Tatsache, da? wichtiges Beweismaterial, das zur Aufklarung eines weiteren von Cynthia verheimlichten Doppelmords hatte fuhren konnen, eineinhalb Jahre unbeachtet in der Asservatenkammer der Polizei gelegen hatte. Und der letzte Punkt wurde Cynthias Verheimlichung des Namens des Rollstuhlmorders sein.
Nach Beratungen mit dem Polizeiprasidenten und ihrem Pressesprecher Evelio Jimenez stellte Assistant Chief Serrano ganz richtig fest: »Das Ganze ist eine Riesensauerei, aus der niemand nach Rosen duftend rauskommen wird. Aber es konnte Probleme geben, wenn wir etwas zuruckhalten, das irgendein cleverer Reporter dann doch erschnuffelt.«
Lediglich bestimmte Tatsachen, die fur das Verfahren gegen Patrick Jensen und Virgilio wichtig sein konnten, wurden vorerst nicht bekanntgegeben werden. Aber die Nachricht von Jensens Verhaftung und den ihm vorgeworfenen Straftaten war inzwischen durchgesickert.
Was Virgilio betraf, war sehr zweifelhaft, da? er jemals gefa?t und vor Gericht gestellt werden wurde. Die Metro-Dade Police fahndete wegen seiner Beteiligung an dem Rollstuhlmord nach ihm, wahrend das Miami Police Department ihn als mutma?lichen Morder des Ehepaars Ernst suchte. Aber Virgilio hatte sich in seine Heimat Kolumbien abgesetzt, die ihn wegen ihrer gespannten Beziehungen zu den Vereinigten Staaten garantiert nicht ausliefern wurde.
Die Pressekonferenz fand in der Eingangshalle des Prasidiums statt, an deren Haupteingang mehrere Polizeibeamte die Presseausweise kontrollierten. In der Nahe der Aufzuge im Erdgescho? waren ein Podium und mehrere Mikrofone aufgebaut worden. Von dort aus wurde Pressesprecher Evelio Jimenez - ein ehemaliger Journalist mit nuchtern-freimutiger Art - die Veranstaltung leiten.
Wenige Minuten vor der Pressekonferenz betraten Mitglieder der City Commission, die alle schon mit dem Polizeiprasidenten gesprochen hatten, die uberfullte Eingangshalle. Ihre Mienen verrieten Trauer und Entsetzen. Die Reporter umringten sie, aber sie beantworteten keine Fragen. Als jemand dem Oberburgermeister ein Mikrofon unter die Nase hielt, knurrte er: »Weg damit! Horen Sie sich einfach an, was dort vorn berichtet wird.«
Fernsehkameras liefen, ein Wald von Mikrofonen ragte auf, und Bleistifte und Laptops waren einsatzbereit, als der Pressesprecher ankundigte: »Chief Farrell Ketledge.«
Der Polizeiprasident trat vor. Er sprach ernst, hielt sich aber nicht mit langen Vorreden auf.
»Dies ist zweifellos der traurigste Tag meiner bisherigen Polizeilaufbahn. Ich habe Cynthia Ernst fur eine loyale Kollegin und gute Freundin gehalten und werde sie trotz ihrer jetzt ans Tageslicht gekommenen Verbrechen teilweise so in Erinnerung behalten. Denn wie Sie bald im Detail horen werden,
Ein kollektives Luftholen war im Raum zu vernehmen.
Mehrere Reporter sprangen auf, um zu ihren Ubertragungswagen hinauszueilen, wahrend andere ihre Mobiltelefone zum Einsatz brachten.
Der Polizeiprasident sprach weiter und erwahnte dabei den Doppelmord, den Cynthia in ihrer Dienstzeit als Kriminalbeamtin vertuscht hatte. »Heute vormittag ist der Beschlu? einer Anklagekammer ergangen, sie wegen dreier Straftaten verhaften zu lassen. Bei der Verhaftung hat Miss Ernst plotzlich eine versteckte Waffe gezogen, mit der sie offenbar auf einen der Kriminalbeamten schie?en wollte. Seine Kollegin hat dann einen sofort todlichen einzelnen Schu? abgegeben.
Falls Sie das wunschen, konnen wir darauf spater zuruckkommen, aber jetzt mochte ich uber die heutigen Ereignisse sprechen und mit den Anklagebeschlussen gegen Cynthia Ernst beginnen. Daher bitte ich Mr. Curzon Knowles, den Leiter der fur Mordsachen zustandigen Staatsanwaltschaft, diese Anklage und die Grunde dafur zu erlautern.«
Knowles, der diesmal einen formellen blauen Nadelstreifenanzug trug, trat aufs Podium, sprach autoritativ zehn Minuten lang und trug die meisten Tatsachen vor, die den Beschlussen der Anklagekammer zugrunde lagen. Die Journalisten horten gespannt zu, als er von Eleanor Ernsts Tagebuchern und dem Mi?brauch Cynthias durch ihren Vater sprach. »Soviel ich wei?«, fuhr Knowles fort, »werden die wichtigsten Seiten dieser Tagebucher kopiert und stehen Ihnen dann zur Verfugung.« Knowles mu?te anschlie?end einige Fragen beantworten, die jedoch nicht aggressiv gestellt wurden.
