solle den Sarg wieder schlie?en. Dann lief er hinaus und ubergab sich. Noch Tage danach war ihm ubel, der entsetzliche Gestank ging ihm nicht mehr aus der Nase; und nun kehrte die Erinnerung an diese Abscheulichkeiten zuruck.

Doch starker als diese Erinnerung und starker als seine Angste war sein unerbittliches Pflichtbewu?tsein. Und deshalb sagte er zu Miguel: »Es tut mir aufrichtig leid, aber die Vorschriften verlangen eine Offnung der Sarge.«

Genau das hatte Miguel am meisten befurchtet. Er machte noch einen letzten Versuch, den Beamten mit einem Appell an den gesunden Menschenverstand zu uberzeugen. »Officer, bitte! Ich flehe Sie an. Es ist doch so schon genug Schmerz, genug Leid. Wir sind Freunde Amerikas. Man wird doch um des Mitleids willen eine Ausnahme machen konnen.«

Er wandte sich in Spanisch an Socorro: »El hombre quiere abrir los ataudes.«

Sie schrie entsetzt auf: »Ay, no! Madre de Dios, no!«

»Le suplicamos, senor. En el nombre de decencia, por favor, no!« flehte nun auch Rafael.

Baudelio flusterte mit aschfahlem Gesicht: »Por favor, no lo haga, senor! No lo haga!«

Ohne die Satze im einzelnen zu verstehen, begriff Amsler doch das wesentliche von dem, was er eben gehort hatte. Er wandte sich an Miguel: »Bitte sagen Sie Ihren Freunden, da? ich die Vorschriften nicht gemacht habe. Es macht mir nicht immer Spa?, sie auszufuhren, aber es ist meine Arbeit und meine Pflicht.«

Miguel hatte bereits resigniert. Es war sinnlos, diese Farce weiterzuspielen. Der Augenblick der Entscheidung war gekommen.

Der Idiot vom Zoll plapperte weiter. »Ich schlage vor, die Sarge aus dem Flugzeug zu nehmen und sie an einen ungestorten Ort zu bringen. Ihr Pilot kann das arrangieren. Er kann von Hangar Eins Hilfe anfordern.«

Miguel wu?te, da? er das nicht zulassen durfte. Die Sarge durften das Flugzeug auf keinen Fall verlassen. So blieb ihm noch ein Ausweg - Waffengewalt. Sie hatten es nicht bis hierher geschafft, um jetzt vor einem einzigen Zollbeamten, diesem cabron, zu kapitulieren; er wurde den Mann entweder toten oder ihn gefangennehmen und in Peru exekutieren. Die nachsten Sekunden wurden das entscheiden. Man mu?te auch die Piloten mit Waffengewalt in Schach halten, denn sonst konnten sie sich, aus Angst vor Konsequenzen, weigern zu starten. Miguel lie? die Hand unter die Jacke gleiten. Er spurte die Makarow 9 mm, die er bei sich trug, und entsicherte sie. Er warf Rafael einen fluchtigen Blick zu, der gro?e Mann nickte. Socorro hatte die Hand bereits in ihrer Tasche.

»Nein«, sagte Miguel. »Die Sarge bleiben, wo sie sind.« Er veranderte leicht seine Position, so da? er zwischen dem Beamten, den beiden Piloten und der offenen Tur stand. Seine Finger schlossen sich um die Pistole. Es war soweit. Jetzt!

In diesem Augenblick, eine fremde Stimme: »Echo eins-sieben-zwei. Sector.«

Die Stimme uberraschte jeden au?er Wally Amsler, der an die Meldungen aus dem Walkie-Talkie an seinem Gurtel gewohnt war. »Sector, hier Echo eins-sieben-zwei.«

»Echo eins-sieben-zwei«, kam krachzend eine Mannerstimme. »Verlassen Sie Ihren augenblicklichen Einsatzort, und melden Sie sich unverzuglich uber Telefon bei Lima zwei-sechs-acht auf vier-sechs-sieben vierundzwanzig vierundzwanzig. Vermeiden Sie jeden Funkkontakt, wiederhole, kein Funkkontakt.«

»Sector. Zehn-vier. Echo eins-sieben-zwei verstanden und over.« Wahrend Amsler seine Bestatigung durchgab, hatte er Muhe, sich seine Erleichterung nicht an der Stimme anmerken zu lassen. Im allerletzten Augenblick war die Rettung gekommen - ein deutlicher Befehl, den er befolgen mu?te. Lima zwei-sechs-acht war der Code des Einsatzleiters fur das Einzugsgebiet von Miami, und »unverzuglich« bedeutete in der Ausdrucksweise seines Vorgesetzten: »Setz deinen Arsch in Bewegung!« Amsler kannte auch die Telefonnummer, die man ihm durchgegeben hatte, es war die der Frachtabteilung von Miami International.

Die Nachricht bedeutete hochstwahrscheinlich, da? der Zoll einen Hinweis auf einen hereinkommenden Flug mit Schmuggelware erhalten hatte - die meisten Fahndungserfolge kamen auf diese Weise zustande - und da? man Amsler als Verstarkung benotigte. Und um diesen Hinweis geheimzuhalten, hatte er den Befehl, nicht sein Funkgerat, sondern ein Telefon zu benutzen. Nun mu?te er so schnell wie moglich zum nachsten Apparat.

