Gerichte. Und alle Leute sagen, dass du, Marcus Tullius Cicero, der zweitbeste Anwalt Roms bist.«

»Ach ja, tun das die Leute?« Ciceros Stimme nahm einen sarkastischen Tonfall an. Er hasste dieses Attribut. »Wenn dem so ist, warum gibst du dich dann mit dem Zweitbesten zufrieden? Warum nimmst du nicht gleich Hortensius?«

»Das wollte ich ja«, sagte Sthenius arglos. »Aber er hat abgelehnt. Er vertritt Verres.«

Ich begleitete den Sizilier nach drau?en und ging wieder in Ciceros Arbeitszimmer. Er war allein. Zuruckgelehnt sa? er auf seinem Stuhl, starrte an die Wand und warf den Lederball von einer Hand in die andere. Juristische Fachbucher lagen unordentlich auf seinem Schreibpult herum. Eins, das er aufgeschlagen hatte, hie? Juristische Verfahrensregeln und war von Hostilius. Ein anderes war Manilius' Kauf- und Verkaufsvertrage.

»Erinnerst du dich an den Besoffenen am Pier von Puteoli? Den mit den roten Haaren? Als wir gerade aus Sizilien eingelaufen waren? >Hort, hort, guter Mann! Er ist auf dem Ruckweg aus seiner Provinz ...

Ich nickte.

»Das war Verres.« Der Ball hupfte von der linken in die rechte, von der rechten in die linke Hand. »Der Bursche bringt noch die gute alte Korruption in Verruf.«

»Mich uberrascht, dass Hortensius sich mit ihm einlasst.«

»Das uberrascht dich? Mich nicht.« Er horte auf, mit dem Ball zu spielen. Nachdenklich betrachtete er die Lederkugel, die auf seiner ausgestreckten Hand lag. »Der Tanzmeister und der Eber ...« Eine Zeit lang brutete er vor sich hin. »Ein Mann in meiner Lage musste verruckt sein, wenn er sich in ein Scharmutzel mit dem Duo Hortensius/Verres einlie?e. Und das auch noch wegen eines Siziliers, der nicht mal Burger Roms ist.«

»Wie wahr.«

»Wie wahr«, wiederholte er. Wegen der seltsam zogernden Art, wie er diese beiden Worte aussprach, frage ich mich allerdings noch heute manchmal, ob er nicht genau in dieser Sekunde eine Ahnung von der Tragweite des Falles bekommen hatte, von der au?erordentlichen Palette an Moglichkeiten und daraus resultierenden Folgen, die sich plotzlich in seinem Kopf wie zu einem Mosaik zusammensetzten. Wenn ja, so habe ich es zumindest nie erfahren, denn in diesem Augenblick platzte noch im Nachthemd seine Tochter Tullia herein, um ihm eine ihrer kindlichen Zeichnungen zu zeigen. Sofort gehorte seine ganze Aufmerksamkeit ihr. Er hob sie hoch und setzte sie sich auf den Scho?. »Hast du das gezeichnet? Hast du das wirklich selbst gemacht ...?«

