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Im November fuhrte Gellius Publicola den Vorsitz im Senat. Er war ein ungehobelter, kostlich tumber Militarfuhrer der alten Schule. Man behauptete, oder wenigstens behauptete es Cicero, dass sich Gellius, als er zwanzig Jahre zuvor mit seiner Armee in Athen gewesen war, als Schlichter im Streit der philosophischen Schulen angeboten hatte: Er wurde eine Konferenz einberufen, auf der sie ein fur alle Mal den Sinn des Lebens klaren konnten, dann brauchten sie ihre Lebenszeit nicht mit weiteren sinnlosen Debatten zu vergeuden. Ich kannte Gellius' Sekretar ziemlich gut, und da sich die Agenda fur den Nachmittag ungewohnlich durftig ausnahm - au?er einem Bericht uber die militarische Lage war nichts vorgesehen -, setzte er Ciceros Antrag auf die Tagesordnung. »Aber du solltest deinen Herrn vorwarnen«, sagte er. »Dem Konsul ist Ciceros kleine Bosheit uber den Philosophenstreit zu Ohren gekommen. Er war nicht sehr begeistert.«

Als ich wieder im Gericht eintraf, war Ciceros Verteidigungsrede schon in vollem Gang. Die Rede gehorte nicht zu denen, die er von mir archivieren lie?, deshalb habe ich unglucklicherweise den Text nicht zur Hand. Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass er den Prozess mit einem schlauen Schachzug gewann: Er versprach, dass Popillius im Fall eines Freispruchs den Rest seines Lebens dem Militardienst widmen wurde - ein Gelubde, das sowohl den Anklager wie auch die Geschworenen und erst recht seinen Mandanten vollig uberraschte. Aber der Kunstgriff funktionierte. Im Augenblick der Urteilsverkundung verschwendete Cicero keine einzige Sekunde mehr an Popillius, gonnte sich nicht einmal einen Bissen zu essen, sondern verabschiedete sich umgehend Richtung Senat, der sich im westlichen Teil des Forums befand - im Schlepptau die gleiche Ehrengarde aus Bewunderern wie am Morgen. Ihre Zahl hatte sich sogar vergro?ert, da das Gerucht umging, der gro?e Advokat wolle heute noch eine zweite Rede halten.

Cicero behauptete immer, dass die eigentlichen Geschafte der Republik nicht im Senatssaal, sondern davor, auf dem Senaculum genannten Sammelplatz der Senatoren, betrieben wurden, wo diese zu warten hatten, bis die Kammer beschlussfahig war. Diese tagliche Versammlung wei? gekleideter Gestalten, die eine Stunde oder langer dauern konnte, bot eines der faszinierenden Bilder der Stadt. Wahrend Cicero sich unter die Senatoren mischte, gesellte ich mich zusammen mit Sthenius zu der gaffenden Menge auf der anderen Seite des Forums. (Der Sizilier, der Arme, hatte immer noch keine Ahnung, was hier vor sich ging.)

