Cicero sprang sofort auf, um einen Tagesordnungspunkt anzumelden, doch Gellius lehnte ab, sodass Catulus seine Rede fortsetzen konnte. Er redete und redete und erging sich -praktisch beginnend mit der Zeit der Saugung des Knaben Romulus durch die Wolfin - in einer endlosen Darlegung der Geschichte der Verwaltung der Provinzen. (Catulus' Vater, der auch Konsul gewesen war, hatte sich auf beruhmt gewordene Weise das Leben genommen: Er hatte sich in einem luftdicht versiegelten Raum eingeschlossen, hatte ein Holzkohlenfeuer angezundet und war am Rauch erstickt. Cicero pflegte zu sagen, dass er das wohl getan habe, um nie wieder eine Rede seines Sohnes ertragen zu mussen.) Als Catulus schlie?lich zu einer Art Ende fand, ubergab er das Wort umgehend an Quintus Metellus, sodass sich der gleich aufspringende Cicero wiederum dem Senioritatsprinzip beugen musste. Metellus war Prator, und solange er das Wort nicht abgab, was er naturlich nicht tat, hatte Cicero kein Rederecht. Eine Zeit lang blieb er storrisch stehen, trotz lauter werdender Protestrufe. Schlie?lich jedoch zupften die Manner, die links und rechts von ihm sa?en, an seiner Toga, sodass er letztendlich kapitulierte und sich wieder setzte. Einer dieser Senatoren war Servius, ein befreundeter Rechtsanwalt, dem Ciceros Wohlergehen am Herzen lag und der erkannte, dass er im Begriff war, sich lacherlich zu machen.

Es war verboten, in der Kammer eine Lampe oder eine Kohlenpfanne zu entzunden. Mit zunehmender Dunkelheit wurde es auch kuhler, und die Ansammlung wei? gewandeter Gestalten, die regungslos im dammernden Novemberlicht sa?, glich einem Geisterparlament. Nachdem Metellus eine Ewigkeit schwadroniert hatte, ubergab er das Wort an Hortensius - einen Mann, der sich stundenlang uber jedes beliebige Thema auslassen konnte. Jedem war klar, dass die Debatte beendet war, und kurz darauf loste Gellius die Versammlung auf. Gefolgt von vier Liktoren, die seinen kurulischen Stuhl trugen, humpelte der alte Mann durch den Mittelgang seinem Abendessen entgegen. Als er durch die Tur verschwunden war, stromten auch die Senatoren aus dem Saal. Sthenius und ich entfernten uns etwas vom Eingang und warteten auf Cicero. Allmahlich zerstreute sich die Menge. Der Sizilier locherte mich mit Fragen, was hier eigentlich gespielt werde, doch ich hielt es fur kluger, den Mund zu halten. Schweigend warteten wir. Ich stellte mir vor, wie Cicero allein auf seiner hinteren Bank sa?, wie er abwartete, bis sich die Kammer geleert hatte, damit er beim Hinausgehen mit niemandem sprechen musste. Ich furchtete, dass er einen schlimmen Gesichtsverlust erlitten hatte. Doch zu meiner Uberraschung kam er, entspannt mit Hortensius und einem alteren, mir unbekannten Senator plaudernd, aus dem Saal spaziert. Sie blieben auf den Stufen des Senatsgebaudes stehen, unterhielten sich noch eine Weile und trennten sich dann.

