den du vortragen willst, im Eingangsbereich vor, den zweiten im Atrium und so weiter. Du wanderst, wie du es gewohnt bist, durchs Haus und weist nicht nur jedem Raum, sondern jeder Nische und jeder Statue einen bestimmten Abschnitt der Rede zu. Achte darauf, dass jede dieser Stellen gut beleuchtet ist, klar umrissen und unterscheidbar. Sonst wirst du herumtappen wie ein Betrunkener, der nach einem Fest sein Bett sucht.«

Cicero war nicht Molons einziger Schuler in jenem Fruhling und Sommer. Nach und nach stie?en Ciceros jungerer Bruder Quintus, sein Vetter Lucius und zwei seiner Freunde zu uns: Servius, ein penibler Rechtsanwalt, der Richter werden wollte, und Atticus - der elegante, charmante Titus Pomponius Atticus -, den die Redekunst nicht interessierte, da er in Athen lebte und ganz sicher keine politische Karriere anstrebte, sondern sich einfach gern in Ciceros Gesellschaft aufhielt. Alle staunten uber die Veranderungen, die Ciceros Gesundheit und Auftreten erfahren hatten, und an ihrem letzten gemeinsamen Abend - es war inzwischen Herbst geworden und Zeit, nach Rom zuruckzukehren - kamen sie zusammen, um mit eigenen Ohren zu horen, wie sich Molons Bemuhungen auf Ciceros Redekunst ausgewirkt hatten.

Ich wunschte, ich konnte mich erinnern, woruber Cicero an jenem Abend nach Tisch gesprochen hat, aber ich furchte, ich bin der lebende Beweis fur Demosthenes' zynische Behauptung, dass -verglichen mit der Art des Vortrags - der Inhalt nichts zahlt. Ich stand diskret im Schatten, au?er Sichtweite, und entsinne mich nur noch an die Motten, die wie Aschepartikel um die Fackeln herumwirbelten, an die glitzernden Sterne am Himmel uber dem Innenhof und an die Cicero zugewandten, vom Feuerschein geroteten Gesichter der hingerissenen jungen Manner. Allerdings erinnere ich mich noch genau an die Worte Molons, nachdem sich sein Schuler mit einer abschlie?enden Verbeugung zur imaginaren Geschworenenbank wieder gesetzt hatte. Nach langem Schweigen erhob er sich und sagte mit heiserer Stimme: »Ich gratuliere dir, Cicero, du hast mich in Staunen versetzt. Was ich bedauere, ist Griechenland, das Schicksal Griechenlands. Der uns einzig verbliebene Ruhm war der uberlegene Rang unserer Rhetorik, und diesen hast du uns jetzt auch genommen. Geh zuruck«, sagte er und deutete mit jenen drei ausgestreckten Fingern uber die vom Fackelschein erleuchtete Terrasse in Richtung des fernen, dunklen Meeres. »Geh zuruck, mein junger Freund, und erobere Rom.«

*

Na schon. Leicht gesagt. Aber wie stellt man das an? Wie erobert man Rom, wenn einem als einzige Waffe nur seine Stimme zur Verfugung steht? Der erste Schritt ist naheliegend: Man muss Senator werden.

