novissima exuitur — das heisst bei ihm: niemals.

331

Lieber taub, als betaubt. — Ehemals wollte man sich einen Ruf machen: das genugt jetzt nicht mehr, da der Markt zu gross geworden ist, — es muss ein Geschrei sein. Die Folge ist, dass auch gute Kehlen sich uberschreien, und die besten Waaren von heiseren Stimmen ausgeboten werden; ohne Marktschreierei und Heiserkeit giebt es jetzt kein Genie mehr. — Das ist nun freilich ein boses Zeitalter fur den Denker: er muss lernen, zwischen zwei Larmen noch seine Stille zu finden, und sich so lange taub stellen, bis er es ist. So lange er diess noch nicht gelernt hat, ist er freilich in Gefahr, vor Ungeduld und Kopfschmerzen zu Grunde zu gehen.

332

Die bose Stunde. — Es hat wohl fur jeden Philosophen eine bose Stunde gegeben, wo er dachte: was liegt an mir, wenn man mir nicht auch meine schlechten Argumente glaubt! — Und dann flog irgend ein schadenfrohes Vogelchen an ihm voruber und zwitscherte: Was liegt an dir? Was liegt an dir?»

333

Was heisst erkennen. — Non ridere, non lugere, neque detestari, sed intelligere! sagt Spinoza, so schlicht und erhaben, wie es seine Art ist. Indessen: was ist diess intelligere im letzten Grunde Anderes, als die Form, in der uns eben jene Drei auf Einmal fuhlbar werden? Ein Resultat aus den verschiedenen und sich widerstrebenden Trieben des Verlachen-, Beklagen-, Verwunschen-wollens? Bevor ein Erkennen moglich ist, muss jeder dieser Triebe erst seine einseitige Ansicht uber das Ding oder Vorkommniss vorgebracht haben; hinterher entstand der Kampf dieser Einseitigkeiten und aus ihm bisweilen eine Mitte, eine Beruhigung, ein Rechtgeben nach allen drei Seiten, eine Art Gerechtigkeit und Vertrag: denn, vermoge der Gerechtigkeit und des Vertrags konnen alle diese Triebe sich im Dasein behaupten und mit einander Recht behalten. Wir, denen nur die letzten Versohnungsscenen und Schluss-Abrechnungen dieses langen Processes zum Bewusstsein kommen, meinen demnach, intelligere sei etwas Versohnliches, Gerechtes, Gutes, etwas wesentlich den Trieben Entgegengesetztes; wahrend es nur ein gewisses Verhalten der Triebe zu einander ist. Die langsten Zeiten hindurch hat man bewusstes Denken als das Denken uberhaupt betrachtet: jetzt erst dammert uns die Wahrheit auf, dass der allergrosste Theil unseres geistigen Wirkens uns unbewusst, ungefuhlt verlauft; ich meine aber, diese Triebe, die hier mit einander kampfen, werden recht wohl verstehen, sich einander dabei fuhlbar zu machen und wehe zu thun —: jene gewaltige plotzliche Erschopfung, von der alle Denker heimgesucht werden, mag da ihren Ursprung haben (es ist die Erschopfung auf dem Schlachtfelde). Ja, vielleicht giebt es in unserm kampfenden Innern manches verborgene Heroenthum, aber gewiss nichts Gottliches, Ewig-in-sich-Ruhendes, wie Spinoza meinte. Das bewusste Denken, und namentlich das des Philosophen, ist die unkraftigste und desshalb auch die verhaltnissmassig mildeste und ruhigste Art des Denkens: und so kann gerade der Philosoph am leichtesten uber die Natur des Erkennens irre gefuhrt werden.

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Man muss lieben lernen. — So geht es uns in der Musik: erst muss man eine Figur und Weise uberhaupt horen lernen, heraushoren, unterscheiden, als ein Leben fur sich isoliren und abgrenzen; dann braucht es Muhe und guten Willen, sie zu ertragen, trotz ihrer Fremdheit, Geduld gegen ihren Blick und Ausdruck, Mildherzigkeit gegen das Wunderliche an ihr zu uben: — endlich kommt ein Augenblick, wo wir ihrer gewohnt sind, wo wir sie erwarten, wo wir ahnen, dass sie uns fehlen wurde, wenn sie fehlte; und nun wirkt sie ihren Zwang und Zauber fort und fort und endet nicht eher, als bis wir ihre demuthigen und entzuckten Liebhaber geworden sind, die nichts Besseres von der Welt mehr wollen, als sie und wieder sie. — So geht es uns aber nicht nur mit der Musik: gerade so haben wir alle Dinge, die wir jetzt lieben, lieben gelernt. Wir werden schlie?lich immer fur unseren guten Willen, unsere Geduld, Billigkeit, Sanftmuthigkeit gegen das Fremde belohnt, indem das Fremde langsam seinen Schleier abwirft und sich als neue unsagliche Schonheit darstellt: — es ist sein Dank fur unsere Gastfreundschaft. Auch wer sich selber liebt, wird es auf diesem Wege gelernt haben: es giebt keinen anderen Weg. Auch die Liebe muss man lernen.

