Miguel kam mit den Plastikfolien aus dem Kleinbus und stopfte sie in eine bereits uberquellende Mulltonne. Die Nummernschilder, die Luis eben entfernt hatte, folgten.

Luis setzte sich nun hinter das Steuer des Lastwagens, in dem sich bereits die bewu?tlosen Geiseln Jessica, Nicholas und Angus sowie Miguel, Rafael, Baudelio und Socorro befanden. Nach einer schnellen Wende fuhr er zuruck in Richtung Thruway, auf dem sie, kaum zehn Minuten, nachdem sie ihn verlassen hatten, in dem neuen Fahrzeug ihre Flucht in Richtung Suden fortsetzten.

Carlos am Steuer des leeren Nissan wendete ebenfalls. Auch er fuhr auf den I-95 zu, schlug dann aber die nordliche Richtung ein. Mit den ausgetauschten New Yorker Nummernschildern und ohne die dunkle Folie an den Fenstern sah der Bus aus wie tausend andere auch. Die Beschreibung, die die Polizei in Larchmont ausgegeben hatte, traf auf ihn jedenfalls nicht mehr zu.

Carlos hatte den Auftrag, den Nissan verschwinden zu lassen, und auch dies war sorgfaltig vorbereitet. Nach drei Meilen verlie? er die Autobahn und folgte der Landstra?e weitere zwolf Meilen Richtung Norden bis nach White Plains. Dort fuhr er in ein offentliches Parkhaus, ein vierstockiges Gebaude neben einem Einkaufszentrum - die Center City Mall.

Auf der dritten Etage stellte Carlos den Nissan ab und machte sich mit scheinbarer Beilaufigkeit an die Arbeit. Supermarktkunden, die in der Nahe parkten, aus ihren Autos ausstiegen oder sie mit Waren beluden, schienen weder an ihm noch an dem Nissan im geringsten interessiert.

Zunachst wischte Carlos alle Oberflachen ab, um die Suche nach Fingerabdrucken zu erschweren - eine Vorsichtsma?nahme, falls der Bus der Polizei in seinem augenblicklichen Zustand in die Hande fallen sollte. Doch mit dem nachsten Schritt sorgte er dafur, da? das nicht passierte.

Aus dem Handschuhfach nahm Carlos einen Styroporbehalter mit brisantem Inhalt: ein betrachtliche Menge Plastiksprengstoff, ein kleiner Zunder mit Zundstift, zwei

Drahtstucke und eine Rolle Klebeband. Mit dem Band befestigte er Sprengstoff und Zunder unten an den Vordersitzen. Die beiden Drahtstucke fuhrte er vom Zundstift zu den inneren Turgriffen auf beiden Seiten und verknotete sie dort. Wurde nun eine der beiden Turen geoffnet, zog der Draht den Stift aus dem Zunder und die Ladung explodierte.

Abschlie?end warf Carlos noch einen Blick in die Fahrerkabine und vergewisserte sich, da? weder Sprengstoff noch Drahte zu sehen waren.

Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde es mehrere Tage dauern, bis man den Bus entdeckte, und bis dahin waren die Entfuhrer mit ihren Opfern langst uber alle Berge. Doch bei der Entdeckung wurde eine typische Terroristenuberraschung mit Nachdruck darauf hinweisen, da? mit den Entfuhrern nicht zu spa?en war.

Carlos verlie? das Parkhaus durch das Einkaufszentrum und machte sich mit offentlichen Verkehrsmitteln auf den Ruckweg nach Hackensack, wo er sich mit den anderen treffen wollte.

Der Lastwagen fuhr noch funf Meilen bis zum Cross Bronx Expressway und bog dort nach Westen ab. Etwa zwolf Minuten spater uberquerte er den Harlem River und bald darauf die George Washington Bridge, die den Hudson River uberspannte.

Die Brucke bildete die Grenze zwischen New York State und New Jersey. Fur Miguel und den Rest der Medellin-Gruppe waren es nun nur noch wenige Meilen bis zu ihrem sicheren Unterschlupf in Hackensack.

13

Bert Fisher lebte und arbeitete in einer winzigen Wohnung in Larchmont. Er war achtundsechzig und seit Jahrzehnten Witwer. Seine Visitenkarten wiesen ihn als Nachrichtenreporter aus, doch im Fachjargon hie? er etwas wirklichkeitsnaher Stringer, der Mann furs Grobe vor Ort.

Wie andere Stringer auch, war Bert der ortliche Vertreter verschiedener gro?er Nachrichtenorganisationen, die ihren Sitz in den Metropolen hatten, und von einigen dieser Konzerne erhielt er sogar ein kleines Vorabhonorar. Er lieferte Informationen oder fertige Berichte, wurde aber nur fur das bezahlt, was wirklich verwendet wurde. Da Kleinstadtnachrichten nur selten regionale, geschweige denn nationale Bedeutung hatten, war es schwierig, Material bei gro?en Zeitungen oder Radio- und Fernsehsendern unterzubringen. Stringer wurden deshalb auch nie reich, die meisten hielten sich wie Bert Fisher gerade so uber Wasser.