Es liegt in der Natur der Sache, dass nicht alle Politiker es zu Rang und Namen bringen. Von den sechshundert Mannern, die damals den Senat bildeten, konnten in jedem Jahr nur acht zum Prator gewahlt werden, und nur zwei konnten das hochste Imperium, das Konsulat, erreichen. Mit anderen Worten: Uber die Halfte derjenigen, die jetzt im Senaculum herumstanden, waren dazu verurteilt, nie in ein offentliches Amt gewahlt zu werden. Sie waren das, was die Aristokraten naserumpfend pedarii nannten: Manner, die mit den Fu?en abstimmten, die bei jeder Stimmabgabe pflichtbewusst entweder zur einen oder anderen Seite des Raumes gingen. Und doch waren diese Burger in gewisser Weise das Ruckgrat der Republik: Bankiers, Geschaftsleute und Landbesitzer aus ganz Italien; wohlhabend, besonnen und patriotisch; misstrauisch gegenuber der Arroganz und dem Pomp der Aristokraten. Wie Cicero waren sie oft homines novi, neue Manner, die ersten in ihren Familien, die in den Senat gewahlt worden waren. Das waren Ciceros Leute. Zu beobachten, wie er sich an jenem Nachmittag zwischen ihnen hindurchschlangelte, war, als beobachte man einen gro?en Kunstler, einen Bildhauer an seinem Steinblock - dem einen legte er sanft die Hand auf den Ellbogen, dem anderen klopfte er kraftig auf die breiten Schultern; bei diesem Mann ein derber Scherz, bei jenem ein feierliches Wort der Anteilnahme, wobei er zur Bekraftigung seines Mitgefuhls die verschrankten Hande gegen die eigene Brust druckte. Auch wenn ihn ein lastiger Schwatzer festnagelte, erweckte er den Eindruck, sich alle Zeit der Welt fur dessen langweilige Geschichte zu nehmen. Plotzlich jedoch streckte er den Arm aus und hielt irgendeinen vorbeischlendernden Senator auf, entledigte sich der Klette anmutig wie ein Tanzer und lie? ihn mit dem sanftmutigsten Blick der Entschuldigung und des Bedauerns stehen, um den nachsten Kollegen zu bearbeiten. Gelegentlich deutete er in unsere Richtung, und dann blickte sein Gesprachspartner zu uns heruber und schuttelte vielleicht unglaubig den Kopf oder nickte bedachtig, um Cicero seiner Unterstutzung zu versichern.

»Was erzahlt er da uber mich?«, fragte Sthenius. »Was geht hier vor?«

Da ich es selbst nicht wusste, konnte ich ihm diese Frage auch nicht beantworten.

Hortensius hatte inzwischen gemerkt, dass etwas in der Luft lag, aber er wusste nicht, was. Die Tagesordnung war an der ublichen Stelle neben dem Eingang zum Senat ausgehangt worden. Ich sah, wie Hortensius stehen blieb, las - in den Provinzen die Strafverfolgung von Personen, die Kapitalverbrechen beschuldigt werden, in deren Abwesenheit verboten werden sollte - und sich dann verwirrt abwandte. Umgeben von seinem Gefolge sa? Gellius Publicola im Saaleingang auf seinem mit Elfenbeinschnitzereien verzierten Stuhl und wartete darauf, dass die Auguren nach Begutachtung der Eingeweide alles fur ordnungsgema? befanden, damit er die Senatoren auffordern konnte einzutreten. Hortensius ging auf ihn zu und breitete fragend die Arme aus. Gellius zuckte mit den Achseln und deutete gereizt auf Cicero. Hortensius drehte sich um und entdeckte seinen Rivalen inmitten einer Traube verschworerisch tuschelnder Senatoren. Er runzelte die Stirn und gesellte sich zu seinen aristokratischen Freunden: den drei Metellus-Brudern Quintus, Lucius und Marcus sowie den beiden alteren Exkonsuln Quintus Catulus, dessen Schwester mit Hortensius verheiratet war, und Publius Servilius Vatia Isauricus, der das Konsulat zweimal innegehabt hatte. Sogar beim Niederschreiben der Namen stellen sich mir nach all den Jahren noch die Nackenhaare auf, denn Manner dieses Kalibers - eisern, unnachgiebig, durchdrungen von den alten Idealen der Republik -gibt es heute nicht mehr. Hortensius musste ihnen von dem Antrag erzahlt haben, denn langsam drehten sich alle funf um und schauten zu Cicero. Unmittelbar danach ertonte das Trompetensignal, das den Beginn der Sitzung ankundigte, und die Senatoren begaben sich in den Saal.

