Schlie?lich kehrten sie zuruck und stellten mir einen einzigen Korb mit etwa einem Dutzend Papyrusrollen hin. An der Beschriftung der Rollen erkannte ich, dass die Abrechnungen alle aus seiner Zeit als Stadtprator stammten - mit einer Ausnahme: ein mickeriges Stuck Papyrus, das man kaum aufrollen musste, um dessen sparlichen Inhalt zu lesen. Es ging um seine Arbeit als Quastor zur Zeit des Krieges zwischen Sulla und Marius vor zwolf Jahren und umfasste nur drei Satze:
»Ist das alles?«
Sonst sei nichts da, versicherte mir der Sklave.
»Und die Berichte aus Sizilien?«
»Die liegen der Staatskasse noch nicht vor.«
»Liegen noch nicht vor? Verres ist schon seit fast zwei Jahren Statthalter in Sizilien.«
Der Mann schaute mich ausdruckslos an, und ich erkannte, dass es keinen Sinn hatte, noch mehr Zeit mit ihm zu verschwenden. Ich schrieb die drei Satze ab und ging.
Wahrend meines Aufenthalts im Staatsarchiv war es in Rom dunkel geworden. In Ciceros Haus hatte sich die Familie schon zum Abendessen versammelt. Cicero hatte jedoch dem Hausverwalter Eros strikte Anweisung gegeben, mich nach meiner Ruckkehr sofort ins Esszimmer fuhren zu lassen. Cicero hatte sich neben Terentia auf einer Speiseliege ausgestreckt. Sein Bruder Quintus und dessen Frau Pomponia waren ebenfalls anwesend. Die dritte Liege wurde von Ciceros Vetter Lucius und dem ungluckseligen Sthenius belegt, dem deutlich anzumerken war, dass er sich in seiner schmutzigen Trauerkleidung au?erst unbehaglich fuhlte. Ich spurte sofort die Spannung im Raum, obwohl Cicero selbst bester Laune war. Er liebte gemeinsame Abendessen. Nicht wegen des Essens oder Trinkens, sondern wegen der Gesellschaft und der Gesprache. Quintus und Lucius waren neben Atticus die Manner, die er am meisten mochte.
»Nun?«, sagte er zu mir. Ich erzahlte ihm, was passiert war, und zeigte ihm die Abschrift von Verres' Quastoren-Abrechnung. Er las sie durch, brummte etwas und warf die Wachstafel uber den Tisch. »Schau dir das an, Quintus. Der Dreckskerl ist sogar zu faul, um einigerma?en glaubwurdig zu lugen. Sechshunderttausend - hubsche runde Summe, kein Sesterz zu wenig, keiner zu viel. Wohin sind die wohl verschwunden? Passenderweise hatten damals die Oppositionstruppen die Stadt besetzt, kein Problem, das denen in die Schuhe zu schieben. Und keine Abrechnungen aus Sizilien -
»O ja, in
»Aus Thermae, Gnadigste.«
»Thermae. Nie davon gehort, aber ich bin sicher, es ist reizend dort. Du kannst vor dem Stadtrat Reden halten, Cicero. Vielleicht wahlen sie dich da unten sogar, in Rom hast du dir die Turen ja selbst verrammelt. Du kannst Konsul von Thermae werden - und ich die Konsulin.«
»Eine Rolle, die du sicher mit der dir eigenen Grazie ausfullen wirst, meine Liebe«, sagte Cicero und tatschelte ihr den Arm.
Stundenlang konnten sie sich so mit Hohn uberschutten. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass ihnen das sogar Spa? machte.
»Ich sehe immer noch nicht, was du dagegen machen willst«, sagte Quintus, der gerade seinen Militardienst abgeleistet hatte. Er war vier Jahre junger als sein Bruder und nicht halb so schlau. »Wenn du Verres' Machenschaften im Senat anprangern willst, dann lassen sie dich mit ihrem Rederecht auflaufen. Und wenn du ihn vor Gericht bringst, dann werden sie ihn freisprechen. Wenn du mich fragst, halt dich da raus.«
»Und was meinst du, Lucius?«
»Kein Ehrenmann im romischen Senat kann derartiger Korruption tatenlos zusehen. Du kennst jetzt die Tatsachen, also hast du die Pflicht, sie Offentlich zu machen.«
»Bravo!«, sagte Terentia. »So spricht ein wahrer Philosoph, der sich nie in seinem Leben um ein offentliches Amt beworben hat.«
Pomponia gahnte laut. »Konnen wir nicht uber etwas anderes sprechen? Politik ist so ode.«
Pomponia war eine einschlafernde Person, die au?er ihrer beachtlichen Oberweite nur noch den Vorzug hatte, dass sie Atticus' Schwester war. Ich sah, wie sich die Blicke der beiden Cicero-Bruder begegneten und mein Herr kaum merklich den Kopf schuttelte: einfach ignorieren, bedeutete sein Gesichtausdruck, hat keinen Sinn, mit ihr zu streiten. »Einverstanden«, sagte er. »Kein Wort mehr uber Politik heute Abend. Ich bringe einen Trinkspruch aus.« Er hob seinen Becher, und die anderen folgten seinem Beispiel. »Auf unseren alten Freund Sthenius. Wenn wir auch heute nichts erreicht haben, so ist doch wenigstens der erste Schritt getan, um ihn wieder in seine alten Besitzrechte einzusetzen. Auf Sthenius!«
Tranen der Dankbarkeit standen dem Sizilier in den Augen.
