Dann wurde aufgetischt. Kitty wurde eine fettig-schmierige Lammkeule in die Hand gedruckt; dazu gab es ein Gemisch aus Kurbis und Reis. Kitty zwang sich, einen kleinen Bissen davon zu nehmen, und der Scheich sah ihr dabei erwartungsvoll zu. Sie lachelte schwach und nickte ihm zu, um ihn glauben zu machen, da? es ihr kostlich schmecke. Dann gab es ungewaschenes Obst, und den Abschlu? des Mahles bildete ein dicker, scheu?lich su?er Kaffee, der in Tassen serviert wurde, in denen sich der Dreck als feste Kruste abgelagert hatte. Der Alte wischte sich die Hande an den Hosen und den Mund mit dem Armel ab. Nach einer kleinen Weile bat Ari, sich verabschieden zu durfen.

Als sie das Lager hinter sich gelassen hatten, stie? Kitty einen tiefen Seufzer aus. »Diese Menschen tun mir leid«, sagte sie.

»Nein«, sagte Ari, »dazu besteht kein Anla?. Die Beduinen sind davon uberzeugt, da? niemand ein so freies Leben fuhrt wie sie. Haben Sie nie, als Sie noch zur Schule gingen, ,Das Lied der Wuste' gesehen?«

»Doch, aber jetzt wei? ich, da? der Verfasser niemals in einem Beduinenlager gewesen ist. Woruber haben Sie sich eigentlich mit dem Alten unterhalten?«

»Ich habe ihm gesagt, er mochte heute abend vernunftig sein und nicht versuchen, den Leuten vom Palmach Ringe oder Uhren abzunehmen.«

»Und was sonst?«

»Er wollte Sie kaufen. Er hat mir sechs Kamele fur Sie geboten.« »Was, dieser alte Halunke! Und was haben Sie ihm gesagt?«

»Ich habe ihm gesagt, es sei doch wohl deutlich zu sehen, da? Sie nicht unter zehn Kamelen zu haben seien.« Ari warf einen Blick auf die steigende Sonne. »Es wird bald hei? werden. Wir ziehen besser unser dickes Zeug aus und packen es zusammen.«

Kitty hatte die ublichen blauen Shorts an, die sie sich aus der Kleiderkammer in Gan Dafna geholt hatte.

»Teufel, Sie sehen direkt wie eine ,Sabre' aus.«

Sie folgten dem Saumpfad, der in Windungen an der Sudseite des Berges hinauffuhrte. Die Sonne brannte, und beide begannen zu schwitzen. Als der Pfad aufhorte, mu?ten sie klettern. Ari half Kitty, die steilen Hange hinaufzuklimmen. Am spaten Nachmittag hatten sie die Sechshundert-Meter-Hohenmarkierung hinter sich gelassen.

Den Gipfel des Berges bildete ein gro?es, rundes Plateau. Von seinem sudlichen Rand aus lag das ganze Jesreel-Tal vor ihren Augen. Es war ein uberwaltigender Anblick. Kitty konnte das Tal mit den quadratischen Feldern, den grunen Oasen rings um die judischen Siedlungen und den dichtgedrangten wei?en Hutten der arabischen Dorfer entlangsehen bis hin zum Karmelberg und dem Mittelmeer. Auf der anderen Seite lag der See von Genezareth. Von hier oben hatte man Palastina in seiner ganzen Breite vor Augen. Kitty richtete den Feldstecher auf die Punkte, die Ari ihr bezeichnete, und sah Ejn Or, die Stelle, wo Saul der Hexe begegnet war, und den kahlen Gipfel des Berges Gilboa, wo Gideon begraben lag und Saul und Jonathan im Kampf gegen die Philister gefallen waren.

»Ihr Berge von Gilboa, es falle auf euch weder Tau noch Regen, und auch kein Opferrauch erhebe sich; denn hier wurde der Schild des Machtigen in den Staub getreten, der Schild Sauls —.«

Kitty lie? den Feldstecher sinken. »Nanu, Ari, Sie werden ja poetisch!«

»Das macht die Hohe. Von hier oben ist alles so weit entfernt. Sehen Sie dort hinuber — das ist das Beth- Schaan-Tal. Die Erde des Ruinenhugels von Beth Schaan bedeckt die alteste zivilisierte Stadt der Welt. David wei? uber diese Dinge genauer Bescheid als ich. Es gibt in Palastina Hunderte solcher Ruinenhugel. David meint, wenn wir jetzt anfangen wollten, sie auszugraben, dann waren unsere modernen Stadte Ruinen, bis wir damit fertig sind. Palastina ist sozusagen die Brucke, uber die in diesem Teil der Welt die Geschichte ihren Weg genommen hat, und hier auf diesem Berg stehen Sie in der Mitte dieser Brucke. Der Tabor ist seit der Zeit, da Menschen Axte aus Steinen machten, ein Schlachtfeld gewesen. Hier standen die Hebraer im Kampf gegen die Romer, und in den Kampfen zwischen den Kreuzfahrern und den Arabern ist dieser Berg funfzigmal aus der einen Hand in die andere ubergegangen. Deborah lag hier oben mit ihrem Heer im Hinterhalt und stie? von hier auf die Kanaaniter nieder. Ein Schlachtfeld durch die Jahrhunderte — wissen Sie, was man bei uns sagt? Moses hatte mit den Kindern Israels weitere vierzig Jahre wandern und sie in eine friedlichere Ecke der Welt fuhren sollen.«

Sie gingen uber das Gipfelplateau durch einen Pinienwald, in dem noch uberall Ruinen von Bauten aus romischer und byzantinischer Zeit waren, Spuren der Kreuzritter und der Araber, Bruchstucke von Mosaiken und Keramik, hier eine Mauer, dort ein einzelner Stein. Zwei Abteien, eine griechisch-orthodoxe und eine romischkatholische, erhoben sich in der Nahe der Stelle, an der nach der Uberlieferung Christus verklart worden war und mit Moses und Elias gesprochen hatte.