Das alte Senatsgebaude war ein kuhler, dusterer, hohlenartiger Regierungstempel, den ein breiter, in schwarzen und wei?en Fliesen ausgelegter Mittelgang in zwei Halften teilte. Auf beiden Seiten befanden sich jeweils sechs lange, einander zugewandte Reihen mit Holzbanken fur die Senatoren. Auf einem Podium am Kopfende des Raumes standen die Stuhle fur die Konsuln. Das Licht an jenem Novembertag war fahl und blaulich. Es fiel durch die unverglasten Fenster, die sich direkt unterhalb der Dachbalken befanden, in schmalen Streifen in den Saal. Tauben gurrten auf den Gesimsen und flatterten durch den Raum, wobei sie kleine Federn und auch den einen oder anderen warmen Spritzer Exkremente auf die Senatoren herabfallen lie?en. Manche behaupteten, dass es Gluck brachte, wenn man wahrend einer Rede vom Vogelkot getroffen wurde, andere hielten es fur ein schlechtes Omen, und einige wenige glaubten, dass das eine oder andere von der Farbe der Ausscheidungen abhinge. Die Spielarten des Aberglaubens waren so zahlreich wie deren Interpretationen. Cicero nahm davon keine Notiz. Er achtete weder auf die Lage von Schafsgedarm oder die Flugbahn eines Vogelschwarms noch darauf, ob es links oder rechts von ihm donnerte. Fur ihn war das alles Unsinn - spater allerdings bewarb er sich fur einen Sitz im Kollegium der Auguren.

Nach den alten, damals noch befolgten Traditionen blieben die Turen wahrend einer Senatssitzung geoffnet, damit das Volk die Debatten mithoren konnte. Die Menschenmenge, darunter auch Sthenius und ich, drangte uber das Forum bis zur Schwelle zum Senat, wo ihr ein einfaches Seil Einhalt gebot. Inzwischen hatte Gellius damit begonnen, die Kriegsberichte der Armeefuhrer vorzutragen. Die Nachrichten von allen drei Fronten waren gut. In Suditalien schlug der unermesslich reiche Marcus Crassus - der, der einmal getont hatte, kein Mann konne sich reich nennen, wenn er nicht aus eigener Tasche eine Legion von funftausend Mann unterhalten konne -mit au?erster Harte Spartacus' Sklavenaufstand nieder. In Spanien raumte Pompeius Magnus nach sechs Jahre andauernden Kampfen mit den letzten Rebellenarmeen auf. Und in Kleinasien landete Lucius Lucullus einen ruhmreichen Sieg nach dem anderen uber Konig Mithridates. Nach dem Verlesen der Berichte erhoben sich nacheinander Anhanger jedes einzelnen Heerfuhrers, um dessen Taten zu ruhmen und die seiner Rivalen auf subtile Weise herabzuwurdigen. Cicero hatte mir erklart, was dahintersteckte, und ich gab mein Wissen in uberlegenem Flusterton an Sthenius weiter: »Crassus hasst Pompeius und ist fest entschlossen, Spartacus zu schlagen, bevor Pompeius mit seinen Legionen aus Spanien zuruckkehrt und den ganzen Ruhm fur sich einheimst. Pompeius hasst Crassus und will Spartacus selbst vernichten, weil er Crassus den Triumph nicht gonnt. Crassus und Pompeius hassen beide Lucullus, weil der das attraktivste Kommando hat.«

»Und wen hasst Lucullus?«

»Pompeius und Crassus naturlich, weil die beiden gegen ihn intrigieren.«

Ich freute mich wie ein kleines Kind, das soeben fehlerlos seine Lektion aufgesagt hatte. Damals war alles nur ein Spiel, und ich hatte keine Ahnung, dass wir jemals in die Sache hineingezogen werden konnten. Ohne besonderen Grund, denn es war keine Abstimmung erforderlich, schlief die Debatte plotzlich ein, und die Senatoren begannen miteinander zu reden. Gellius, der damals bereits hoch in den Sechzigern gewesen sein rnuss, hielt sich

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