dem Ruin. Sein Leben sei in ernster Gefahr. Man habe ihn ausgeraubt.

»Tatsachlich?«, sagte Cicero. Wahrend er mit halbem Ohr zuhorte, schaute er auf eine Urkunde, die vor ihm auf dem Schreibpult lag. Elendsgeschichten wie diese waren fur einen beschaftigten Anwalt nichts Besonderes. »Du hast mein Mitgefuhl. Ausgeraubt von wem?«

»Vom Statthalter in Sizilien, Gaius Verres.«

Der Senator schaute augenblicklich auf.

Danach war Sthenius nicht mehr zu bremsen. Wahrend es nur so aus ihm heraussprudelte, bedeutete mir Cicero mit einer unauffalligen Handbewegung, dass ich mitschreiben solle. Als Sthenius seinen Redefluss kurz unterbrechen musste, um Luft zu holen, bat Cicero ihn behutsam, doch ein bisschen zuruckzugehen, etwa drei Monate, bis zu dem Tag, an dem er den ersten Brief von Verres erhalten habe. »Wie hast du darauf reagiert?«

»Ich war naturlich etwas beunruhigt. Er hat schlie?lich einen gewissen Ruf. Verres hei?t ja Eber, und die Leute nennen ihn den Eber mit der blutverschmierten Schnauze. Ich konnte mich kaum widersetzen.«

»Hast du den Brief noch?«

»Ja.«

»Und in dem Brief hat Verres deine Kunstsammlung explizit erwahnt?«

»Ja, sicher. Er hat geschrieben, dass er davon gehort hatte und dass er sie sich gern anschauen wurde.«

»Und wann ist er dann gekommen und hat sich bei dir eingenistet?«

»Schon bald, hochstens eine Woche spater.«

»War er allein?«

»Nein, er war in Begleitung seiner Liktoren. Die mu?te ich auch unterbringen. Leibwachter sind ja immer grobe Burschen, aber so uble Schlager wie die hatte ich noch nie gesehen. Ihr Anfuhrer Sextius ist der offizielle Scharfrichter fur ganz Sizilien. Er presst seinen Opfern Bestechungsgelder ab. Wenn sie nicht wollen, dass er pfuscht - sie also vor der Exekution ubel zurichtet -, dann mussen sie ihn bestechen.« Sthenius schluckte und atmete schwer. Wir warteten.

»Lass dir ruhig Zeit«, sagte Cicero.

»Ich hatte gedacht, dass er nach der Reise vielleicht erst ein Bad nehmen wollte und dass wir danach zu Abend essen wurden, aber keine Rede davon, er wollte auf der Stelle die Sammlung sehen.«

»Ich kann mich an einige au?ergewohnliche Stucke erinnern.«

»Die Sammlung war mein Leben, Senator, ganz einfach. Drei?ig Jahre Herumreisen und Feilschen. Korinthische und delische Bronzestatuen, Gemalde, Silberzeug - jedes einzelne Stuck habe ich selbst begutachtet und ausgesucht. Ich hatte Myrons Diskuswerfer und den Speertrager von Polyklet. Und ein paar Silberbecher von Mentor. Verres hat mir geschmeichelt. Er hat gesagt, dass die Sammlung ein gro?eres Publikum verdient hatte, sie ware so gut, dass man sie offentlich ausstellen sollte. Ich habe mir nichts dabei gedacht, bis ich plotzlich, als wir zusammen auf der Terrasse beim Abendessen sa?en, aus dem Innenhof Gerausche gehort habe. Mein Verwalter hat mir ins Ohr geflustert, dass ein Ochsengespann gekommen sei und Verres' Liktoren dabei waren, alles aufzuladen.«

Sthenius verstummte. Es war nicht schwer, sich die Schmach fur diesen so stolzen Mann vorzustellen: die in Tranen aufgeloste Frau, die verangstigte Familie, die Staubrander an den Stellen, wo einst die Statuen gestanden hatten. Das einzig horbare Gerausch in Ciceros Arbeitszimmer war das meines kratzenden Griffels auf der Wachstafel.

»Und du hast keinen Einspruch erhoben?«, fragte Cicero.

»Bei wem denn? Beim Statthalter?« Sthenius lachte. »Nein, Senator. Ich war am Leben, oder? Wenn es dabei geblieben ware, hatte ich den Schmerz uber den Verlust heruntergeschluckt, und du hattest nie einen Muckser von mir gehort. Aber die Sammelleidenschaft kann sich zu einer Krankheit auswachsen, und eins kann ich dir sagen: Euren Statthalter Verres hat es schwer erwischt. Erinnerst du dich an die Statuen auf dem Stadtplatz?«

»Und ob ich mich erinnere. Drei exquisite Bronzestatuen. Willst du etwa behaupten, dass er die auch gestohlen hat?«

»Er hat es versucht. Das war am dritten Tag, als er mich gefragt hat, wem die gehoren. Ich habe ihm gesagt, dass sie der Stadt gehorten, schon seit Jahrhunderten. Hast du gewusst, dass die Statuen vierhundert Jahre alt sind? Er hat gesagt, dass er gern die Erlaubnis hatte, sie mit in seinen Amtssitz nach Syrakus zu nehmen, naturlich ebenfalls als Leihgabe, und er hat mich gebeten, seinen Wunsch dem Stadtrat vorzutragen. Da habe ich gewusst, was fur einen Menschen ich vor mir hatte. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihm diesen Gefallen - bei aller Hochachtung - nicht tun konne. Er ist dann noch am selben Abend abgereist, und ein paar Tage spater habe ich eine Vorladung fur den funften Oktober bekommen, weil ich der Falschung beschuldigt worden sei.«