»Wei?t du, wer das war?«, fragte Cicero, als er zu uns herubergekommen war. Er schien bester Stimmung zu sein, alles andere als niedergeschlagen. »Das war Verres' Vater. Er hat mir versprochen, seinem Sohn zu schreiben und ihn dringend zu bitten, die Anklage fallen zu lassen, wenn wir uns einverstanden erklaren, die Angelegenheit im Senat nicht wieder zur Sprache zu bringen.«

Der arme Sthenius war so erleichtert, dass ich glaubte, er wurde gleich in Tranen ausbrechen vor Dankbarkeit. Er fiel auf die Knie und kusste Ciceros Hande. Cicero verzog das Gesicht und sagte, er solle aufstehen. »Mein lieber Sthenius, spar dir den Dank auf, bis ich wirklich etwas erreicht habe. Er hat nur versprochen, ihm zu schreiben. Das ist noch keine Garantie.«

»Aber du nimmst sein Angebot doch an, oder?«, fragte Sthenius.

Cicero zuckte mit den Achseln. »Habe ich eine Wahl? Selbst wenn ich den Antrag noch einmal einbringe, werden sie ihn mit ihrem Rederecht wieder scheitern lassen.«

Ich konnte nicht widerstehen zu fragen, warum Hortensius dann uberhaupt so einen Handel anbot.

Cicero nickte bedachtig. »Tja, das ist eine gute Frage.« Vom Tiber stieg Nebel auf, und die Lampen in den Laden am Argiletum verstromten ein fahles gelbliches Licht. Cicero sog die feuchtkuhle Luft ein. »Ich nehme an, dass ihn die Sache doch peinlich beruhrt hat. Was bei ihm schon einiges hei?en will. Es scheint so, dass sogar ein Hortensius nicht mit einem derart schamlosen Kriminellen in Verbindung gebracht werden will. Also versucht er, die Angelegenheit gerauschlos beizulegen. Ich frage mich, wie viel er von Verres kassiert hat. Muss eine gewaltige Summe sein.«

»Hortensius war nicht der Einzige, der Verres zur Seite gesprungen ist«, warf ich ein.

»Das stimmt allerdings.« Cicero wandte sich um und schaute zum Senatsgebaude. Anscheinend war ihm gerade ein neuer Gedanke gekommen. »Die stecken da alle mit drin. Die Metellus-Bruder sind Aristokraten bis ins Mark. Die wurden keinen Finger fur jemanden au?erhalb ihres Standes ruhren, es sein denn fur Geld. Was Catulus angeht, der tut fur Gold alles. Das Kapitol sieht mehr nach einem Catulus-Schrein als nach einem fur Jupiter aus, mit so vielen Gebauden hat der Mann in den letzten zehn Jahren den Hugel bepflastert. Tja, Tiro, ich schatze, dass die, mit denen wir es heute Nachmittag zu tun hatten, etwa eine halbe Million Sesterzen schwer waren - und zwar an Bestechungsgeldern. Um sich Schutz solchen Kalibers zu kaufen, Sthenius - verzeih mir, wenn ich das so sage -, reichen ein paar delische Bronzestatuen nicht aus. Aber was fuhrt Verres da unten in Sizilien im Schilde?« Plotzlich zog er seinen Siegelring vom Finger. »Lauf mit dem Ring ruber zum Staatsarchiv, Tiro. Zeig ihn einem der Sekretare da und sag, du willst in meinem Namen Einsicht in alle offiziellen Abrechnungen zwischen Gaius Verres und dem Senat.«

Ich muss ziemlich entsetzt ausgesehen haben. »Aber im Staatsarchiv haben Catulus' Leute das Sagen. Er erfahrt sicher davon.«

»Daran kann ich auch nichts andern.«

»Aber wonach soll ich uberhaupt suchen?«

»Nach allem, was irgendwie auffallig ist. Das merkst du dann schon. Los, lauf, solange es noch hell ist.« Er legte den Arm um Sthenius' Schultern. »Und du, Sthenius, du kommst doch heute Abend zum Essen zu uns, oder? Meine Frau wird sich bestimmt freuen.«

Das bezweifelte ich, aber naturlich stand es mir nicht zu, das auch zu sagen.

