Sendeplan sagte er zu einem seiner drei Chefproduzenten: »Schmei? Saudi-Arabien raus und kurz Nicaragua um funfzehn Sekunden.«
Bei der Entscheidung, die Saudi-Story fallenzulassen, zuckte Sloane innerlich zusammen. Es war eine wichtige Nachricht und au?erdem ein intelligent aufbereiteter Zweieinhalbminutenbericht uber die zukunftigen Olmarketingplane der Saudis. Tags darauf ware die Meldung bereits ein alter Hut, weil auch andere Sender sie hatten und noch an diesem Abend bringen wurden.
Sloane hatte nichts gegen die Entscheidung, die Dallas-Story an erster Stelle zu bringen, doch er hatte dafur lieber die Meldung vom Capitol Hill uber das Amtsvergehen eines Senators herausgenommen. Der Politiker hatte in aller Stille in einer Gesetzesvorlage zur Bewilligung von Geldern acht Millionen Dollar untergebracht, die er einem personlichen Freund und Wahlkampfsponsor zukommen lassen wollte. Nur durch die sorgfaltigen Nachforschungen eines Reporters war der Skandal ans Licht gekommen.
Die Meldung aus Washington war zwar farbiger, aber auch weniger wichtig, und ein korrupter Kongre?abgeordneter war wirklich nichts Au?ergewohnliches. Aber die Entscheidung, so dachte der Moderator bitter, war typisch fur Chuck Insen, und wieder einmal war eine Auslandsmeldung, die Sloane gerne starker betont hatte, dem Rotstift zum Opfer gefallen.
Die Beziehung zwischen dem Studioleiter und dem Chefmoderator, die noch nie besonders gut gewesen war, hatte in letzter Zeit unter Meinungsverschiedenheiten dieser Art noch starker gelitten. Ihre grundsatzlichen Ansichten schienen immer weiter auseinanderzudriften, nicht nur bei der allabendlichen Entscheidung uber die Prioritat der einzelnen Nachrichten, sondern auch bei der Frage, wie sie aufbereitet werden sollten. Sloane zum Beispiel bevorzugte eine tiefschurfende Behandlung weniger, wichtiger Themen, wahrend Insen so viele Tagesmeldungen wie moglich in jeder Sendung haben wollte, auch wenn man dann, wie er es so treffend formulierte, »einige Meldungen im Telegrammstil abhandeln mu?«.
Unter anderen Umstanden hatte Sloane sich gegen die Streichung des Saudi-Berichts gewehrt, vermutlich sogar mit Erfolg, weil der Chefmoderator zugleich auch verantwortlicher Redakteur war und so einigen Einflu? hatte, aber im Augenblick war dazu einfach keine Zeit.
So stemmte er nur hastig die Fersen gegen den Fu?boden und manovrierte seinen Sessel mit geschicktem Schwung ruckwarts und seitwarts, bis er vor einem Computerterminal sa?. Er konzentrierte sich, verdrangte den Trubel um sich herum aus seinen Gedanken und tippte die Eroffnungssatze der Sendung in die Maschine.
Wahrend Sloanes Finger uber die Tasten huschten, fiel ihm ein, da? vermutlich nur sehr wenige Zuschauer vor Ende der Nachrichten abschalten wurden. Er fugte dennoch die Aufforderung hinzu, im Programm zu bleiben und weitere Entwicklungen abzuwarten, und tippte dann den Druckbefehl. Der Text ging nun auch an den Teleprompter, so da? Sloane, sobald er das Studio im Stockwerk darunter erreichte, ihn auch vom Prompterschirm ablesen konnte.
Wahrend Sloane, mit einem Bundel Papiere in der Hand, zur Treppe eilte, fragte Insen einen Chefproduzenten: »Verdammt, was ist mit Bildern aus DFW?«
»Sieht schlecht aus, Chuck.« Der Mann hatte sich einen Telefonhorer ans Ohr geklemmt und sprach mit dem Inlandschefredakteur im gro?en Redaktionssaal. »Das brennende Flugzeug nahert sich dem Flughafen, aber unser Kamerateam ist noch zwanzig Meilen entfernt. Die schaffen es nicht rechtzeitig.«
Insen fluchte enttauscht. »Schei?e!«
Gabe es Orden fur gefahrliche Einsatze im Dienst des Fernsehens, dann hatte Ernie LaSalle, der Inlandschefredakteur, die ganze Brust voll haben mussen. Mit seinen gerade erst neunundzwanzig Jahren hatte er als Korrespondent fur CBA bereits im Libanon, im Iran, in Angola, in Nicaragua und in anderen Krisenherden der Welt unter haufig gefahrlichen Umstanden hervorragende Arbeit geleistet. Obwohl Krisen dieser Art naturlich auch weiterhin schwelten, sa? LaSalle inzwischen in einem bequemen Polstersessel in seinem glasernen Buro mit Blick auf den Redaktionssaal und kummerte sich um die heimische amerikanische Szene, die zuzeiten allerdings ahnlich turbulent sein konnte.
