blieben allein zuruck.

Ein unbedeutender Vorfall, konnte man meinen, doch Cicero selbst pflegte spater zu sagen, dass dies der Augenblick war, in dem sein Ehrgeiz so hart wie Stein wurde. Er war gedemutigt worden -gedemutigt von seiner eigenen Eitelkeit - und hatte auf brutale Art erkennen mussen, wie gering seine Stellung in der Welt war. Lange Zeit blieb er am Ufer stehen, beobachtete das festliche Treiben von Hortensius und seinen Freunden und lauschte den heiteren Flotenklangen, die uber das Wasser wehten. Als er sich schlie?lich abwandte, war er ein anderer Mensch. Ich ubertreibe nicht, ich habe es in seinen Augen gesehen. Na schon, schien sein Gesichtsausdruck zu sagen, albert nur rum, ihr Idioten, ich werde mich an die Arbeit machen.

»Ich bin geneigt zu behaupten, meine Herren, dass diese Erfahrung von gro?erem Wert fur mich war, als wenn man mich mit Beifallssturmen begru?t hatte. Fortan kummerte ich mich nicht mehr darum, was die Welt wohl von mir zu horen bekame: Seit jenem Tag achtete ich darauf, dass man mich taglich zu Gesicht bekam. Ich lebte im Licht der Offentlichkeit. Ich ging regelma?ig zum Forum. Weder mein Turwachter noch mein Schlaf hinderten irgendwen daran, mich in meinem Haus zu besuchen und mit mir zu sprechen. Auch wenn ich nichts zu tun hatte, hie? das nicht, dass ich nichts tat. Zeit vollkommener Mu?e war etwas, das ich nicht kannte.«

Erst kurzlich stolperte ich bei der Lekture einer seiner Reden uber diese Passage, fur deren Richtigkeit ich mich verburge. Wie im Dammerzustand verlie? er den Hafen, ging bergauf durch Puteoli und hinaus auf die Uberlandstra?e, ohne sich noch einmal umzublicken. Ich hechelte hinter ihm her, wobei ich so viel Gepack mitschleppte, wie ich konnte. Schritt er anfangs noch langsam und voller Gedanken dahin, so ging er nach und nach immer schneller, bis er schlie?lich mit so gro?en Schritten Pachtung Rom marschierte, dass ich kaum mithalten konnte.

Und damit endet meine erste Rolle und beginnt gleichzeitig die eigentliche Geschichte des Marcus Tullius Cicero.

KAPITEL II

Der Tag, der sich als Wendepunkt erweisen sollte, begann wie jeder andere damit, dass Cicero eine Stunde vor Tagesanbruch als Erster im Haus aufstand. Ich lauschte den dumpfen Schritten auf den Holzbohlen uber mir, wahrend er die Ubungen absolvierte, die er bei unserem Aufenthalt in Rhodos vor sechs Jahren gelernt hatte. Ich blieb noch kurz im Dunkeln liegen, rollte dann meine Strohmatte zusammen und wusch mir das Gesicht. Es war der erste November, ein kalter Tag.

Cicero wohnte auf dem Esquilin in einem bescheidenen zweistockigen Haus, das zwischen einem Tempel und einem Wohnblock erbaut worden war. Wenn man sich allerdings die Muhe machte, aufs Dach zu steigen, dann wurde man mit einem herrlichen Ausblick belohnt, der in westlicher Richtung uber das dunstige Tal bis zu den gro?en Tempeln auf dem etwa eine halbe Meile entfernten Kapitolshugel reichte. Das Haus gehorte eigentlich seinem Vater, aber da der alte Herr nicht mehr der Gesundeste war und nur noch selten vom Land in die Stadt kam, hatte es Cicero ganz fur sich -zusammen mit Terentia, seiner funfjahrigen

Tochter Tullia und zwolf Sklaven: mich, den mir unterstellten Schreibern Sositheus und Laurea, dem Hausverwalter Eros, Terentias geschaftlichem Berater und Privatsekretar Philotimus, zwei Hausmadchen, einem Kindermadchen, einem Koch, einem Diener und einem Turwachter. Dann gab es da noch einen alten blinden Philosophen, den Stoiker Diodotos, der sich gelegentlich aus seinem Zimmer heraustastete und Cicero, wenn es diesem nach einem Disput verlangte, beim Abendessen Gesellschaft leistete. Macht insgesamt funfzehn Haushaltsmitglieder. Terentia beklagte sich zwar standig uber die beengten Verhaltnisse, aber Cicero wollte nicht umziehen, weil er zu jener Zeit immer noch ganz in seiner »Mann-des-Volkes-Rolle« aufging und das Haus perfekt zu seinem Ruf passte.