*

Mangels ebenburtiger Gebaude dominierte das wuchtige Staatsarchiv, das damals erst seit sechs Jahren existierte, das Forum noch deutlicher als heute. Ich stieg die breite Treppe zur ersten Galerie hinauf und war, als ich schlie?lich einen Schreiber fand, schon vollig au?er Atem. Ich zeigte ihm das Siegel und forderte im Namen von Senator Cicero Einsicht in Verres' Abrechnungen. Zunachst behauptete er, nie von einem Senator Cicero gehort zu haben, und au?erdem wurde das Gebaude gerade geschlossen. Ich deutete zum Carcer, dem Staatsgefangnis, und sagte mit fester Stimme, wenn er nicht wegen Behinderung von Amtsgeschaften einen Monat in Ketten verbringen wolle, solle er mir umgehend die Unterlagen herbeischaffen. (Eins der Dinge, die ich von Cicero gelernt hatte, war, keine Nerven zu zeigen.) Der Schreiber schaute mich finster an, dachte kurz nach und sagte dann, ich solle ihm folgen.

Das Staatsarchiv war Catulus' Reich, ein Tempel fur ihn und seine Familie. Uber den Bogenoffnungen stand die Inschrift Q. Lutatius Catulus, Sohn des Quintus, Enkel des Quintus, Konsul, per Senatsdekret mit der Erbauung des Staatsarchivs beauftragt und von diesem fur gut befunden. Neben dem Eingang befand sich eine lebensgro?e Statue von Catulus, die aber jugendlicher und heroischer aussah als der Mann an jenem Nachmittag im Senat. Die meisten Schreiber im Archiv waren Sklaven oder Freigelassene von Catulus, auf ihren Tuniken war sein Emblem, ein kleiner Hund, eingenaht. Eigentlich sollte ich jetzt erzahlen, was fur ein Mann Catulus war. Die Schuld am Selbstmord seines Vaters gab er dem Prator Gratidianus - einem entfernten Verwandten Ciceros und Anhanger der Popularen. Nach dem Sieg der Aristokraten im Burgerkrieg zwischen Marius und Sulla nutzte er die Gelegenheit zur Rache. Sein junger Schutzling Sergius Catilina prugelte auf sein Gehei? Gratidianus durch die Stra?en Roms bis zu Catulus' Familiengruft. Dort wurden ihm die Arme und Beine gebrochen, die Nase und die Ohren abgeschnitten, die Zunge herausgerissen und die Augen ausgestochen. Derart grasslich verstummelt, wurde ihm dann noch der Kopf abgehackt, den Catilina triumphierend durch die Stadt trug und dem auf dem Forum auf ihn wartenden Catulus ubergab. Jetzt kann man sicherlich verstehen, weshalb ich so nervos war, wahrend ich darauf wartete, ins Archiv eingelassen zu werden.

Die Dokumente des Senats wurden in brandsicheren Tresorraumen aufbewahrt, die in den Fels des Kapitols gehauen waren und denen kein Blitzschlag etwas anhaben konnte. Als die Sklaven die gro?e Bronzetur offneten, fiel mein Blick auf Tausende und Abertausende von Papyrusrollen, die sich im Dunkeln des heiligen Hugels stapelten. Funfhundert Jahre Geschichte lagerten in diesem einen kleinen Gewolbe: ein halbes Millennium an Amtszeiten von Magistraten und Provinzstatthaltern, an Dekreten von Prokonsuln, an Rechtsverordnungen; von Lusitanien bis Makedonien, von Afrika bis Gallien; und in den meisten Dokumenten gaben wenige, immer gleiche Familien den Ton an - die Aemilii, Claudii, Cornelii, Lutatii, Metelli, Servilii. Aus dem, was hier vor mir lag, bezogen Catulus und seinesgleichen die Selbstgewissheit, um auf Ritter aus der Provinz wie Cicero herabblicken zu konnen.

Wahrend sie nach Verres' Dokumenten suchten, lie?en mich Catulus' Sklaven in einem Vorraum warten.

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