Hortensius noch bis Januar Prator des Gerichtshofes fur Erpressungen. Und abgesehen von diesen beiden Aspekten, sa?en auf der Geschworenenbank ausschlie?lich Senatoren, die nie einen der Ihren verurteilen wurden. Du konntest einen Antrag im Senat einbringen, aber da du das schon erfolglos versucht hast, wurde ein erneuter Vorsto? auch kein anderes Ergebnis bringen. Weiter offiziell in Rom zu leben ist auch keine Option fur Sthenius. Da eine wegen eines Kapitalverbrechens verurteilte Person automatisch der Stadt verwiesen wird, kann er unmoglich hierbleiben. Solltest du ihn unter deinem Dach beherbergen, Cicero, setzt du dich sogar selbst der Strafverfolgung aus.«
»Wie lautet also dein Rat?«
»Selbstmord«, sagte Servius. Sthenius stohnte grasslich auf. »Ernsthaft, Sthenius, ich furchte, du musst das in Betracht ziehen, bevor sie dich in die Finger bekommen. Oder willst du die Qualen der Peitsche, der gluhenden Eisen oder des Kreuzes erdulden?«
»Ich danke dir, Servius«, unterbrach ihn Cicero schnell, bevor der junge Rechtsgelehrte noch weiter ins Detail gehen konnte. »Tiro, wir mussen fur Sthenius einen Unterschlupf finden. Er kann nicht bleiben, hier schauen sie als Erstes nach. Was die juristische Lage angeht, Servius, so stimme ich mit deiner Analyse voll und ganz uberein. Verres ist ein primitives Tier, aber er ist auch schlau. Er hat sich stark genug gefuhlt, den Prozess bis zum Schuldspruch durchzuziehen. Um es kurz es machen: Nachdem ich die Angelegenheit in der letzten Nacht von allen Seiten beleuchtet habe, haben wir meiner Meinung nach nur eine einzige, wenn auch geringe Chance.«
»Welche?«
»Wir gehen vors Volkstribunat.«
Die Reaktion auf den Vorschlag war allgemeines Unbehagen, denn die Volktribunen hatten in jener Zeit einen au?erst zweifelhaften Ruf. Von alters her hatten sie dem Willen des gemeinen Volkes Ausdruck verliehen und so eine Kontrollfunktion gegenuber der Macht des Senats ausgeubt. Vor zehn Jahren jedoch, nach dem Sieg Sullas uber Marius, hatten die Aristokraten sie ihres Einflusses beraubt. Seitdem waren sie nicht mehr befugt, Volksversammlungen einzuberufen, Gesetze zu beantragen oder Figuren wie Verres wegen schwerer Verbrechen oder Amtsvergehen anzuklagen. Die endgultige Degradierung erfolgte dann, als jeder Senator, der Volkstribun wurde, automatisch von der hoheren Amterlaufbahn ausgeschlossen wurde. Er konnte weder zum Prator noch zum Konsul gewahlt werden. Mit anderen Worten. Das Amt des Volkstribuns war zu einer politischen Sackgasse umgestaltet worden, zur Abstellkammer fur die Giftspritzer und Geiferer, fur die Unfahigen und Unvermittelbaren, kurz: fur den Ausschuss des Politikbetriebs. Kein Senator, gleich welchen Standes oder von welchem Ehrgeiz auch immer getrieben, wurde an das Amt des Volkstribunen auch nur einen Gedanken verschwenden.
»Ich kenne eure Einwande«, sagte Cicero und bedeutete den Anwesenden mit einer Handbewegung, sich wieder zu beruhigen. »Eine kleine Einflussmoglichkeit ist den Volkstribunen aber dennoch geblieben. Oder, Servius?«
»Das stimmt«, sagte Servius. »Sie verfugen noch uber ein Zipfelchen ihrer
»Was die Gefahr angeht, wenn wir uns mit den Volkstribunen einlassen, stimme ich Servius zu«, sagte Quintus. (Wenn er von seinem alteren Bruder sprach, hie? das bei Quintus in der Regel »wir«.) »Die Macht in Rom liegt in diesen Tagen nun mal in den Handen des Senats und der Aristokraten, ob uns das gefallt oder nicht. Deshalb haben wir ja auch immer die Strategie verfolgt, deinen Ruhm ganz behutsam uber deine Arbeit bei Gericht aufzubauen. Bei den wirklich wichtigen Leuten wird der Schaden irreparabel sein, falls sich herumsprechen sollte, dass du ebenfalls nur so ein Krawallmacher bist. Au?erdem ... ich sage das nur ungern, Marcus ... aber hast du mal daran gedacht, wie Terentia das wohl auffassen wurde, wenn du bei dieser Linie bleibst?«
Servius brach in schallendes Gelachter aus. »Wie willst du Rom erobern, Cicero, wenn du nicht einmal deine Frau im Zaum halten kannst?«
»Eins darfst du mir glauben, Servius, verglichen mit meiner Frau ist Rom ein Kinderspiel.«
Und so ging die Diskussion weiter. Lucius war dafur, sich sofort an die Volkstribunen zu wenden -egal, welche Folgen das haben wurde. Sthenius hatten Elend und Angst so betaubt, dass er zu keiner verstandlichen Aussage fahig war. Ganz zum Schluss fragte Cicero mich nach meiner Meinung. In anderer Gesellschaft hatte seine Frage vielleicht Aufsehen erregt, da in den Augen der meisten Romer die Meinung eines Sklaven nicht viel zahlte. Diese Manner jedoch waren daran gewohnt, dass Cicero mich hin und wieder um Rat fragte. Ich konne mir nicht vorstellen, begann ich vorsichtig, dass Hortensius sonderlich erfreut uber Verres' Vorgehen sei und dass die Aussicht, der Fall konne sich zu einem Skandal auswachsen, ihn vielleicht notige, seinen Klienten durch mehr Druck zur Vernunft zu bringen. Sich an die Volkstribunen zu wenden, sei nicht ungefahrlich, aber unter Berucksichtigung aller Vor- und Nachteile das Risiko wert. Die Antwort gefiel Cicero.
