Washington diese Operation Egress ausgedacht haben mu?te. Der (oder diejenige) lag inzwischen sicher schon schlafend im Bett, und genau dort wollte Wally nun auch sein, anstatt hier auf diesem gottverlassenen Opa Locka Airport herumzustehen, der weitab von allem lag und der nachts noch dazu verflucht einsam war. Es war eine halbe Stunde vor Mitternacht, und er und die beiden anderen Zollbeamten im Sondereinsatz mu?ten noch zwei Stunden absitzen, bevor sie die Operation Egress abhaken und nach Hause gehen konnten.
Die schlechte Laune war ungewohnlich fur Amsler, der im Grunde immer frohlich und freundlich war, au?er zu jenen, die das Gesetz brachen, das er vertrat. Dann konnte er kalt und hart sein und unerbittlich in seinem Pflichtgefuhl. Eigentlich gefiel ihm seine Arbeit, nur die Nachtschichten mochte er nicht, und er vermied sie auch, sooft es ging. Erst vor einer Woche hatte er mit Grippe im Bett gelegen, und er fuhlte sich noch immer nicht ganz gesund. Er hatte schon uberlegt, ob er sich an diesem Abend krank melden sollte, dann aber beschlossen, es nicht zu tun. Und dann war da auch noch etwas anderes, das ihm in letzter Zeit Kummer machte - seine Stellung beim Zoll.
Obwohl er seit mehr als zwanzig Jahren gewissenhaft seine Arbeit tat, war er nicht so weit aufgestiegen, wie er es bei seinem Alter - er stand wenige Monate vor seinem funfzigsten Geburtstag - eigentlich hatte erwarten konnen. Er war Inspektor, GS-9, und das war eigentlich nur ein Mannschaftsgrad, nicht mehr. Es gab genugend andere, die junger waren als er und viel weniger Erfahrung hatten und trotzdem bereits zum Oberinspektor, GS- 11, aufgestiegen waren. Von denen mu?te er Befehle entgegennehmen.
Er hatte immer angenommen, da? man ihn eines Tages zum Oberinspektor befordern wurde, aber inzwischen mu?te er sich eingestehen, da? die Chancen dazu nicht eben gunstig standen. War das gerecht? Er wu?te es nicht. Seine Beurteilungen waren durchweg positiv, und er hatte seine Pflicht immer uber alles andere gestellt, vor allem auch uber seine privaten Interessen. Aber gleichzeitig hatte er sich nie besonders angestrengt, um in eine Fuhrungsposition aufzusteigen, wie er auch keine spektakularen Leistungen oder Erfolge aufweisen konnte; vielleicht lag darin das Problem. Naturlich verdiente er auch als GS-9 nicht schlecht. Mit Uberstunden und einer Sechs-TageWoche kam er auf etwa $ 50000 pro Jahr, und in funfzehn Jahren wurde er eine ansehnliche Pension erhalten.
Aber Gehalt und Pension waren nicht alles. Er brauchte etwas, um seinem Leben neuen Schwung zu geben, etwas, das ihn, wenn auch nur auf bescheidene Art, unverge?lich machte. Er wunschte sich, da? so etwas passierte, und er meinte, es auch zu verdienen. Aber in Opa Locka, so spat in der Nacht und bei dieser Operation Egress, war das eher unwahrscheinlich.
Operation Egress war der Versuch einer stichprobenartigen Kontrolle von Flugzeugen, die das Land verlie?en. Naturlich konnten unmoglich alle uberpruft werden, dazu fehlte dem Zoll das Personal. Deswegen schickte man unangekundigt und uberfallartig ein Team von Inspektoren auf gewisse Flughafen, die dann einige Stunden lang vorwiegend Privatmaschinen mit auslandischen Zielflughafen kontrollierten. Haufig wurden solche Aktionen nachts abgewickelt.
Offiziell wollte man mit dem Programm dem illegalen Export von High-Tech-Geraten auf die Schliche kommen. Inoffiziell suchte der Zoll auch nach Geldbetragen, die die festgesetzten Ausfuhrquoten uberstiegen, vor allem nach Drogengeld. Inoffiziell deshalb, weil die amerikanische Zollgesetzgebung die Suche nach Geld nur dann zulie?, wenn ein »gerechtfertigter Grund« vorlag. Doch wenn bei der Suche nach etwas anderem gro?e Geldbetrage entdeckt wurden, hatte der Zoll das Recht, sich damit zu beschaftigen.
Manchmal konnte Egress Erfolge vorweisen - gelegentlich sogar sensationelle. Aber so etwas passierte nie, wenn Amsler Dienst hatte, und das war ein Grund, warum er fur dieses Programm nur wenig Begeisterung aufbringen konnte. Aber trotzdem war Egress dafur verantwortlich, da? er und zwei andere Inspektoren an diesem Abend in Opa Locka herumliefen, obwohl es bis jetzt weniger Auslandsfluge gegeben hatte als gewohnlich und es unwahrscheinlich war, da? noch viele kamen.
Eins dieser wenigen Flugzeuge traf eben letzte Startvorbereitungen - ein Learjet aus Teterboro, der vor wenigen Minuten seinen Flugplan nach Bogota in Kolumbien durchgegeben hatte. Amsler war nun auf dem Weg zum Hangar Eins, um sich die Maschine anzusehen.
