das Tagesordnungsprotokoll dicht vors Gesicht, las mit zusammengekniffenen Augen und lie? dann den Blick durch die Kammer schweifen auf der Suche nach Cicero, der als junger Senator seinen Platz auf den hinteren Banken nahe der Tur hatte. Cicero stand schlie?lich auf, Gellius setzte sich, das Gemurmel erstarb, und ich zuckte meinen Griffel.

Es herrschte Stille. Cicero stand stumm an seinem Platz, eine Methode, um die Spannung zu erhohen. Als er so lange gewartet hatte, dass man glauben konnte, irgendetwas sei nicht in Ordnung, begann er zu sprechen - anfangs sehr leise und stockend, sodass die Anwesenden gezwungen waren, aufmerksam zuzuhoren. Und obwohl sie die Worte kaum verstehen konnten, schlug der Rhythmus der Sprache sie in ihren Bann.

»Ehrenwerte Mitglieder des Senats, verglichen mit den soeben gehorten, aufwuhlenden Nachrichten uber unsere Soldaten im Feld mag euch das, was ich zu sagen habe, lappisch erscheinen.« Seine Stimme wurde jetzt lauter. »Wenn es aber so weit kommen sollte, dass dieses hohe Haus kein Ohr mehr hat fur die Anliegen eines unschuldigen Mannes, dann sind all jene mutigen Taten wertlos, dann bluten unsere Soldaten vergeblich.« Von den neben ihm sitzenden Senatoren war zustimmendes Gemurmel zu horen. »So ein unschuldiger Mann suchte mich heute Morgen in meinem Haus auf. Er ist von einer Person aus unserer Mitte auf so schimpfliche, so ungeheuerliche, so grausame Weise behandelt worden, dass beim Anhoren seiner Geschichte selbst den Gottern die Tranen gekommen waren. Ich spreche von dem ehrenwerten Sthenius aus Thermae, bis vor kurzem wohnhaft in unserer bedauernswerten, klaglich verwalteten und aufs Schandlichste ausgebeuteten Provinz Sizilien.«

Hortensius, der betont lassig in der vordersten Reihe neben dem Konsul sa?, zuckte beim Wort »Sizilien« leicht zusammen. Ohne Cicero aus den Augen zu lassen, drehte er sich halb um und flusterte Quintus, dem altesten der Metellus-Bruder, etwas zu. Dieser wandte sich daraufhin Marcus zu, dem jungsten der drei Bruder, und machte ihm ein Zeichen. Marcus ging in die Hocke, empfing seine Anweisungen und eilte, nachdem er sich knapp vor dem prasidierenden Konsul verneigt hatte, durch den Gang in meine Richtung. Einen Moment lang glaubte ich, dass es mir an den Kragen ginge - die Metellus-Bruder waren unangenehme, gro?maulige Burschen -, aber er schaute mich nicht einmal an, sondern hob das Seil hoch, schlupfte darunter hindurch und verschwand in der Menge.

Inzwischen war Cicero richtig in Fahrt gekommen. Nach unserer Ruckkehr von Rhodos war ihm Molons Leitsatz der Vortrag, der Vortrag und noch mal der Vortrag nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Stundenlang hatte er im Theater die Methoden der Schauspieler studiert und ein au?erordentliches Talent fur Mimik und Mimikry entwickelt. Mit dem sparsamsten Einsatz von Stimme und Gestik konnte er - was er in diesem Augenblick tat - seine Reden mit den Charakteren bevolkern, die er ansprechen wollte. An jenem Nachmittag lie? er den Senat in den Genuss einer Sondervorstellung kommen: Verres' gro?mauliger Arroganz stellte er Sthenius'' gelassene Wurde gegenuber, dem langen Leiden der Sizilier die Schandtaten des amtlichen Scharfrichters Sextius. Sthenius konnte kaum glauben, was er da sah und horte. Er war jetzt gerade seit einem Tag in der Stadt, und schon war er Gegenstand einer Debatte im romischen Senat. Wahrenddessen schaute Hortensius immer wieder zur Tur, und als Cicero dem Fazit seiner Rede entgegensteuerte - »Sthenius erbittet unseren Schutz, nicht vor irgendeinem Dieb, sondern vor genau dem Mann, der Dieben das Handwerk legen sollte!« -, sprang er schlie?lich auf. Gema? den Regeln des Senats hatte ein amtierender Prator immer Vorrang vor einem einfachen Mitglied aus den Reihen der pedarii, sodass Cicero keine andere Wahl hatte, als sich zu fugen und seine Rede zu unterbrechen.