»Von wem kam die Anzeige?«

»Von einem meiner Feinde, Agathinus. Er ist ein Klient von Verres. Mein erster Gedanke war, dass ich das ausfechte. Was meine Ehre angeht, habe ich nichts zu befurchten. Nie in meinem Leben habe ich ein Dokument gefalscht. Aber dann habe ich gehort, dass Verres selbst der Richter sein wurde und dass er die Strafe schon festgesetzt hatte. Fur meine Dreistigkeit sollte ich vor den Augen der ganzen Stadt ausgepeitscht werden.«

»Und dann bist du geflohen.«

»Noch in derselben Nacht mit einem Boot an der Kuste entlang nach Messana.«

Cicero stutzte sein Kinn auf die Hand und schaute Sthenius nachdenklich an. Mir war diese Geste bekannt. Er taxierte die Glaubwurdigkeit des Zeugen. »Du sagst, dass die Verhandlung am funften des letzten Monats war? Hast du in Erfahrung bringen konnen, was an dem Tag passiert ist?«

»Deshalb bin ich hier. Ich bin in Abwesenheit zu offentlicher Auspeitschung und funftausend Sesterzen Strafe verurteilt worden. Aber das ist nicht das Schlimmste. Bei der Verhandlung hat Verres behauptet, dass es neues Beweismaterial gegen mich gebe, diesmal wegen Spionage fur die Rebellen in Spanien. Er hat fur den ersten Dezember eine neue Verhandlung in Syrakus angesetzt.«

»Aber Spionage ist ein Kapitalverbrechen.«

»Du musst mir glauben, Senator, er will mich ans Kreuz schlagen lassen. Er posaunt das schon uberall herum. Ich ware ja nicht der Erste. Ich brauche Hilfe. Ich flehe dich an, bitte hilf mir!«

Ich hatte den Eindruck, er wurde jeden Augenblick auf die Knie fallen und die Fu?e des Senators kussen. Die gleiche Ahnung hatte wohl auch Cicero, denn er stand hastig auf und fing an, im Zimmer auf und ab zu gehen. »Ich glaube, Sthenius, dein Fall hat zwei verschiedene Aspekte. Bei dem ersten, dem Diebstahl deines Eigentums, kann man ehrlich gesagt wohl nichts machen. Was glaubst du denn, warum Manner wie Verres den Statthalterposten anstreben? Weil sie wissen, dass sie sich im Rahmen gewisser Grenzen alles unter den Nagel rei?en konnen, was sie wollen. Der zweite Aspekt, Missachtung des Rechtsweges, sieht da schon vielversprechender aus.

Ich kenne in Sizilien mehrere Manner mit exzellenten juristischen Fahigkeiten - richtig, einer lebt sogar in Syrakus. Ich werde ihm noch heute schreiben und ihn dringend bitten, mir zuliebe deinen Fall zu ubernehmen. Ich werde ihm au?erdem darlegen, was meiner Meinung nach zu tun ist. Er soll bei Gericht den Antrag stellen, die anstehende Klage fur unwirksam zu erklaren mit der Begrundung, dass du dich nicht personlich verteidigen kannst. Sollte das fehlschlagen und Verres das Verfahren durchziehen, soll dein Anwalt nach Rom kommen und die Verurteilung anfechten.«

Aber der Sizilier schuttelte den Kopf. »Wenn ich nur einen Anwalt in Syrakus brauchte, Senator, hatte ich nicht den weiten Weg bis nach Rom gemacht.«

Ich konnte sehen, dass Cicero nicht erfreut daruber war, in welche Richtung sich das Gesprach bewegte. Ein derartiger Fall konnte seine Praxis fur

Tage lahmlegen, und Sizilier waren - worauf ich ihn hingewiesen hatte - in Rom nicht wahlberechtigt. Pro bono - wie wahr!

»Hor zu«, sagte er mit besanftigender Stimme. »Deine Erfolgsaussichten sind gut. Verres ist offensichtlich korrupt. Er missbraucht deine Gastfreundschaft, er stiehlt, er bringt falsche Beschuldigungen vor. Er plant einen Justizmord. Seine Position ist unhaltbar. Ein Anwalt in Syrakus wird damit leicht fertig - ganz sicher, glaub mir. Wenn du mich jetzt entschuldigen wurdest, auf mich warten jede Menge Klienten, au?erdem habe ich in einer knappen Stunde einen Termin bei Gericht.«

Cicero nickte mir zu. Ich trat vor und legte eine Hand auf Sthenius' Arm, um ihn nach drau?en zu geleiten. Der Sizilier schuttelte meine Hand ab. »Aber ich brauche dich«, sagte er hartnackig.

»Warum?«

»Weil ich nur in Rom eine Aussicht auf Gerechtigkeit habe, nicht in Sizilien. Da kontrolliert Verres die

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