Wie an jedem Tag, so streifte ich mir auch an jenem Morgen als Erstes eine Kordel uber mein linkes Handgelenk, an der ein kleines, von mir selbst entworfenes Notizbuch hing. Es bestand nicht aus den ublichen ein oder zwei, sondern aus vier Wachstafeln in Buchenholzrahmen, die sehr dunn und auf beiden Seiten beschreibbar waren und uber Scharniere verfugten, sodass ich das Notizbuch auf- und zuklappen konnte. So konnte ich wahrend eines Diktats weitaus mehr Text aufnehmen als ein durchschnittlicher Sekretar, dennoch steckte ich mir angesichts Ciceros gewaltigen Redeflusses immer noch ein paar Notizbucher zur Reserve ein. Dann zog ich den Vorhang des Fensters in meinem winzigen Raum auf, ging durch den Innenhof ins Tablinum, zundete die Lampen an und uberprufte, ob alles an seinem Platz war. Auf dem einzigen Mobelstuck im Raum, einer Anrichte, stand eine Schale mit Kichererbsen. (Ciceros Name war vom Wort cicer abgeleitet, was Kichererbse bedeutet, und da Cicero glaubte, dass in der Politik ein ungewohnlicher Name von Vorteil sei, achtete er sehr darauf, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken.) Wenn alles zu meiner Zufriedenheit war, ging ich durch das Atrium in den Empfangsraum, wo der Turwachter auf mich wartete. Seine Hand lag schon auf dem gro?en eisernen Turriegel. Mit einem Blick durch ein schmales Fenster uberprufte ich, ob es schon hell genug war. Wenn ja, gab ich dem Turwachter mit einem Nicken das Zeichen zum Offnen.

Drau?en in der Kalte wartete schon die ubliche Menge an Unglucksraben und Verzweifelten. Wahrend sie eintraten, notierte ich mir die Namen. Die meisten waren mir bekannt. Fremde fragte ich nach dem Namen. Die ublichen Versager schickte ich wieder weg. Die unumsto?liche Anweisung lautete: »Wenn er wahlen darf, lass ihn rein.« Folglich fullte sich das Tablinum schnell mit nervosen Klienten, von denen jeder seinen Teil an des Senators Zeit beanspruchte. Ich blieb an der Tur stehen, bis ich glaubte, dass alle Wartenden hereingekommen waren, und machte gerade den ersten Schritt zuruck ins Haus, als ein Mann in Trauerkleidung bedrohlich im Turrahmen auftauchte. Ich scheue mich nicht, zu gestehen, dass er mir mit seinem verstaubten Gewand, den zerzausten Haaren und seinem unrasierten Gesicht Angst einjagte.

»Tirol«, sagte er. »Den Gottern sei Dank!« Er sank erschopft gegen den Turrahmen und schaute mich aus blassen, leblosen Augen an. Ich schatze, er muss damals so um die funfzig gewesen sein. Im ersten Augenblick wusste ich nicht, wer er war, aber da es zu den Aufgaben eines politischen Sekretars gehort, Gesichtern Namen zuordnen zu konnen, fugten sich vor meinem geistigen Auge trotz seines Zustandes nach und nach die Teile eines Bildes zusammen: ein gro?es Haus mit Blick aufs Meer, ein kunstvoll angelegter Garten, eine Sammlung Bronzestatuen, eine Stadt irgendwo in Sizilien, im Norden - richtig, Thermae.

»Sthenius aus Thermae«, sagte ich und streckte die Hand aus. »Herzlich willkommen.«

Es stand mir nicht zu, sein Au?eres zu kommentieren oder ihn danach zu fragen, was er Hunderte von Meilen entfernt von zu Hause zu tun habe, und das unter so offensichtlich ublen Umstanden. Ich lie? ihn im Tablinum warten und ging in Ciceros Arbeitszimmer. Der Senator, der an jenem Morgen bei Gericht einen des Vatermordes angeklagten Jugendlichen zu verteidigen hatte und au?erdem zur Nachmittagssitzung im Senat erwartet wurde, knetete zur Kraftigung seiner Fingermuskeln einen kleinen Lederball, wahrend ihm sein Diener die Toga anlegte. Er horte dem jungen Sositheus zu, der ihm einen Brief vorlas, und diktierte gleichzeitig Laurea, dem ich die Grundzuge meiner Kurzschrift beigebracht hatte, eine Botschaft. Als ich eintrat, warf er mir den Ball zu, den ich reflexartig auffing, und bedeutete mir, ihm die Besucherliste zu geben. Er las sie begierig durch, wie jeden Morgen. Wer war ihm uber Nacht ins Netz gegangen? Irgendein prominenter Burger aus einem nutzlichen Wahlbezirk? Einer aus Sabatina vielleicht? Oder Pomptina? Oder ein Geschaftsmann, der so reich war, dass er bei den Konsulatswahlen zu den ersten stimmberechtigten Zenturien gehorte? Aber heute handelte es ich nur um die ublichen kleinen Fische, sodass sein Gesicht immer langer wurde, je naher er dem Ende der Liste kam.

»Sthenius?« Er unterbrach das Diktat. »Das ist doch dieser Sizilier, oder? Der Reiche mit den Bronzestatuen? Schatze, wir horen uns mal an, was er will.«

»Sizilier durfen nicht wahlen«, bemerkte ich.

»Pro bona«, sagte er mit unbewegtem Gesicht. »Au?erdem hat er Bronzestatuen. Lass ihn als Ersten rein.«

Also holte ich Sthenius, dem Ciceros Standardbegru?ung zuteil wurde - ein Lacheln, das schon zu seinem Markenzeichen geworden war; der mannlich kraftige Handedruck mit beiden Handen; der lange, ernste Blick in die Augen. Dann bat er ihn, Platz zu nehmen, und fragte, was ihn nach Rom fuhre. Nach und nach wurden meine Erinnerungen an Sthenius wieder wach. Zwei Mal, als Cicero zur Anhorung von Streitsachen nach Thermae gereist war, hatten wir in seinem Haus ubernachtet. Er war einer der fuhrenden Burger der Provinz gewesen, doch von der Vitalitat und dem Selbstvertrauen von damals war nichts mehr zu spuren. Er brauche Hilfe, sagte er. Er stehe vor

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