»Senatoren«, rief Hortensius mit donnernder Stimme. »Wir haben uns das jetzt lange genug angehort! Das ist wohl eines der schamlosesten Beispiele an Opportunismus, das dieses hohe Haus je erlebt hat. Erst wird uns ein nebuloser Antrag prasentiert, und dann stellt sich heraus, dass es sich dabei um einen einzigen Mann handelt. Uns liegt kein einziges schriftliches Zeugnis vor, uber das wir diskutieren konnten. Wir haben keinerlei Moglichkeit, uber den Wahrheitsgehalt des Gehorten zu entscheiden. Ohne sich verteidigen zu konnen, wird Gaius Verres, ein verdientes Mitglied dieses Hauses, diffamiert. Ich beantrage, die Sitzung umgehend zu schlie?en.«

Unter lautem Getrampel der aristokratischen Senatsmitglieder setzte sich Hortensius. Cicero stand auf. Sein Gesicht war vollkommen regungslos.

»Anscheinend hat der Senator den Antrag nicht gelesen«, sagte er und spielte den Verblufften. »Wo in meinem Antrag wird auch nur an einer Stelle der Name Gaius Verres erwahnt? Senatoren, ich ersuche dieses Haus nicht, uber Gaius Verres abzustimmen. Es ware unfair, in seiner Abwesenheit uber ihn zu richten. Gaius Verres ist nicht hier, um sich zu verteidigen. Da wir somit dieses Prinzip fur gultig befunden haben, mochte ich Hortensius bitten, dieses Prinzip auch auf meinen Mandanten anzuwenden und sich einverstanden zu erklaren, dass auch gegen ihn in seiner Abwesenheit nicht verhandelt werden sollte. Oder wollen wir ein Gesetz fur Aristokraten und ein anderes fur den Rest von uns?«

Das heizte die Stimmung machtig an und lie? die pedarii um Cicero und die Menge vor der Tur in Jubelgeschrei ausbrechen. Ich spurte Bewegung in meinem Rucken, schaute mich um und sah, wie sich Marcus Metellus grob einen Weg durch die Menge bahnte, den Saal betrat und durch den Mittelgang auf Hortensius zueilte. Cicero beobachtete ihn - erst schien er verwirrt zu sein, dann jedoch erkannte er, was vor sich ging. Schnell hob er die Hand, und es trat Ruhe ein. »Nun gut. Da Hortensius meinen Antrag fur zu nebulos halt, mochte ich ihn prazisieren, damit jeder Zweifel ausgeraumt ist. Ich schlage folgende Erganzung vor: Da Sthenius in seiner Abwesenheit angeklagt worden ist, wird festgestellt, dass in seiner Abwesenheit kein Prozess gegen ihn stattfinden darf und dass, sollte der Prozess schon stattgefunden haben, dieser fur unwirksam erklart wird. Und ich schlage vor: Lasst uns sofort daruber abstimmen. Lasst uns, gema? den ehrwurdigsten Traditionen des romischen Senats, einen unschuldigen Mann vor der furchterlichen Strafe der Kreuzigung bewahren.«

Unter Beifallswie Buhrufen setzte sich Cicero, und Gellius erhob sich. »Der Antrag ist hiermit gestellt«, erklarte der Konsul. »Mochte jemand das Wort?«