Am andern Ende des Waldes kamen sie zu der hochsten Stelle des Berges, wo sich die Ruinen einer Festung der Kreuzritter und eines Sarazenenkastells befanden. Sie stiegen uber die verstreuten Trummer und Mauerreste, bis sie den ostlichen Festungswall erreicht hatten, der sich uber dem Hang des Berges erhob. Dieser Festungswall trug den Namen: Mauer der ostlichen Winde.

Der Wind fuhr durch Kittys Haar, als sie oben auf dem Wall stand, und die Luft wurde allmahlich wieder kuhler. Uber eine Stunde sa?en sie dort oben, wahrend Ari ihr die zahllosen historisch bedeutsamen Stellen, von denen in der Bibel berichtet war, zeigte und erlauterte. Schlie?lich gingen sie zuruck an den Rand des Waldes, wo die Ruinen der Kastelle standen, und zogen sich wieder ihre warmere Kleidung an. Ari rollte die Wolldecken auf, und Kitty streckte sich darauf aus, mude und glucklich.

»Es war ein wunderschoner Tag, Ari, aber ich werde eine Woche lang Muskelkater haben.«

Ari stutzte sich auf einen Ellbogen und sah sie an. Er verspurte erneut Sehnsucht nach ihr, doch auch jetzt behielt er sein Verlangen fur sich.

Als der Abend zu dammern begann, erschienen die anderen in kleinen Gruppen auf dem Gipfel: dunkelhaarige, braunliche Orientalen, Afrikaner und Blonde, die als Einwanderer nach Israel gekommen waren. Viele Madchen waren darunter. Die meisten waren gro?, kraftig und von selbstbewu?ter Haltung. Es kamen mannliche Sabres mit ihren gro?en Schnurrbarten und ihrer deutlich zur Schau getragenen Aggressivitat. Das Treffen hier oben auf dem Berg war eine Wiedersehensfeier. Die Palmach-Soldaten mu?ten aus Grunden der Tarnung in kleinen Gruppen und in verschiedenen Kibbuzim ausgebildet werden. Am heutigen Abend konnten sich Freunde wiedersehen und Liebespaare sich nach langer Trennung einmal treffen. Die Teilnehmer, lebhafte junge Leute von etwas unter oder uber Zwanzig, begru?ten einander mit gro?er Herzlichkeit.

Auch Joab Yarkoni und Seew Gilboa erschienen, und Kitty freute sich sehr, die beiden zu sehen.

David und Jordana kamen ebenfalls. Jordana war uber die Aufmerksamkeit, die David Kitty erwies, verargert, doch sie beherrschte sich, um eine Szene zu vermeiden.

Als es dunkel geworden war, hatten sich fast zweihundert junge Palmach-Soldaten versammelt. In der Nahe der Mauer des Kastells wurde eine Feuergrube ausgehoben, wahrend einige der Palmach-Manner darangingen, Holz fur ein Feuer zu sammeln, das die ganze Nacht hindurch brennen sollte. Drei Lammer wurden auf Bratspie?en am offenen Feuer gebraten. Als die Sonne hinter dem Jesreel-Tal versank, versammelten sich die Paare rings um das Feuer in einem gro?en Kreis. Kitty mu?te an der Seite von Joab, Seew und Ari den Ehrenplatz einnehmen.

Vom Gipfel des Berges Tabor ertonten Gesange. Es waren die gleichen Lieder, die Kitty die Kinder in Gan Dafna hatte singen horen. Sie handelten von dem Wunder der Wassersprenger, die das Land wieder fruchtbar machten, und von der Schonheit Galilaas und Judaas. Sie sangen von der verwunschenen und lieblichen Negev- Wuste und sie sangen die mitrei?enden Marschlieder der alten Wachmannschaften, der Hagana und des Palmach. Sie sangen ein Lied, das erzahlte, da? Konig David noch immer uber die Erde des Landes Israel wandelte.

Joab sa? mit verschrankten Beinen da, vor sich eine mit Ziegenfell bespannte Trommel, auf der er mit den Fingerspitzen und den Handballen einen Rhythmus zu einer uralten, hebraischen Melodie schlug, die ein anderer Palmach-Angehoriger auf einer Rohrflote blies. Dazu tanzten mehrere der orientalischen Judinnen einen Tanz mit den gleichen langsamen, schwingenden, ausdrucksvollen Bewegungen, die die Tanzerinnen im Palast Salomons gehabt haben mu?ten.

Mit jedem neuen Lied und jedem neuen Tanz wurde die Gesellschaft lebhafter.

»Jordana!« rief einer aus dem Kreis. »Jordana soll tanzen!«

Sie trat in den Kreis, von allgemeinem Beifall begru?t. Ein Akkordeon spielte eine ungarische Volksweise, alle klatschten im Rhythmus dazu. Jordana wirbelte die Reihe der im Kreis sitzenden Teilnehmer entlang und holte sich daraus Partner fur einen wilden Czardas. Sie tanzte wild, und ihr rotes Haar, beleuchtet von dem flackernden Feuer, fiel ihr in das Gesicht. Die Musik wurde immer schneller, und die Zuschauer klatschten immer rascher, bis Jordana schlie?lich erschopft stehenblieb.

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