Opa Locka war, im Gegensatz zum ubrigen Sudflorida, ein sehr unattraktiver Ort. Sein Name leitete sich aus einem Wort der Seminole Indianer ab,
In dieser Wuste war der Hangar Eins eine Oase.
Er war untergebracht in einem modernen, attraktiven wei?en Gebaude, das daruber hinaus noch einen Luxusterminal beherbergte, in dem die Privatmaschinen, ihre Passagiere und Piloten versorgt wurden.
Siebzig Leute arbeiteten in Hangar Eins, und ihre Pflichten reichten von Reinigungsarbeiten im Inneren der Flugzeuge uber das Wiederauffullen der Bordkuchen mit Speisen und Getranken bis hin zu mechanischen Wartungsarbeiten - kleinere Reparaturen und grundliche Uberholungen. Andere kummerten sich um die VIP- Lounges, die Duschen und um einen Konferenzsaal, der mit audiovisuellen Geraten, Telex, Telefax und Kopierern ausgestattet war.
Auf der anderen Seite einer fast, aber doch nicht ganz unsichtbaren Linie gab es ahnliche Einrichtungen fur die Piloten und zusatzlich einen mit allen technischen Hilfsmitteln ausgestatteten Flugplanungsbereich. In diesem Bereich ging nun Zollinspektor Wally Amsler auf Underbill, den Piloten des Learjet, zu, der gerade einen Ausdruck mit Wetterdaten studierte.
»Guten Abend, Captain. Soviel ich wei?, fliegen Sie nach Bogota.«
Underbill sah hoch, und der Anblick der Uniform uberraschte ihn nicht besonders. »Das stimmt.«
In Wirklichkeit entsprachen weder diese Antwort noch die Angaben im Flugplan der Wahrheit. Das eigentliche Ziel des Learjet war eine Staubpiste in den Anden in der Nahe von Sion in Peru, und es war beabsichtigt, nonstop dorthin zu fliegen. Aber die Instruktionen, die Underbill erhalten hatte und fur deren Befolgung er au?erst gro?zugig entlohnt wurde, legten ausdrucklich fest, da? er Bogota als Flugziel angeben mu?te. Im Prinzip war die Sache ohne Bedeutung, denn sobald er, und das war kurz nach dem Start, den Bereich der amerikanischen Luftraumkontrolle verlie?, konnte er fliegen, wohin er wollte, und niemand wurde sich mehr fur ihn interessieren oder ihn uberprufen.
»Wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte Amsler hoflich, »mochte ich gerne Ihre Maschine und Ihre Passagiere kontrollieren.«
Underbill hatte etwas dagegen, aber er wu?te, da? es sinnlos war, es auch zu sagen. Er hoffte nur, da? seine Passagiere, dieses komische Quartett, den Zollbeamten zufriedenstellen konnten, damit er seine Starterlaubnis bekam und endlich abheben konnte. Doch was ihm eigentlich Sorgen machte, waren nicht die Passagiere, sondern seine mogliche Verwicklung in eine Sache, von der er ja gar nichts wu?te.
Denis Underbill hatte den Verdacht, da? an den Sargen etwas ungewohnlich, vielleicht sogar illegal war. Er vermutete, da? sie entweder etwas anderes als Leichen enthielten, oder wenn Leichen, dann die von Opfern eines peruanischkolumbianischen Bandenkriegs, die au?er Landes geschafft wurden, bevor die US-Behorden etwas merkten. Keinen Augenblick hatte er die Geschichte der Unfallopfer und der trauernden Familie geglaubt, die man ihm in Bogota bei den Verhandlungen uber diesen Charterflug erzahlt hatte. Wenn die Geschichte stimmte, warum dann die ganze Heimlichtuerei? Underbill war sich auch ziemlich sicher, da? zumindest zwei der Leute an Bord bewaffnet waren. Warum also dieser offensichtliche Versuch, das zu vermeiden, was nun passierte -eine Kontrolle durch den amerikanischen Zoll?
Obwohl Underbill der Learjet nicht gehorte - der Besitzer war ein reicher Geschaftsmann aus Kolumbien, wo die Maschine auch registriert war -, arbeitete er doch fast in eigener Regie und erhielt neben seinem Gehalt plus Spesen noch eine gro?zugige Profitbeteiligung. Sein Arbeitgeber wu?te, da war sich Underbill ziemlich sicher, da? Auftrage dieser Art manchmal die Grenze des Legalen uberschritten, aber offensichtlich vertraute der Mann darauf, da? Underbill mit solchen Situationen umgehen konnte und sein Flugzeug nicht in Gefahr brachte.
Underbill dachte nun an dieses Vertrauen und auch an sein finanzielles Interesse, und er beschlo?, das Marchen von den Unfallopfern zu benutzen, in der Hoffnung, damit sich selbst und das Flugzeug aus allem, was noch passieren mochte, heraushalten zu konnen.
»Es ist ein trauriger Anla?«, sagte er dem Zollbeamten und erzahlte die Geschichte, die er in Bogota gehort hatte und die, ohne das Underbill das wu?te, von den Unterlagen in Miguels Besitz gestutzt wurde.
Amsler horte unverbindlich zu und erwiderte dann: »Gehen wir, Captain.«