Hortensius, die Metellus-Bruder sowie einige andere ihrer Parteiganger - darunter Scribonius Curio, Sergius Catilina und Aemilius Alba - steckten vor der ersten Bank die Kopfe zusammen, und kurz hatte es den Anschein, als sollte das Haus unverzuglich zur Abstimmung schreiten, was Cicero am liebsten gewesen ware. Doch als die Aristokraten wieder ihre Platze einnahmen, blieb einer von ihnen - der durre Catulus - stehen. »Ich werde sprechen«, sagte er. »Ich glaube, ich habe dazu etwas mitzuteilen.« Catulus war der Urururururenkel (ich glaube, das ist die korrekte Anzahl von Urs) jenes Catulus, der im Ersten Punischen Krieg uber Hamilkar triumphiert hatte. Er war so hart und kalt wie Feuerstein, seine atzend essigsaure Stimme klang wie die Essenz aus zweihundert Jahren Geschichte. »Ich werde sprechen«, wiederholte er, »und als Erstes sage ich, dass dieser junge Mann dort ...« Er deutete auf Cicero. »... nichts, aber auch gar nichts uber die ehrwurdigsten Traditionen des romischen Senats< wei?. Denn wenn er etwas daruber wusste, dann wurde er auch wissen, dass kein Senator einen anderen Senator angreift - es sei denn von Angesicht zu Angesicht. Das offenbart lediglich schlechte Manieren. Ich schaue ihn mir an, wie er da auf seinem Platz sitzt, gerissen, beflissen, und wisst ihr, Senatoren, was mir dabei einfallt? Mir fallt ein altes, weises Sprichwort ein: >Ein Unze Abstammung ist so viel wert wie ein Pfund Verdiensten«

Jetzt waren es die Aristokraten, die es vor Lachen schuttelte. Catilina, zu dem ich spater noch einiges mehr zu sagen habe, deutete auf Cicero und fuhr sich mit dem Finger uber die Kehle. Cicero lief rot an, bewahrte aber Haltung. Er brachte sogar ein durres Lacheln zustande. Catulus drehte sich lachend zu den Banken hinter ihm um, sodass ich fur eine Sekunde sein grinsendes, scharf geschnittenes Profil mit der Adlernase sah: wie der Kopf auf einer Munze. Er wandte sich wieder den Senatoren zu. »Als ich zum ersten Mal dieses Haus betrat«, sagte Catulus gerade, »zu Zeiten des Konsulats von Claudius Pulcher und Marcus Paperna .«

Ciceros und meine Blicke trafen sich. Er formte mit den Lippen ein Wort, schaute hinauf zu den Fenstern und deutete dann mit dem Kopf Richtung Tur. Ich verstand sofort. Als ich mich durch die Zuschauermenge aufs Forum drangelte, wurde mir klar, dass Metellus genau den gleichen Auftrag gehabt hatte. In jenen Tagen, als die Zeitmessung noch nicht so prazise war wie heute, begann die letzte Sitzungsstunde, wenn im Westen die Sonne hinter der Maenius-Saule verschwand. Ich schatzte, dass es ungefahr in diesem Moment so weit war, und tatsachlich begegnete ich dem fur die Sonnenbeobachtung zustandigen Mann, der schon auf dem Weg war, um dem Konsul Bescheid zu geben. Es verstie? gegen das Gesetz, dass der Senat nach Sonnenuntergang tagte. Der Plan von Hortensius und seinen Freunden war klar: Sie wollten den Rest der Sitzung mit Reden fullen und so verhindern, dass uber Ciceros Antrag abgestimmt werden konnte. Nachdem ich mich selbst vom Stand der Sonne uberzeugt hatte, wieder uber das Forum zuruckgelaufen war und mich durch die Menschenmenge bis zur Schwelle zum Senatssaal durchgekampft hatte, kam ich gerade noch rechtzeitig, um zu horen, wie Gellius das Wort ergriff. »Die letzte Stunde!«

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