Ich lie? die beiden allein und ging ins Tablinum, um den Wartenden mitzuteilen, dass der Senator auf dem Weg ins Gericht sei und jetzt keine Zeit mehr habe. Der immer noch jammerlich dreinblickende Sthenius fragte mich, wann er mit einer Antwort rechnen konne, worauf ich ihm nur sagen konnte, er musse sich gedulden wie jeder andere auch. Kurz darauf erschien Cicero mit der kleinen Tullia an der Hand und begru?te jeden mit Namen (»Die wichtigste Regel in der Politik, Tiro: Vergiss nie ein Gesicht!«). Wie immer war seine Erscheinung makellos: pomadisiertes, glatt zuruckgekammtes Haar, parfumierte Haut, die Toga frisch gewaschen und gebugelt, kein Staubkornchen auf den rot glanzenden Lederschuhen, das Gesicht braun gebrannt vom jahrelangen Pladieren unter freiem Himmel. Gepflegt, schlank, fit. Kurz: ein glanzender Auftritt. Seine Gaste folgten ihm in den Flur, wo er sein kleines strahlendes Madchen hochhob und den Anwesenden prasentierte. Dann drehte er Tullias Gesicht zu sich und kusste sie zum Abschied laut schmatzend auf die Lippen. Ein lang gezogenes »Ahh!«, vereinzeltes Klatschen war zu horen. Der Abschiedskuss war nicht nur Inszenierung - wenn er allein gewesen ware, hatte er es nicht anders gemacht, denn sein Leben lang hat er nie jemanden mehr geliebt als seinen Liebling Tulliola. Aber er wusste auch, dass das romische Wahlvolk ein sentimentaler Haufen war, und wenn sich seine vaterliche Hingabe herumsprach, wurde ihm das jedenfalls nicht schaden.

Und so traten wir an diesem vielversprechenden Novembermorgen hinaus in die zum Leben erwachende Stadt. Cicero ging voraus, ich an seiner Seite, die Wachstafel einsatzbereit; hinter uns Sositheus und Laurea mit den Korben, die die Beweismittel fur Ciceros Auftritt bei Gericht enthielten; und um uns herum ein bunt zusammengewurfelter Haufen von etwa zwei Dutzend Bittstellern und Anhangern, darunter Sthenius, die die Aufmerksamkeit des Senators zu erregen versuchten, aber auch schon damit zufrieden waren, sich nur in seiner Nahe aufhalten zu durfen. Von den Hohen des schattigen, vornehmen Esquilin tauchten wir in den larmenden, dunstigen Gestank von Subura ein. Die Mietshauser waren so hoch, dass kein Sonnenstrahl den Boden erreichte, und die schiebenden Menschenmengen rissen immer wieder Lucken in die Schar unserer Begleiter, die es jedoch irgendwie schafften, nie den Anschluss zu verlieren. Cicero war ein bekannter Mann in diesem Viertel, er war ein Held fur die Ladenbesitzer und Handler, deren Interessen er vertreten hatte und die ihn schon seit Jahren durch ihre Stra?en gehen sahen. Nicht ein einziges Mal verlangsamte er seinen schnellen Schritt, und doch registrierten seine wachsamen blauen Augen jeden geneigten Kopf, jede gru?ende Hand, und nie musste ich ihm einen Namen ins Ohr flustern - er kannte seine Wahler weit besser als ich.

Ich wei? nicht, wie es heute ist, aber damals gab es sechs oder sieben Gerichtshofe, die fast immer tagten, jeder in einem anderen Teil des Forums. Zur Stunde, wenn sie alle gleichzeitig ihre Sitzungen eroffneten, konnte man sich deshalb kaum ruhren, so viele Anwalte und Gerichtsbedienstete eilten geschaftig herum. Das Gedrange wurde noch dadurch verschlimmert, dass dem Prator jedes Gerichtshofes von seinem Wohnhaus bis zum Forum ein halbes Dutzend Liktoren voranging, die ihm den Weg bahnten, und so wollte es der Zufall, dass an jenem Tag unser kleines Gefolge genau zu jenem Zeitpunkt auf dem Forum einzog, als auch Hortensius, der damals selbst Prator war, mit seinem Tross dem Senat zustrebte. Wir wurden von seinen Wachen zuruckgehalten, damit der gro?e Mann passieren konnte, und bis heute glaube ich nicht, dass Hortensius Cicero mit Vorsatz ignorierte, denn er war ein Mann mit kultivierten, fast femininen Umgangsformen. Ich glaube, er hat uns einfach nicht gesehen. Die Folge war jedoch, dass dem sogenannten zweitbesten Advokaten Roms der freundliche Gru? auf den Lippen erstarb und er dem sich entfernenden Rucken des sogenannten besten Advokaten mit derart tiefer Verachtung hinterherschaute, dass ich mich wunderte, warum Hortensius nicht den Arm hob und sich zwischen seinen Schulterblattern kratzte.

