Barak strich sich uber seinen roten Bart. »Avidan hat mich gebeten, nach London zu fahren, um an den Konferenzen teilzunehmen.«

»Das hatte ich mir schon gedacht.«

»Es bleibt uns naturlich gar nichts anderes ubrig, als auch weiterhin auf der Stelle zu treten und zu versuchen, einen politischen Sieg zu erringen. Auf eine militarische Auseinandersetzung konnen wir uns nicht einlassen. Also werde ich nach London fahren und dort meinen kleinen Beitrag leisten. Ich tue das sehr ungern, denn ich komme allmahlich doch zu der Uberzeugung, da? die Englander uns eines schonen Tages endgultig verraten und verkaufen werden.«

Ari stand auf und ging unruhig im Raum hin und her. Es tat ihm beinahe leid, da? ihn Avidan nicht mit einem neuen Auftrag fortgeschickt hatte. Wenn er Tag und Nacht daran arbeitete, eine bestimmte Aufgabe zu erfullen, dann hatte er wenigstens keine Zeit, daruber nachzudenken, in welcher bedrohlichen Situation sich der Jischuw befand.

»Du solltest ubrigens mal nach Abu Yesha gehen und mit Taha reden«, sagte Barak.

»Ich hatte mich schon gewundert, da? er heute abend nicht da war. Stimmt mit ihm irgend etwas nicht?«

»Nur das, was mit dem ganzen Lande nicht stimmt. Zwanzig Jahre lang haben wir mit den Leuten von Abu Yesha in Frieden gelebt. Kammal war viele Jahre lang mein Freund. Und jetzt — eine spurbare Kalte. Wir kennen die Leute alle beim Vornamen, wir sind bei ihnen ein- und ausgegangen, und sie haben unsere Schulen besucht. Wir haben gemeinsame Hochzeiten gefeiert. Ari, diese Menschen sind unsere Freunde. Ich wei? nicht, was da schiefgelaufen ist — jedenfalls mu? es geradegebogen werden.«

»Ich werde morgen mit ihm reden, wenn ich Mrs. Fremont nach Gan Dafna gebracht habe.«

Ari lehnte am Bucherschrank, in dessen Fachern die Werke der Klassiker in hebraischer, englischer, franzosischer, deutscher und russischer Sprache nebeneinander standen. Er strich mit dem Finger uber die Buchrucken, zogerte einen Augenblick, drehte sich dann plotzlich um und sah Barak an. »Ich habe Akiba in Jerusalem getroffen.«

Barak zuckte zusammen wie unter einem Schlag. Unwillkurlich offnete er den Mund, aber er unterdruckte die Frage, wie es seinem Bruder gehe. »Hier in meinem Hause wollen wir diesen Namen nicht erwahnen«, sagte er leise.

»Er ist alt geworden, Vater. Er hat nicht mehr allzulange zu leben. Er bittet dich im Namen eures Vaters, du mochtest dich mit ihm versohnen.«

»Ich will nichts davon horen!« rief Barak mit bebender Stimme. »Sind funfzehn Jahre des Schweigens nicht lange genug?«

Barak erhob sich in seiner ganzen Gro?e und sah seinem Sohn in die Augen. »Er hat Zwietracht zwischen Juden und Juden gesat. Jetzt saen die Makkabaer Zwietracht zwischen den Leuten von Abu Yesha und uns. Moge ihm Gott verzeihen — doch ich kann ihm nicht verzeihen — niemals.«

»Bitte, hor mich an!«

»Gute Nacht, Ari.«

Am nachsten Morgen nahm Kitty Abschied von der Familie Ben Kanaan, und Ari fuhr mit ihr hinauf in die Berge nach Gan Dafna. In Abu Yesha hielt Ari einen Augenblick an, um Taha auszurichten, da? er ihn in ungefahr einer Stunde auf dem Ruckweg besuchen werde.

Als sie von Abu Yesha aus weiter in die Berge fuhren, wurde Kitty immer ungeduldiger, Karen wiederzusehen. Gleichzeitig aber machte sie sich Sorgen, was in Gan Dafna geschehen werde. War Jordana nur eine eifersuchtige Schwester, oder war sie die typische Vertreterin einer Art von Menschen, die ihr infolge der zwischen ihnen bestehenden Unterschiede feindlich gegenuberstand? Harriet Salzmann hatte sie gewarnt und ihr gesagt, da? sie ein Au?enseiter war, der in Palastina nichts zu suchen habe. Alles schien dieses Au?enseitertum zu unterstreichen. Der Gedanke an Jordana machte Kitty unruhig. Sie hatte sich bemuht, zu allen Leuten gleichma?ig freundlich zu sein; vielleicht aber zog sie innerlich doch eine Trennungslinie und machte daraus allzuwenig Hehl. Ich bin nun einmal so, wie ich bin, dachte Kitty, und dort, wo ich herkomme, wird jeder nach dem beurteilt, was er darstellt.

Sie fuhren durch die Einsamkeit der Berglandschaft, und Kitty fuhlte sich allein und war verzagt.

»Werden wir uns gelegentlich sehen?« fragte sie.