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Hoch die Physik — Wie viel Menschen verstehen denn zu beobachten! Und unter den wenigen, die es verstehen, — wie viele beobachten sich selber!» Jeder ist sich selber der Fernste«— das wissen alle Nierenprufer, zu ihrem Unbehagen; und der Spruch» erkenne dich selbst!«ist, im Munde eines Gottes und zu Menschen geredet, beinahe eine Bosheit. Dass es aber so verzweifelt mit der Selbstbeobachtung steht, dafur zeugt Nichts mehr, als die Art, wie uber das Wesen einer moralischen Handlung fast von Jedermann gesprochen wird, diese schnelle, bereitwillige, uberzeugte, redselige Art, mit ihrem Blick, ihrem Lacheln, ihrem gefalligen Eifer! Man scheint dir sagen zu wollen:»Aber, mein Lieber, das gerade ist meine Sache! Du wendest dich mit deiner Frage an Den, der antworten darf: ich bin zufallig in Nichts so weise, wie hierin. Also: wenn der Mensch urtheilt,»so ist es recht«, wenn er darauf schliesst,»darum muss es geschehen!«und nun thut, was er dergestalt als recht erkannt und als nothwendig bezeichnet hat, — so ist das Wesen seiner Handlung moralisch! «Aber, mein Freund, du sprichst mir da von drei Handlungen statt von einer: auch dein Urtheilen zum Beispiel» so ist es recht «ist eine Handlung, — konnte nicht schon auf eine moralische und auf eine unmoralische Weise geurtheilt werden? Warum haltst du diess und gerade diess fur recht? — »Weil mein Gewissen es mir sagt; das Gewissen redet nie unmoralisch, es bestimmt ja erst, was moralisch sein soll!«— Aber warum horst du auf die Sprache deines Gewissens? Und inwiefern hast du ein Recht, ein solches Urtheil als wahr und untruglich anzusehen? Fur diesen Glauben — giebt es da kein Gewissen mehr? Weisst du Nichts von einem intellectuellen Gewissen? Einem Gewissen hinter deinem» Gewissen«? Dein Urtheil» so ist es recht «hat eine Vorgeschichte in deinen Trieben, Neigungen, Abneigungen, Erfahrungen und Nicht-Erfahrungen;»wie ist es da entstanden?«musst du fragen, und hinterher noch:,»was treibt mich eigentlich, ihm Gehor zu schenken?«Du kannst seinem Befehle Gehor schenken, wie ein braver Soldat, der den Befehl seines Offiziers vernimmt. Oder wie ein Weib, das Den liebt, der befiehlt. Oder wie ein Schmeichler und Feigling, der sich vor dem Befehlenden furchtet. Oder wie ein Dummkopf, welcher folgt, weil er Nichts dagegen zu sagen hat. Kurz, auf hundert Arten kannst du deinem Gewissen Gehor geben. Dass du aber diess und jenes Urtheil als Sprache des Gewissens horst, also, dass du Etwas als recht empfindest, kann seine Ursache darin haben, dass du nie uber dich nachgedacht hast und blindlings annahmst, was dir als recht von Kindheit an bezeichnet worden ist: oder darin, dass dir Brod und Ehren bisher mit dem zu Theil wurde, was du deine Pflicht nennst, — es gilt dir als» recht«, weil es dir deine» Existenz-Bedingung «scheint (dass du aber ein Recht auf Existenz habest, dunkt dich unwiderleglich!). Die Festigkeit deines moralischen Urtheils konnte immer noch ein Beweis gerade von personlicher Erbarmlichkeit, von Unpersonlichkeit sein, deine» moralische Kraft «konnte ihre Quelle in deinem Eigensinn haben — oder in deiner Unfahigkeit, neue Ideale zu schauen! Und, kurz gesagt: wenn du feiner gedacht, besser beobachtet und mehr gelernt hattest, wurdest du diese deine» Pflicht «und diess dein» Gewissen «unter allen Umstanden nicht mehr Pflicht und Gewissen benennen: die Einsicht daruber, wie uberhaupt

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