Trotzdem gefiel Bert seine Arbeit. Wahrend des Zweiten Weltkrieges hatte er als amerikanischer G.I. in Europa fur die Armeezeitung Stars and Stripes gearbeitet. Das hatte ihn auf den Geschmack gebracht, und seit dieser Zeit trug er seinen bescheidenen Teil zum amerikanischen Nachrichtenumsatz bei. Obwohl ihn das Alter inzwischen etwas langsamer gemacht hatte, telefonierte er noch taglich mit lokalen Informanten und hatte auch standig mehrere Abhorgerate eingeschaltet, mit denen er den Funkverkehr von Polizei, Feuerwehr, Krankenwagen und anderer offentlicher Dienste uberwachen konnte. Er hoffte immer, auf etwas zu sto?en, das eine Weiterverfolgung lohnte und das er einem der gro?en Nachrichtenkonzerne verkaufen konnte.

Mit einem dieser Gerate hatte Bert auch den Funkspruch des Revierbeamten an den Streifenwagen 423 aufgefangen. Zunachst schien es sich um einen reinen Routineeinsatz zu handeln, doch kurz darauf meldete der Beamte auf dem Parkplatz des Grand Union Supermarkts eine mogliche Entfuhrung an das Revier. Beim Wort »Entfuhrung« richtete Bert sich auf, stellte die Frequenz des Larchmonter Polizeifunks auf seinem Abhorgerat fest ein und griff zum Notizpapier.

Am Ende der Ubertragung wu?te Bert, da? er sofort zum Schauplatz mu?te. Doch zuerst kam ein Anruf bei der New Yorker Fernsehstation WCBA.

Bei WCBA-TV nahm ein Assistant News Director Bert Fishers Anruf entgegen.

WCBA, eine Tochtergesellschaft von CBA, war ein renommierter Lokalsender, der das Stadtgebiet von New York mit Nachrichten versorgte. Sitz des Senders waren drei Stockwerke eines Burohauses in Manhattan, etwa eine Meile von der Konzernmutter entfernt. Obwohl nur ein Lokalsender, erreichte er ein gro?es Publikum. WCBA News war nicht zuletzt wegen der Fulle von Nachrichten, die New York taglich lieferte, in gewisser Weise ein Mikrokosmos von CBA News.

In dem hektischen, larmenden Redaktionssaal, in dem drei?ig Leute Schulter an Schulter arbeiteten, verglich der Assistant News Director Bert Fishers Namen mit einer Liste aus einem Loseblattordner. »Okay«, sagte er schlie?lich, »was haben Sie?«

Bert wiederholte die Polizeimeldung und sagte dann, er wolle selbst sofort zum Schauplatz fahren.

»Also nur eine >mogliche< Entfuhrung, hm?« fragte der Assistant.

»Ja, Sir.«

Obwohl Bert Fisher fast dreimal so alt war wie der junge Mann am anderen Ende der Leitung, sprach er ihn mit einer dem hoheren Rang entsprechenden Hoflichkeit an, die er sich aus einer anderen Zeit herubergerettet hatte.

»Also gut, Fisher. Machen Sie sich auf die Socken. Und rufen Sie sofort an, falls da wirklich was dahintersteckt.«

»Jawohl, Sir. Sie konnen sich auf mich verlassen.«

Beim Auflegen kam dem Assistant News Director der Gedanke, da? hier moglicherweise nur jemand falschen Alarm ausgelost hatte. Er uberlegte kurz, ob er ein Kamerateam nach Larchmont schicken sollte, entschied sich dann aber dagegen. Im Augenblick war der Bericht des Informanten noch sehr verworren. Au?erdem waren alle verfugbaren Teams unterwegs, und das wurde bedeuten, da? er eins von einer laufenden Story abziehen mu?te. Ohne detaillierte Informationen gab es auch nichts, das man hatte senden konnen.

Trotzdem ging der Assistant hinuber zu dem etwas erhohten Schreibtisch der Nachrichtenchefin und erzahlte ihr von dem Anruf.

Sie horte ihm zu und billigte seine Entscheidung. Doch dann fiel ihr etwas ein und sie griff zu einem Telefon, das sie uber eine Standleitung direkt mit CBA News verband. Sie fragte nach Ernie LaSalle, dem Inlandschef, mit dem sie manchmal Informationen austauschte.

»Hor zu«, sagte sie, »ich hab' hier etwas, das sich moglicherweise als Ente erweist.« Sie wiederholte, was sie eben gehort hatte und fugte dann hinzu: »Aber hier geht es um Larchmont, und ich wei?, da? Crawford Sloane dort wohnt. Es ist ja nur ein kleiner Ort, und vielleicht ist jemand betroffen, den er kennt. Vielleicht solltest du es ihm sagen.«

»Danke«, erwiderte LaSalle. »Halt mich auf dem laufenden.«

Ernie LaSalle hangte ein und uberlegte kurz, ob er dem eben Gehorten irgendeine Bedeutung beimessen sollte. Hochstwahrscheinlich wurde die ganze Sache im Sand verlaufen. Aber trotzdem...

Kurz entschlossen griff er zum roten Haustelefon.

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