»Manchmal«, sagte er und fasste die Diskussion mit Worten zusammen, die ich seitdem nie mehr vergessen habe. »Manchmal, wenn man in der Politik in einer Sackgasse steckt, muss man einen Kampf anzetteln, auch wenn man sich nicht sicher ist, ob man ihn gewinnen kann. Denn erst wenn der Kampf im Gang ist und alles in Bewegung gerat, ergibt sich manchmal eine Losung. Ich danke euch, meine Freunde.« Und damit war das Treffen beendet.
*
Es durfte keine Zeit verschwendet werden, denn da die Nachricht aus Syrakus bereits Rom erreicht hatte, war anzunehmen, dass auch Verres' Manner nicht mehr weit waren. Noch wahrend Cicero gesprochen hatte, hatte ich mir Gedanken uber ein mogliches Versteck fur Sthenius gemacht. Sofort nach Ende der Konferenz begab ich mich auf die Suche nach Terentias jungem Privatsekretar Philotimus. Er war ein feister, lusterner Bursche, der sich gewohnlich in der Kuche herumdruckte, wo er eins der beiden Hausmadchen, am liebsten aber beide, mit seinen lusternen Nachstellungen belastigte. Ich fragte ihn, ob in einer der Mietskasernen seiner Herrin gerade eine Wohnung frei sei, und als er dies bejahte, bearbeitete ich ihn so lange, bis er mir den Wohnungsschlussel gab. Ich uberzeugte mich davon, dass auf der Stra?e vor dem Haus keine verdachtigen Personen herumlungerten, sagte Sthenius, dass das Haus sicher sei, und brachte ihn dann in seine neue Unterkunft.
Sthenius befand sich im Zustand tiefster Depression. Sein Traum von der Ruckkehr in die Heimat war zerstort, und ihn trieb die schreckliche Angst um, jeden Augenblick verhaftet zu werden. Als er das verwahrloste Gebaude in Subura zum ersten Mal sah und ich ihm sagte, von nun an werde er hier leben mussen, hat er wahrscheinlich geglaubt, dass auch wir ihn jetzt im Stich gelassen hatten. An den Wanden des dusteren Treppenhauses befanden sich frische Brandspuren. Uber wackelige Stufen stiegen wir in den funften Stock hinauf zu einem Zimmer, das mehr einer Zelle glich. Auf dem Fu?boden lag eine Strohmatte, und durch das winzige Fenster war nur ein ahnliches Zimmer auf der anderen Seite der Gasse zu sehen, und zwar so nah, dass er seinen neuen Nachbarn per Handschlag hatte begru?en konnen. Als Latrine diente ein Eimer. Wenn das Zimmer auch keinen Komfort bot, so bot es ihm wenigstens Sicherheit - fur vollig Fremde in diesem labyrinthischen Elendsviertel war es fast unmoglich, ihn jemals zu finden. Mit wehleidiger Stimme bat er mich, noch eine Weile bei ihm zu bleiben, doch ich musste dringend zuruck, um alle den Fall betreffenden Dokumente zusammenzusuchen, damit Cicero sie den Volkstribunen vorlegen konnte. Wir befanden uns in einem Wettlauf mit der Zeit, erklarte ich ihm, und war in der nachsten Sekunde wieder weg.
Das Hauptquartier der Volkstribunen befand sich gleich neben dem Senatsgebaude, in der alten Basilica Porcia. Auch wenn das Volkstribunat einem Skelett glich, dem man alles Fleisch der Macht von den Knochen genagt hatte, so pilgerten doch immer noch viele Menschen hierher. Fur die Zornigen und Enteigneten, fur die Hungrigen und Kampferischen war die Basilika der Volkstribunen eine beliebte Anlaufstelle. Als Cicero und ich das Forum uberquerten, sahen wir eine ziemlich gro?e Menschenmenge, die sich auf den Stufen zusammendrangte, um das Geschehen im Inneren mitverfolgen zu konnen. Mit der Aktentasche in der Hand tat ich mein Bestes, um dem Senator einen Weg durch die Menge zu bahnen. Da diese Sorte Burger nicht zu jener gehorte, die einem Trager der purpurgesaumten Toga allzu viel Sympathie entgegenbrachte, musste ich fur meine Muhen den einen oder anderen Fluch und Fu?tritt einstecken. Es gab zehn Volkstribunen, die jahrlich vom Volk gewahlt wurden. Sie sa?en in dem eher kleinen Raum auf den immer gleichen langen Holzbanken unter einem Wandgemalde, auf dem die Niederlage der Karthager dargestellt war. Es war voll, es war laut, und es war warm - trotz der Dezemberkalte drau?en. Ein junger Mann, der seltsamerweise barfu? war, hielt gerade eine flammende Rede an den Mob. Der Bursche hatte