»Und bei welcher Dienststelle sind Sie?«
»Bei der Kommandantur in Jerusalem, Intelligence Service. Ich bin Verbindungsmann zur CID. Man hat da kurzlich eine Uberprufung vorgenommen. Macht den Eindruck, als hatten ein paar von unseren Jungens mit der Hagana zusammengearbeitet, ja sogar mit den Makkabaern, falls Sie sich das vorstellen konnen.«
Sutherland konnte es sich durchaus vorstellen.
»Mein Besuch bei Ihnen ist ubrigens nur teilweise gesellschaftlicher Natur — obwohl ich selbstverstandlich ohnehin vorhatte, einmal bei Ihnen vorbeizukommen, um zu sehen, wie es Ihnen geht. General Haven-Hurst hat mich gebeten, mich personlich mit Ihnen in Verbindung zu setzen, da wir doch schon fruher zusammengearbeitet haben.«
»So?«
»Wie Ihnen bekannt sein wird, sind wir dabei, alle Englander, deren Anwesenheit hier dienstlich nicht dringend erforderlich ist, aus Palastina zu evakuieren. General Haven-Hurst mochte gern wissen, was Sie zu tun beabsichtigen.«
»Ich beabsichtige, uberhaupt nichts zu tun. Das hier ist mein Heim, und hier werde ich auch bleiben.«
Major Caldwell trommelte irritiert mit den Fingern auf der Tischplatte. »Ich habe mich vielleicht nicht ganz deutlich ausgedruckt, Sir. General Haven-Hurst erbittet Ihr Verstandnis dafur, da? er, wenn die Evakuierung erst einmal erfolgt ist, die Verantwortung fur Ihre Sicherheit nicht mehr ubernehmen kann. Wenn Sie hierbleiben, so konnte das fur uns zu einem Problem werden.« Caldwell meinte offenbar noch etwas ganz anderes als das, was er sagte: Haven-Hurst wu?te, wo Sutherlands Sympathien lagen, und furchtete daher, da? er mit der Hagana zusammenarbeiten konnte. In Wirklichkeit also gab er Sutherland den guten Rat, aus Palastina zu verschwinden.
»Sagen Sie bitte General Haven-Hurst, ich sei ihm sehr dankbar, da? er sich meinetwegen Sorgen macht, und ich hatte auch volles Verstandnis fur seine Lage.«
Major Caldwell wollte noch deutlicher werden, doch Sutherland stand rasch auf, dankte Freddy fur seinen Besuch und begleitete ihn hinaus zu der Auffahrt, wo ein Sergeant mit einem Stabswagen wartete. Sutherland sah dem Wagen nach, der in Richtung auf das Teggart-Fort davonfuhr. Wie ublich hatte Freddy wieder einmal seinen Auftrag verpatzt. Die Art und Weise, wie er die Warnung von Haven-Hurst ausgerichtet hatte, war in der Tat reichlich ungeschickt gewesen.
Sutherland ging ins Haus zuruck und dachte uber die Sache nach. Gewi?, er befand sich in Gefahr. Die Makkabaer konnten sehr wohl an einem pensionierten britischen Brigadier Ansto? nehmen, der arabische Freunde hatte und allein in einem Haus auf dem Berge Kanaan wohnte, obwohl es sich die Makkabaer bestimmt zweimal uberlegen wurden, ihn umzubringen. Von der Hagana drohte ihm keine Gefahr. Er stand mit den Leuten in loser Verbindung, und sie hielten nichts von terroristischen Methoden. Andererseits war schwer zu sagen, was von Husseini zu erwarten war: Sutherland hatte Freunde unter den Juden, und einige davon konnten, ohne da? er selbst etwas davon wu?te, durchaus Makkabaer sein.
Bruce Sutherland trat hinaus in seinen Garten, an dessen Buschen die fruhen Fruhlingsrosen ihre Kelche offneten. Er blickte uber das Tal hinuber nach Safed. Er hatte Trost und Frieden hier gefunden. Die schrecklichen Traume hatten aufgehort. Nein, hier blieb er.
Im Hof des Teggart-Forts, den Caldwells Wagen wenige Augenblicke nach der Abfahrt von Sutherlands Haus erreichte, wurde der Major von einer Ordonnanz in Empfang genommen und gebeten, sich im CID-Buro zu melden.
»Fahren Sie heute abend nach Jerusalem zuruck, Major Caldwell?« fragte ihn der Inspektor der Criminal Investigation Division.
Caldwell sah auf seine Uhr. »Ja, das habe ich vor. Wenn ich gleich losfahre, konnen wir vor Einbruch der Dunkelheit dort sein.«
»Das ist gut. Ich habe einen Juden hier, der zur Vernehmung zu unserer Dienststelle in Jerusalem gebracht werden soll. Es ist ein Makkabaer, ein gefahrlicher Bursche. Die Makkabaer konnten erfahren haben, da? er bei uns ist, und nach einem Gefangenenwagen Ausschau halten, mit dem wir ihn nach Jerusalem bringen. Deshalb ware es sicherer, ihn in Ihrem Wagen zu transportieren.«
»Aber sicher, das mache ich gern.«
»Bringt den Judenjungen 'rein.«
Zwei Soldaten brachten einen Jungen von vierzehn oder funfzehn Jahren herein, der an Handen und Fu?en gefesselt war. Sein Mund war durch einen Knebel verschlossen, und sein Gesicht zeigte die Spuren einer verscharften Vernehmung.