Um in den Senat zu gelangen, musste man mindestens einunddrei?ig Jahre alt und Millionar sein. Genauer gesagt: Wenn alljahrlich im Juli zwanzig neue Senatoren gewahlt wurden, die die im abgelaufenen Jahr gestorbenen oder inzwischen zu arm gewordenen ersetzten, hatte man sogar nur fur die Kandidatur den Behorden Vermogen im Wert von einer Million Sesterzen nachzuweisen. Aber woher sollte Cicero eine Million nehmen? Sein Vater jedenfalls hatte nicht so viel Geld: Das Anwesen der Familie war klein und mit hohen Hypotheken belastet. Ihm blieben deshalb nur die drei ublichen Optionen: sich die Million zu verdienen, was zu lange dauern wurde; sie zu stehlen, was zu riskant war; oder sie zu heiraten, was Cicero kurz nach seiner Ruckkehr aus Rhodos tat. Terentia war siebzehn, jungenhaft flachbrustig, und ihren Kopf zierten kurze, dichte schwarze Locken. Ihre Halbschwester war eine Vesta-Priesterin, Beleg fur die hohe gesellschaftliche Stellung ihrer Familie. Wichtiger war, dass ihr zwei Stra?enzuge mit Mietwohnungen in den Elendsvierteln von Rom, einige Waldgebiete vor den Toren der Stadt und dazu ein Landgut gehorten. Gesamtwert: eineinviertel Millionen Sesterzen. (Ach ja, Terentia: schlicht, distinguiert und reich - was war sie doch fur ein Fruchtchen! Erst vor ein paar Monaten habe ich sie gesehen, auf der Kustenstra?e nach Neapel. Sie sa? in einer offenen Sanfte und kreischte ihre Trager an, dass sie sich etwas beeilen sollten. Ihr Haar war wei? und die Haut walnussfarben, aber ansonsten schien sie sich nicht verandert zu haben.)

Und so wurde Cicero zur gegebenen Zeit in den Senat gewahlt - tatsachlich erzielte er, der inzwischen allgemein als zweitbester Rechtsanwalt Roms nach Hortensius betrachtet wurde, das beste Stimmenergebnis. Bevor er seinen Sitz im Senat einnehmen konnte, musste er das obligatorische Jahr Regierungsdienst au?erhalb Roms ableisten, was in seinem Fall die Provinz Sizilien war. Sein offizieller Titel war der eines Quastors, der die unterste Stufe in der Amterlaufbahn darstellte. Frauen war es verboten, ihre Ehemanner auf diesen Dienstreisen zu begleiten, sodass Terentia - sicher zur gro?en Erleichterung Ciceros - zu Hause blieb. Ich allerdings ging mit ihm, denn inzwischen war ich fur ihn zu einer Art verlangertem Arm geworden, den er, ohne daruber nachzudenken, wie seinen eigenen benutzte. Ein Grund fur meine Unverzichtbarkeit war, dass ich eine Technik entwickelt hatte, die es mir erlaubte, seine Worte so schnell niederzuschreiben, wie er sie aussprach. Aus kleinen Anfangen - ich kann in aller Bescheidenheit behaupten, das Et-Zeichen erfunden zu haben - schwoll mein System schlie?lich zu einem Handbuch mit etwa viertausend Symbolen an. Ich fand zum Beispiel heraus, dass Cicero bestimmte Wendungen immer wieder benutzte. Diese reduzierte ich auf einen Strich oder ein paar Punktchen und erbrachte somit den Beweis fur etwas, was die meisten Menschen ohnehin schon wissen - dass namlich Politiker im Wesentlichen immer wieder das Gleiche sagen. Er diktierte mir, wahrend er in der Badewanne oder auf dem Sofa lag, in einer schaukelnden Karosse oder auf Landspaziergangen. Ihm gingen nie die Worte aus, und mir fehlte es nie an Symbolen, um seine durch die Luft wirbelnden Worte einzufangen und festzuhalten. Wir waren wie fureinander geschaffen.

Doch zuruck zu Sizilien. Keine Angst: Ich werde uber unsere Arbeit jetzt nicht in allen Einzelheiten berichten. Wie so oft in der Politik war die Tatigkeit nicht nur im Ruckblick, nach uber siebzig Jahren, sondern auch schon damals langweilig. Der Erinnerung wert und von Bedeutung war die Ruckreise nach Rom. Um sicherzugehen, dass er genau in den Senatsferien die Bucht von Neapel erreichte, wenn sich die versammelte Politprominenz in den Mineralbadern Puteolis vergnugte, verschob Cicero unsere Abreise extra um einen Monat, von Marz auf April. Er wies mich an, ein Boot mit zwolf Ruderern anzumieten, das prachtigste, das ich auftreiben konnte, damit er stilvoll - zum ersten Mal wurde er die Toga mit dem purpurfarbenen Saum des Senators der Romischen Republik tragen - in den Hafen einlaufen konnte.

