sahen alle aus wie Ricky. Ich beobachtete, wie sie den Hugel hinabkamen und auf die Busche zusteuerten. Mein Herz hammerte mir in der Brust. Eine der Gestalten kam in meine Richtung. Sie naherte sich immer mehr und schwenkte dann nach rechts ab, ging auf die Stelle zu, wo ich vorher gewesen war. Als sie mein letztes Versteck erreicht hatte, blieb sie stehen und drehte sich in alle Richtungen.
Sie war wirklich nicht weit von mir entfernt. Durch die Nachtsichtbrille konnte ich sehen, dass diese neue Ricky-Gestalt ein vollstandiges Gesicht hatte und dass die Kleidung um einiges detailreicher abgebildet war. Au?erdem bewegte sich die Gestalt so, als hatte sie tatsachlich ein Korpergewicht. Vielleicht bildete ich mir das nur ein, aber der Schwarm schien an Masse zugenommen zu haben und wog jetzt gut funfzig Pfund, vielleicht mehr. Vielleicht sogar das Doppelte. Falls ja, dann hatte der Schwarm nun genug Masse, um mir mit physischer Wucht einen Sto? zu versetzen. Mich sogar zu Boden zu rei?en.
Durch die Brille sah ich, dass die Augen der Gestalt sich bewegten und blinzelten. Die Oberflache des Gesichts hatte jetzt die Textur von Haut. Das Haar schien aus einzelnen Strahnen zu bestehen. Die Lippen bewegten sich, die Zunge leckte nervos. Alles in diesem Gesicht hatte verbluffende Ahnlichkeit mit Ricky - beangstigende Ahnlichkeit. Als der Kopf sich in meine Richtung drehte, hatte ich das Gefuhl, dass Ricky mich direkt anblickte.
Und so war es wohl auch, denn die Gestalt setzte sich in Bewegung und kam auf mich zu.
Ich sa? in der Falle. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Damit hatte ich nicht gerechnet; ich hatte keinen Schutz, nichts, womit ich mich wehren konnte. Ich konnte naturlich die Beine in die Hand nehmen, aber wohin hatte ich rennen sollen? Um mich herum war meilenweit nichts als Wuste, und die Schwarme wurden mich verfolgen. In ein paar Augenblicken ware ich .
Drohnend kam der Hubschrauber wieder auf uns zu. Die Ricky-Gestalt blickte sich nach ihm um, machte dann kehrt und floh, flog regelrecht uber den Boden, ohne sich noch die Muhe zu machen, die Beine und Fu?e zu animieren. Es war ein unheimlicher Anblick, wie diese menschliche Nachbildung plotzlich uber die Wuste schwebte.
Aber auch die anderen drei Ricky-Gestalten rannten jetzt. Sie rannten, so schnell sie konnten, und sie