»Lassen Sie sich durch Ben Solomons Engelsgesicht nicht tauschen«, sagte der Inspektor. »Er ist eine gefahrliche kleine Bestie.«
»Ben Solomon?« sagte Caldwell. »Kann mich gar nicht erinnern, seinen Namen gelesen zu haben.«
»Wir haben ihn erst gestern abend geschnappt. Bei einem Uberfall auf die Polizeiwache in Safed. Sie wollten dort Waffen klauen. Der da hat zwei Polizisten mit einer Handgranate getotet.«
Ben Solomon stand unbeweglich, wahrend Verachtung aus seinen Augen spruhte.
Den Inspektor argerte der unverwandte, ha?erfullte Blick des Jungen. »Schafft den Kerl 'raus«, befahl er wutend.
Der Junge wurde hinten im Wagen auf den Boden gelegt. Ein bewaffneter Soldat sa? neben ihm, wahrend Caldwell vorn neben dem Fahrer Platz nahm. Sie fuhren aus dem Teggart-Fort hinaus. »So ein dreckiges kleines Mistvieh«, brummte der Fahrer. »Also, wenn Sie mich fragen, Major Caldwell, man sollte uns wirklich mal ein paar Wochen auf diese Juden loslassen. Das sollte man wahrhaftig mal tun.«
»Meinen Kumpel hat's letzte Woche erwischt«, sagte der Posten, der hinten sa?. »War ein prima Bursche. Seine Frau hatte grad ein Kind gekriegt. Diese Makkabaer haben ihm einen verpa?t, Kopfschu?, jawohl.«
Der Wagen fuhr in das Beth-Schaan-Tal, und die drei Manner entspannten sich; hier waren sie in einem Gebiet, das ausschlie?lich von Arabern bewohnt war, und ein Angriff war erst wieder zu befurchten, wenn sie sich Jerusalem naherten.
In Caldwell stieg der Ha? hoch. Er dachte mit Verachtung an Bruce Sutherland. In seinem Innern fuhlte er, da? Sutherland der Hagana half. Sutherland stand auf selten der Juden. Sutherland hatte es absichtlich zu der Katastrophe auf Zypern kommen lassen.
Caldwell erinnerte sich daran, wie er in Caraolos einmal in der Nahe des Stacheldrahtes gestanden und eine Judin vor ihm ausgespuckt hatte. Er drehte sich um und sah zu dem Jungen hin. »Dreckiger Jude!« brummte er in sich hinein.
Und da meinen die Leute, was Hitler gemacht hat, sei falsch gewesen, mu?te Caldwell denken. Dabei hatte Hitler ganz richtig gehandelt. Schade, da? der Krieg zu Ende gegangen war, ehe er sie alle miteinander hatte umbringen konnen. Caldwell dachte daran, wie er mit Sutherland nach Bergen-Belsen gekommen war. Sutherland war bei dem Anblick, der sich ihnen geboten hatte, ubel geworden. Ihm, Caldwell, war nicht ubel geworden. Je mehr Juden verreckten, desto besser.
Sie kamen in das arabische Dorf Nablus, das wegen seiner Feindlichkeit gegenuber dem Jischuw bekannt war. Es war eine Hochburg der Husseini-Leute.
»Halten Sie an«, befahl Caldwell dem Fahrer. »Und jetzt hort mal zu, ihr beiden. Wir werden diesen Burschen hier hinauswerfen.« »Aber, Herr Major, die werden ihn umbringen«, sagte der Posten. »Ich hab' wei? Gott nichts fur die Juden ubrig, Sir«, sagte der Fahrer, »aber den Auftrag, den Gefangenen abzuliefern, haben wir ja nun mal.«
»Halten Sie den Mund!« rief Caldwell, fast hysterisch. »Ich sage, wir schmei?en den Kerl hier 'raus, und ihr beide werdet beschworen, da? er von Makkabaern, die uns auf der Stra?e angehalten haben, entfuhrt worden ist. Wenn irgend etwas anderes uber eure Lippen kommt, endet ihr im Kasten. Verstanden?«
Die beiden Soldaten nickten stumm, als sie den irren Ausdruck in Caldwells Augen sahen.
Der Wagen verlangsamte seine Fahrt in der Nahe des Kaffeehauses.
Der Junge wurde auf die Stra?e hinausgeworfen, und der Wagen fuhr rasch weiter nach Jerusalem.
Es kam genau, wie Caldwell es vorausgesehen hatte. Innerhalb einer Stunde hatte man Ben Solomon umgebracht und verstummelt. Er wurde enthauptet. Der abgeschlagene Kopf wurde an den Haaren in die Hohe gehalten und mit zwanzig Arabern fotografiert, die lachend dabeistanden. Das Bild wurde vervielfaltigt und verbreitet, um den Juden warnend zu zeigen, was ihnen allen fruher oder spater drohte. Major Fred Caldwell hatte einen verhangnisvollen Fehler begangen. Einer der Araber, die in dem Kaffeehaus sa?en und sahen, wie der Junge