Nach dem Staatsanwalt ergriff Assistant Chief Serrano das Wort. Er stellte Leo Newbold vor, der sich auf kurze Ausfuhrungen beschrankte, danach war Malcolm Ainslie an der Reihe, der den Doppelmord an Gustav und Eleanor Ernst und den Versuch schilderte, ihn als Tat eines Serienmorders hinzustellen. Wie sich rasch zeigte, kannte Ainslie den gesamten Tatkomplex sehr genau, und er antwortete eine halbe Stunde lang mit klarer, deutlicher Stimme auf Reporterfragen.
Er war jedoch schon etwas mitgenommen, als eine Fernsehreporterin sagte: »Wie wir gehort haben...«, sie machte eine Pause, um einen Blick in ihr Notizbuch zu werfen, »...wie Lieutenant Newbold gesagt hat, haben Sie als erster den Verdacht gehabt, der Mord an dem Ehepaar Ernst gehore
»Weil's in der Offenbarung keine Kaninchen gibt«, antwortete er spontan. Aber er bereute diese Worte, sobald er sie ausgesprochen hatte.
Nach einer verwirrten Pause fragte die Reporterin weiter: »Wurden Sie uns das bitte erlautern?«
Ainslie sah hilfesuchend zu Assistant Chief Serrano hinuber, der mit den Schultern zuckte und den Journalisten erklarte: »Wir beschaftigen talentierte Leute, die manche Falle mit unkonventionellen Methoden losen.« Er nickte Ainslie zu. »Los, erklaren Sie's ihnen.«
Ainslie begann widerstrebend: »Angefangen hat alles mit Symbolen, die ein Serienmorder an vier Tatorten zuruckgelassen hatte und die spater als religiose Symbole aus der Offenbarung des Johannes im Neuen Testament erkannt worden sind. Am Tatort im Mordfall Ernst ist ein Kaninchen zuruckgelassen worden. Es hat nicht zu den anderen Symbolen gepa?t.«
Wahrend Ainslie die fruheren Symbole beschrieb, fiel ihm ein, da? diese Informationen damals zuruckgehalten und spater nicht mehr veroffentlicht worden waren, weil dafur keine Notwendigkeit bestanden hatte. Elroy Doil war zuletzt nur wegen der Ermordung des Ehepaars Tempone verurteilt und hingerichtet worden - wegen eines Doppelmords ohne Symbole.
Danach zu urteilen, wie eifrig viele Reporter mit gesenkten Kopfen mitschrieben oder tippten, waren diese Informationen neu und offenbar faszinierend.
Als Ainslie fertig war, fragte eine Mannerstimme: »Wer hat rausgekriegt, was diese Symbole bedeuten?«
»Das beantworte ich«, warf Serrano ein. »Sergeant Ainslie hat die Verbindung hergestellt, die uns zu mehreren Verdachtigen, darunter auch Elroy Doil, gefuhrt hat.«
Ein altgedienter Pressemann fragte: »Stimmt es, Sergeant Ainslie, da? Sie fruher Geistlicher gewesen sind? Kennen Sie sich deshalb so gut in der Bibel aus?«
Ainslie hatte gehofft, dieses Thema wurde nicht angesprochen werden. Obwohl er nie versucht hatte, seine Vergangenheit geheimzuhalten, war sie au?erhalb der Polizei nur wenigen bekannt. Jetzt antwortete er: »Ja, das stimmt, und meine Bibelfestigkeit durfte genutzt haben.«
Dann eine Frauenstimme: »Warum haben Sie als Priester beschlossen, ein Cop zu werden?«
»Ich habe meinen Priesterberuf aus freiem Entschlu? aufgegeben. Das hatte personliche, hier nicht relevante Grunde, die ich nicht erlautern werde.« Ainslie lachelte. »Ich mochte nur feststellen, da? mein Verhalten einwandfrei gewesen ist - das durfte meine Aufnahme in den Polizeidienst beweisen.« Trotz der ernsten Stimmung, die uber allem lag, loste er damit gutmutiges Gelachter aus.
Wenig spater wurde die Pressekonferenz offiziell beendet, weil viele Reporter es eilig hatten; einige Journalisten und Kamerateams blieben jedoch, um englische und spanische Einzelinterviews zu fuhren. Als besonders begehrter Interviewpartner harrte Ainslie noch vierzig Minuten aus. Und danach wurde er auf dem Weg zu seinem Auto noch von Reportern mit Fragen bedrangt.
An diesem Abend und an den folgenden Tagen war Malcolm Ainslie ein Fernsehstar, weil seine Aussagen verbreitet und dann im Zusammenhang mit neuen Entwicklungen mehrmals wiederholt wurden. Die Berichterstattung der gro?en Fernsehgesellschaften uber den Fall Cynthia Ernst stellte Ainslie als den Polizeisprecher hin. In ihrer Sendung »Nightline« berichtete die ABC ausfuhrlich uber die ratselhaften Tatsymbole und ihre religiose Bedeutung - wieder mit Ainslie als Star.
Auch die Presse berichtete uber den Fall Ernst und interessierte sich in diesem Zusammenhang fur Ainslies