LaSalle war kompakt und feinknochig, ein Energiebundel mit sorgfaltig gepflegtem Bart und immer eleganter Kleidung, ein Yuppie, wie manche sagten. Als Inlandschefredakteur hatte er einen gro?en Verantwortungsbereich und war, zusammen mit dem Auslandschefredakteur, Chef des Redaktionssaals. Beide hatten dort ihre eigenen Schreibtische fur den Fall, da? eine Geschichte, die einen von beiden betraf, wirklich hei? wurde. Die Dallas- Geschichte war hei?. Und deshalb war LaSalle sofort zu seinem Tisch im Redaktionssaal gesturzt.
Der Redaktionssaal lag einen Stock unter dem Hufeisen, neben dem Sendestudio, das die Hektik des Saals als optischen Hintergrund benutzte. Ein Kontrollraum, in dem ein Regisseur die technischen Komponenten jeder Sendung zusammenstellte, befand sich im Keller des Hauses.
Sieben Minuten waren seit dem Bericht aus Dallas uber den havarierten Airbus vergangen. LaSalle knallte den Horer auf die Gabel, nahm einen anderen auf und las gleichzeitig von einem Computermonitor eine AP- Meldung ab, die eben hereinkam. Wahrend er sich weiter um eine moglichst vollstandige Berichterstattung uber den Vorfall bemuhte, hielt er standig das Hufeisen uber die neuesten Entwicklungen auf dem laufenden.
Von LaSalle stammte die entmutigende Nachricht, da? das nachste Kamerateam zwar, ohne auf Geschwindigkeitsbegrenzungen zu achten, auf den Flughafen zuraste, aber immer noch zwanzig Meilen vom Schauplatz entfernt war. Dafur gab es einen guten Grund: Es war ein sehr hektischer Tag gewesen fur das Buro in Dallas, alle Kamerateams und Korrespondenten waren unterwegs, und es war einfach Pech, da? keiner der Einsatzorte in der Nahe des Flughafens lag.
Naturlich wurde es in Kurze Bilder geben, aber eben nur verspatete, keine von der kritischen Landung des Airbus selbst, die mit Sicherheit spektakular werden und vielleicht sogar in einer Katastrophe enden wurde. Es war auch sehr unwahrscheinlich, da? fur die Erstausgabe der Nachrichten, die uber Satellit einen Gro?teil der Ostkuste und Teile des Mittelwestens abdeckte, uberhaupt Bilder zur Verfugung standen. Immerhin, und das war ein kleiner Trost, hatte der Burochef in Dallas erfahren, da? weder die gro?en Konkurrenten noch die lokalen Sender Kamerateams am Flughafen hatten, obwohl auch die bereits unterwegs waren.
Von seinem Schreibtisch im Redaktionssaal beobachtete Ernie LaSalle, der noch immer mit seinen Telefonen beschaftigt war, den ublichen Trubel in dem hell erleuchteten Studio kurz vor Sendebeginn. In diesem Augenblick betrat Crawford Sloane den Raum. Die Fernsehzuschauer hatten wahrend der Sendung immer den Eindruck, als wurde Sloane mitten im Redaktionssaal sitzen. Doch in Wirklichkeit trennte eine dicke, schalldichte Glaswand die beiden Zimmer, und der Larm aus dem Redaktionssaal drang nur dann in das Studio, wenn er mit Absicht zugespielt wurde.
Es war 18 Uhr 28, zwei Minuten vor Beginn der Erstausgabe.
Wahrend Sloane sich in den Moderatorenstuhl setzte und sich, mit dem Rucken zum Redaktionssaal, der mittleren der drei Kameras zuwandte, kummerte sich eine Maskenbildnerin um ihn. Erst vor zehn Minuten war er in einer kleinen Garderobe neben seinem Buro geschminkt worden, aber seitdem hatte er wieder geschwitzt. Das Madchen wischte und puderte ihm die Stirn, kammte ihn und spruhte die Frisur mit Haarspray ein.
Mit einem Anflug von Ungeduld in der Stimme murmelte er: »Danke, Nina«, uberflog seine Papiere und verglich den Text mit den Zeilen, die in gro?en Buchstaben auf dem Teleprompter aufleuchteten. Denn von dort las er seine Meldungen ab, wahrend der Zuschauer den Eindruck hatte, er wurde ihn direkt ansehen. Die Blatter, mit denen die Moderatoren oft spielten, waren nur eine Vorsichtsma?nahme, falls der Teleprompter ausfiel.
»Noch eine Minute!« rief der Studiomanager.
Im Redaktionssaal richtete Ernie LaSalle sich plotzlich uberrascht und gespannt auf.
Erst vor einer guten Minute hatte der Burochef in Dallas das Gesprach mit LaSalle unterbrochen, um einen Anruf auf einer anderen Leitung entgegenzunehmen. Wahrend LaSalle wartete, konnte er zwar die Stimme des Burochefs horen, aber nicht verstehen, was er sagte. Doch nun meldete er sich wieder, und was er zu berichten hatte, trieb dem Inlandsredakteur ein breites Grinsen ins Gesicht. LaSalle hob das rote Haustelefon ab, das ihn, uber eine Verstarker- und Lautsprecheranlage, mit der gesamten Nachrichtenmannschaft verband.