Unser Fall an diesem Morgen wurde vor dem obersten Strafgericht verhandelt, das vor der Basilica Aemilia zusammentrat. Der funfzehnjahrige Gaius Popillius Laenas war angeklagt, seinen Vater getotet zu haben, indem er ihm einen Schreibgriffel aus Metall ins Auge gerammt hatte. Das Podium wurde schon von einer gro?en Menschenmenge umringt. Ciceros Schlussrede fur die Verteidigung stand auf der Tagesordnung. Das war Attraktion genug. Sollte Cicero es nicht schaffen, die Geschworenen zu uberzeugen, wurde Popillius als Vatermorder verurteilt. Man wurde ihn nackt ausziehen, blutig peitschen und dann zusammen mit einem Hund, einem Hahn und einer Schlange in einen Sack einnahen und in den Tiber werfen. Ein Hauch Gier nach Blut hing in der Luft. Als die Zuschauer zur Seite traten, um uns durchzulassen, warf ich einen Blick auf den jungen Popillius, der beruchtigt war fur seine Gewalttatigkeit. Seine Augenbrauen bildeten einen durchgehend dicken schwarzen Strich. Er sa? neben seinem Onkel auf der Bank, die fur die Verteidigung reserviert war, schaute finster und verachtlich in die Menge und spuckte jeden an, der ihm zu nahe kam. »Wir mussen ihn unbedingt freibekommen«, sagte Cicero zu mir. »Schon damit den armen Tieren die Tortur erspart bleibt, mit ihm in einen Sack gesteckt zu werden.« Er bestand immer darauf, dass es nicht Sache des Anwalts sei, sich den Kopf uber Schuld oder Unschuld eines Mandanten zu zerbrechen: Das sei Sache des Gerichts. Seine Pflicht sei es lediglich, sein Bestes zu tun. Als Gegenleistung sahen sich die Popilii Laeni, die sich mit vier Konsuln in ihrem Stammbaum brusten konnten, in der Pflicht, ihn zu unterstutzen, wann immer er ein Offentliches Amt anstrebte.

Sositheus und Laurea stellten die Korbe mit den Beweismitteln ab, und ich buckte mich gerade, um den ersten aufzuschnuren, als Cicero sagte: »Spar dir die Muhe.« Er tippte sich mit dem Zeigefinger an die Schlafe. »Die Rede ist hier gespeichert.« Er beugte sich zu seinem Mandanten vor und begru?te ihn hoflich: »Guten Morgen, Popillius. Das haben wir gleich erledigt, glaube mir.« Dann wandte er sich wieder mir zu und sagte leise: »Ich habe eine wichtigere Aufgabe fur dich. Gib mir deine Wachstafel. Ich will, dass du zum Senat gehst, den Protokollfuhrer auftreibst und vorfuhlst, ob er das hier noch auf die Tagesordnung fur heute Nachmittag setzen kann.« Er schrieb schnell. »Sag unserem Freund aus Sizilien noch nichts davon. Das ist nicht ganz ungefahrlich. Wir mussen behutsam vorgehen, ein Schritt nach dem andern.«

Erst als ich das Gericht verlassen und das Forum auf dem Weg zum Senat schon halb durchquert hatte, wagte ich, einen Blick auf die Wachstafel zu werfen ... dass nach Auffassung dieses Hauses in den Provinzen die Strafverfolgung von Personen, die Kapitalverbrechen beschuldigt werden, in deren Abwesenheit verboten werden sollte. Ich spurte ein Ziehen in meinem Brustkorb, weil ich sofort erkannte, was das bedeutete. Schlau, behutsam und verdeckt traf Cicero Vorbereitungen, seinem gro?en Rivalen den Kampf anzusagen. Ich uberbrachte eine Kriegserklarung.

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