»Auf Sthenius!«
»Und auf Thermae, Cicero«, fugte Terentia hinzu, deren kleine dunkle Xanthippe-Augen ihn uber den Rand ihres Bechers boshaft anfunkelten. »Wir wollen doch Thermae nicht vergessen.«
*
Ich a? allein in der Kuche und ging dann erschopft in mein Zimmer. Ich zundete die Lampe an, um noch in einem Philosophiebuch zu lesen, war aber zu mude. (Mir stand es frei, jedes beliebige Buch aus der kleinen Hausbibliothek auszuleihen.) Spater horte ich, wie die Gaste das Haus verlie?en, die Turriegel vorgeschoben wurden und wie Cicero und Terentia wortlos die Treppe hinauf und oben in verschiedenen Richtungen weitergingen. Um nicht schon vor Sonnenaufgang geweckt zu werden, schlief Terentia schon seit langem in einem anderen Teil des Hauses. Ich horte Ciceros Schritte uber mir, dann blies ich die Lampe aus. Die auf und ab gehenden Schritte Ciceros waren die letzten Gerausche, die ich vor dem Einschlafen noch wahrnahm.
Sechs Wochen spater erreichten uns Neuigkeiten aus Sizilien. Verres hatte die dringende Bitte seines Vaters ignoriert. In Syrakus hatte er am ersten Dezember wie angekundigt die Verhandlung in Sthenius' Abwesenheit eroffnet, hatte ihn der Spionage fur schuldig befunden, zum Tod am Kreuz verurteilt und seine Beamten nach Rom entsandt, um ihn festnehmen und zur Hinrichtung zuruckbringen zu lassen.
KAPITEL III
Cicero wurde von der niedertrachtigen Kampfansage des Statthalters von Sizilien uberrumpelt. Er war davon uberzeugt gewesen, eine Ubereinkunft auf Treu und Glauben getroffen zu haben, die das Leben seines Klienten schutzen wurde. »Aber auf wessen Treu und Glauben kann man sich heutzutage noch verlassen?«, beklagte er sich bitter. Wutschnaubend, was vollig untypisch fur ihn war, tobte er durchs Haus. Er war aufs Kreuz gelegt worden! Sie hatten ihn lacherlich gemacht! Er wurde runter in den Senat marschieren und ihnen auf der Stelle ihre schandlichen Lugen ins Gesicht schleudern! Ich wusste, dass er sich schon bald wieder beruhigen wurde, denn ihm war nur zu bewusst, dass sein gesellschaftlicher Rang nicht ausreichte, um einfach eine Anhorung im Senat zu verlangen: Er wurde Gefahr laufen, gedemutigt zu werden.
Allerdings lastete nun unausweichlich die druckende Verpflichtung auf ihm, seinem Klienten Schutz zu gewahren. Und so berief Cicero am Morgen, nachdem Sthenius von seinem Schicksal erfahren hatte, ein Treffen in seinem Arbeitszimmer ein, um eine Gegenstrategie festzulegen. Soweit ich mich erinnern kann, war dies das erste Mal, dass die ublichen Besucher allesamt abgewiesen wurden. Zu sechst drangten wir uns in das kleine Zimmer: Cicero, Quintus, Lucius, Sthenius, ich selbst (um mitzuschreiben) und Servius Sulpicius, der schon damals allgemein als der fahigste Rechtsgelehrte seiner Generation angesehen wurde. Cicero bat als Erstes Servius, uns seine Sicht der juristischen Lage zu erlautern.
»Theoretisch«, sagte Servius, »hat unser Freund das Recht, in Syrakus Berufung gegen das Urteil einzulegen. Aber nur beim Statthalter, und das ist Verres. Das ist also kein gangbarer Weg. Klage gegen Verres selbst einzureichen ist auch keine Option: Als amtierender Statthalter genie?t er politische Immunitat, au?erdem ist