»Man hat mich abberufen, Senor Palacios«, sagte er. »Ich gebe Ihren Flug frei, Sie konnen starten.«

Wahrend Amsler hastig die notwendigen Unterlagen ausfullte, merkte er gar nicht, da? die Spannung in der Kabine plotzlich nachlie? und sich nicht nur unter den Passagieren, sondern auch den Piloten Erleichterung ausbreitete. Underhill und Miguel wechselten Blicke. Dem Piloten waren die Vorbereitungen zum Waffeneinsatz nicht entgangen, und er fragte sich nun, ob er vor dem Abflug die Aushandigung der Pistolen verlangen sollte. Doch als er Miguels eisigem Blick begegnete, beschlo? er, es lieber sein zu lassen. Verzogerungen und Komplikationen hatte es schon genug gegeben. Er zog es vor, so schnell wie moglich zu starten.

Als Amsler wenige Augenblicke spater auf den Hangar Eins und das nachste Telefon zulief, horte er, wie sich die Tur des Learjets schlo? und die Turbinen angeworfen wurden. Er war froh, diese Episode hinter sich zu haben, und fragte sich schon, was ihn am Miami International erwartete. Vielleicht die gro?e, entscheidende Sache, auf die er schon so lange hoffte?

Weit oben schwebte der Learjet 55LR durch die Nacht, der Luftraum der Vereinigten Staaten lag bereits hinter ihm, und er nahm Kurs auf Sion in Peru.

Dritter Teil

1

Arthur Nalesworth, der umgangliche, wurdevolle Onkel Arthur, wie er inzwischen genannt wurde, war in seinen jungeren Jahren bei CBA News ein wichtiger Mann gewesen. In den drei Jahrzehnten beim Sender hatte er sich zu einer ganzen Reihe von Spitzenpositionen hochgearbeitet. So war er unter anderem Vizeprasident der Abteilung Internationale Nachrichten, Studioleiter der National Evening News und sogar Vizedirektor der gesamten Nachrichtenabteilung. Dann verlie? ihn das Gluck, und er wurde, wie viele andere vor und nach ihm, mit achtundfunfzig Jahren auf ein Nebengleis abgeschoben. Man gab ihm zu verstehen, da? fur ihn die Tage der Macht voruber seien und da? er wahlen konne zwischen einem fruhen Ruhestand oder einer Stellung ohne Einflu? und Befugnisse.

Die meisten, die vor dieser Entscheidung standen, wahlten aus Stolz den Ruhestand. Arthur Nalesworth, der wenig Eigendunkel, aber ein breitgestreutes philosophisches Wissen besa?, wollte weitermachen, ganz gleich in welcher Position. Da der Sender diese Entscheidung nicht erwartet hatte, mu?te erst einmal eine Beschaftigung fur ihn gefunden werden. Inzwischen gab man bekannt, da? er den Titel Vizeprasident behalten wurde.

Wie Onkel Arthur selbst es spater einmal treffend formulierte: »Hier bei uns gibt es drei Arten von Vizeprasidenten - solche, die arbeiten und ihr Geld wert sind, solche, die nichts tun, aber den Kopf fur die hinhalten, die uber ihnen stehen, und die >gewesenen< Vizeprasidenten, die nur noch fur Heftklammern verantwortlich sind, und ich bin einer von denen.«

Wenn man etwas nachbohrte, erzahlte er weiter: »Es gibt eine Sache, auf die sich diejenigen von uns, die in diesem Geschaft Erfolg haben, vorbereiten sollten, es aber meistens nicht tun, und das ist der Tag, an dem wir aufhoren, wichtig zu sein. Noch bevor wir den Gipfel erreichen, sollten wir daran denken, da? man uns, schneller als wir glauben, absturzen la?t, vergi?t und durch Jungere und wahrscheinlich auch Bessere ersetzt. Naturlich« - und an dieser Stelle zitierte er gerne Tennysons Ulysses - »Der Tod schlie?t alles ab. Doch manchem sei kurz vor dem Ende die letzte ehrenvolle Tat gewahrt....«

Es war fur beide, den Sender und Onkel Arthur selbst, unerwartet und uberraschend, da? er, nachdem er den Zenit seiner Karriere uberschritten hatte, doch noch seine ehrenvolle Tat fand.

Sie hatte mit jungen Leuten zu tun, die Arbeit suchten.

Fur viele, die beim Fernsehen Macht und Einflu? hatten, war es eine Last und oft auch ein Dilemma, wenn ihnen einen ganze Reihe von Leuten - Freunde, Verwandte, Geschaftskontakte, Politiker, Allgemeinarzte, Zahnarzte, Augenarzte, Borsenmakler, Partygaste und unzahlige andere - immer die gleiche Frage stellten: »Konnen Sie meinem Sohn/meiner Tochter/meinem Neffen/meiner Nichte/meinem Patenkind/

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