Cicero war davon uberzeugt gewesen, in Sizilien derart erfolgreiche Arbeit geleistet zu haben, dass er zu Hause in Rom unausweichlich im Mittelpunkt allen Interesses stehen wurde. Auf Hundert stickigen Marktplatzen, unter Tausend staubigen, von Wespen wimmelnden Platanen hatte er unparteiisch und wurdevoll romisches Recht gesprochen. Er hatte eine einmalig gro?e Menge Getreide zu einem einmalig niedrigen Preis gekauft und fur das Wahlvolk nach Rom transportieren lassen. Seine Reden bei Regierungszeremonien waren Meisterwerke an Taktgefuhl gewesen. Er hatte sogar Interesse an den Gesprachen der einheimischen Bevolkerung geheuchelt. Er wusste, dass er gute Arbeit geleistet hatte, und brustete sich mit seinen Errungenschaften in einem Strom von Berichten an den Senat. Ich muss gestehen, dass ich den Tonfall seiner Berichte gelegendich etwas abmilderte, bevor ich sie dem offiziellen Boten ubergab, und dass ich ihn darauf hinzuweisen versuchte, dass nicht jeder Sizilien fur den Mittelpunkt der Welt hielt. Er nahm jedoch keine Notiz davon.

Ich sehe ihn noch vor mir, wie er bei unserer Ruckkehr nach Italien am Bug stand und angestrengt zur Anlegestelle von Puteoli blickte.

Was hatte er erwartet? Eine Musikkapelle, die ihn an Land geleitete? Eine Abordnung der Konsuln, die ihm einen Lorbeerkranz uberreichte? Sicher, an Land war eine Menschenmenge zu sehen, aber die war nicht seinetwegen gekommen. Hortensius, der schon das Konsulat ins Auge gefasst hatte, veranstaltete auf mehreren farbenprachtig geschmuckten Vergnugungsschiffen, die ganz in der Nahe festgemacht hatten, ein Bankett. Die Menschen an der Anlegestelle waren seine Gaste, die darauf warteten, ubergesetzt zu werden. Cicero ging an Land - unbeachtet. Verwirrt schaute er sich um, als einigen der Festgaste sein makellos leuchtendes Senatorengewand auffiel. Sie liefen auf ihn zu, und er straffte in freudiger Erwartung die Schultern.

»Senator«, rief einer. »Was gibt's Neues in Rom?«

Cicero schaffte es irgendwie, sein Lacheln zu bewahren. »Ich komme nicht aus Rom, guter Mann. Ich bin auf dem Ruckweg aus meiner Provinz.«

Ein rothaariger, eindeutig schon betrunkener Mann sagte: »Hort, hort, guter Mann! Er ist auf dem Ruckweg aus seiner Provinz ...«

Der Mann machte sich kaum die Muhe, sein Lachen im Zaum zu halten.

»Was ist so lustig daran?«, fragte ein Dritter, der die Wogen glatten wollte. »Hast du das etwa nicht gewusst? Der Senator kommt aus Afrika.«

Ciceros Lacheln war heldenhaft. »Nun ja, eigentlich aus Sizilien.«

Moglich, dass es noch eine Weile in diesem Tonfall weiterging. Ich kann mich nicht erinnern. Als die Leute merkten, dass es hier keine Klatschgeschichten aufzuschnappen gab, trollten sie sich wieder. Kurz darauf erschien Hortensius und geleitete die restlichen Gaste zu ihren Fahrbooten. Er hatte zumindest die Hoflichkeit, Cicero mit einem kurzen Nicken zu begru?en, war aber eindeutig nicht gewillt, ihn ebenfalls zu seinem Fest zu bitten. Wir

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