»Von Zeit zu Zeit. Legen Sie denn Wert darauf?«

»Ja.«

»Dann werde ich versuchen, es einzurichten.«

Der Wagen bog um die letzte Kurve, und vor ihnen offnete sich das Plateau von Gan Dafna. Dr. Liebermann, das Orchester des Jugenddorfes, die Angehorigen der Lagerleitung und des Lehrkorpers und die funfzig Kinder von der Exodus waren in der Mitte der Grunflache um die Statue von Dafna versammelt. Kitty Fremont wurde mit warmer und spontaner Herzlichkeit begru?t, und ihre Befurchtungen waren im Augenblick verflogen. Karen lief auf sie zu, umarmte sie und uberreichte ihr einen Strau? Winterrosen. Und dann war Kitty von »ihren« Exodus-Kindern umringt. Sie wandte den Kopf und sah Ari nach, bis der Wagen um die Biegung der Stra?e verschwunden war.

Als die Begru?ungszeremonie vorbei war, gingen Dr. Liebermann und Karen mit Kitty einen von Baumen eingesaumten Weg entlang, an dem hubsche kleine Hauser mit zwei oder drei Raumen standen, in denen die Angehorigen des Stabes wohnten. Ungefahr in der Mitte des Weges blieben sie vor einem kleinen Haus mit wei?en Wanden stehen, das in einem Meer von Blumen fast verschwand.

Karen rannte vor, machte die Tur auf und hielt den Atem an, als Kitty langsam hineinging. Das Wohn- und Schlafzimmer war einfach, aber geschmackvoll eingerichtet. Die Vorhange und die Decke uber der Couch waren aus dickem Negev-Leinen, und uberall standen Vasen mit frischgeschnittenen Blumen. Quer durch den Raum war ein Spruchband gespannt, das die Kinder von der Exodus gemacht hatten, mit der Aufschrift: SCHALOM KITTY.

Karen lief zum Fenster und zog die Vorhange beiseite. Man hatte eine wunderbare Aussicht auf die sechshundert Meter tiefer gelegene Talsohle. Das Haus enthielt einen gro?en Raum, ein kleines Studio, au?erdem eine kleine Kuche und ein Bad. Alles war wunderschon und mit viel Liebe hergerichtet. Kitty lachelte geruhrt.

Dr. Liebermann schob Karen freundlich zur Tur hinaus und versicherte ihr beruhigend, da? sie Mrs. Fremont spater noch sehen wurde.

»Auf Wiedersehen, Kitty.« »Auf Wiedersehen, Liebes.«

»Nun«, fragte Dr. Liebermann, als sie allein waren, »wie gefallt es Ihnen?«

»Ich glaube, ich werde mich hier sehr wohl fuhlen.«

Dr. Liebermann setzte sich auf den Rand der Couch. »Als Ihre Kinder von der Exodus horten, da? Sie nach Gan Dafna kommen wurden, haben sie Tag und Nacht gearbeitet. Sie haben das Haus frisch gestrichen, sie haben die Gardinen genaht, sie haben Blumen gepflanzt — samtliche Blumen, die es in Gan Dafna gibt, befinden sich auf dem Rasen vor Ihrem Haus. Sie haben sich machtig angestrengt. Die Kinder lieben Sie sehr.«

Kitty war sehr geruhrt. »Ich wei? gar nicht, womit ich das verdient habe.«

»Kinder haben ein sehr sicheres Gefuhl dafur, wer es wirklich gut mit ihnen meint. Haben Sie Lust, sich jetzt Gan Dafna anzusehen?« »Ja, sehr gern.«

Zusammen mit Dr. Liebermann, der sie um Haupteslange uberragte, ging Kitty zu dem Verwaltungsgebaude zuruck. Dr. Liebermann hielt im Gehen die Hande auf dem Rucken. Manchmal klopfte er seine Taschen auf der Suche nach einer Streichholzschachtel ab, um seine Pfeife anzuzunden.

»Ich bin 1933 aus Deutschland hierhergekommen. Mir war sehr bald klar, was kommen wurde. Meine Frau ist kurz nach unserer Ankunft hier gestorben. Dann war ich Professor fur klassische Philologie an der Universitat in Jerusalem, bis mich Harriet Salzmann im Jahre 1940 fragte, ob ich nicht Lust hatte, hier oben ein Jugend-Aliyah- Dorf zu grunden. Das war genau das, was ich schon seit vielen Jahren gewunscht hatte. Dieses ganze Hochplateau wurde uns von dem verstorbenen Muktar von Abu Yesha geschenkt. Ubrigens — haben Sie ein Streichholz?«

»Nein, tut mir leid.«

»Macht nichts. Ich rauche ohnehin zuviel.«

Sie kamen zu der Grunflache in der Mitte des Dorfes. Von hier aus hatte man die beste Aussicht auf das Hule-Tal. »Unsere Felder liegen unten im Tal. Das Land wurde uns von dem Moschaw Yad El zur Verfugung gestellt.«

Sie blieben vor der Statue stehen. »Das ist Dafna. Sie stammte aus Yad El und fand als Angehorige der Hagana den Tod. Ari ben Kanaan hat sie sehr geliebt. Unser Dorf ist nach ihr benannt.«

Kitty durchzuckte es wie — ja, wie Eifersucht. Selbst als Statue war Dafna noch eine Rivalin, ihre bronzene

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