werde, ein Jahr vielleicht, oder vielleicht auch noch zwei. Was wir einander angetan haben, ist durch nichts wiedergutzumachen. Aber — er mu? es uber sich gewinnen, dieses feindliche Schweigen zu beenden. Er mu? mir verzeihen, Ari, um unseres Vaters willen.«

III.

Am nachsten Morgen fuhren Ari und Kitty von Jerusalem aus nach Norden weiter, in das Land Galilaa. Sie fuhren durch arabische Ortschaften, die au?erhalb der Zeit zu liegen schienen, und kamen in das fruchtbare Jesreel-Tal, aus dessen sumpfigen Boden die Juden das beste Ackerland im ganzen Nahen Osten gemacht hatten. Als die Stra?e aus dem Jesreel-Tal dann in Windungen wieder aufwarts nach Nazareth fuhrte, war es, als ob sie sich aus der Gegenwart in die Vergangenheit bewegt hatten. Auf der einen Seite des Berges lagen die grunen Felder des Jesreel-Gebietes, und auf der anderen die kahlen, trockenen und unfruchtbaren Boden der Araber. Nazareth war nicht viel anders, als es Jesus vorgefunden haben mu?te.

Ari parkte im Zentrum der Stadt. Er schlug einen Schwarm arabischer Bettler in die Flucht, doch ein kleiner Junge war nicht zu vertreiben.

»Brauchen Sie einen Fuhrer?«

»Nein.«

»Mochten Sie Andenken kaufen? Ich habe Holz vom heiligen Kreuz, Stoff vom Leichentuch.«

»Hau ab.«

»Aktfotos?«

Ari versuchte, den Jungen loszuwerden, doch der lie? nicht locker und hielt Ari am Hosenbein fest. »Oder vielleicht wollen Sie meine Schwester haben? Sie ist noch Jungfrau.«

Ari warf dem Jungen ein Geldstuck zu. »Pa? auf unseren Wagen auf.«

Nazareth stank. Die Stra?en lagen voller Mist. Man begegnete blinden Bettlern und barfu?igen, zerlumpten und verdreckten Kindern. Uberall wimmelte es von Fliegen. Kitty hielt sich angstlich an Aris Arm fest, wahrend sie sich muhsam einen Weg durch die Bazare bahnten und zu der Stelle gingen, von der behauptet wurde, da? dort die Kuche der Maria und die Werkstatt des Zimmermannes Joseph gewesen sei.

Als sie von Nazareth weiterfuhren, sagte Kitty: »Welch gra?licher Ort.«

»Immerhin sind uns dort die Araber freundlich gesinnt«, sagte Ari. »Sie sind Christen.«

»Das mag sein«, sagte Kitty, »aber es sind Christen, die allzu lange nicht gebadet haben.«

Kitty versuchte, die Fulle der neuen Eindrucke zu verarbeiten, die die letzten paar Tage gebracht hatten. Es war ein so kleines Land, doch jeder Fu?breit des Bodens war getrankt mit dem Blut oder dem Ruhm der Vergangenheit. Bald war man von der Heiligkeit des Ortes ergriffen, und bald wieder schlug die Ergriffenheit in Entsetzen und Befremden um. Einige der heiligen Statten lie?en sie ehrfurchtig verstummen, und andere lie?en sie so unberuhrt, als sahen sie einem Mummenschanz zu. Die wehklagenden, inbrunstig betenden Juden von Me'a Schaarim — und die brennende Raffinerie von Haifa. Die provozierend selbstsicheren »Sabres« von Tel Aviv — und die bauerliche Bevolkerung des Jesreel-Gebietes. Das Alte und das Neue auf engem Raum zusammengedrangt. Wohin man sah, uberall Widerspruche und Gegensatze.

Es war schon fast Abend, als sie Yad El erreichten. Ari hielt vor einem kleinen, mit vielen Blumen geschmuckten Haus. Die Haustur offnete sich, und Sara ben Kanaan kam eilig herangelaufen. »Ari! Ari!« rief sie und umarmte ihren Sohn.

»Schalom, Ima.«

»Ari, Ari, Ari —«

»Nun, weine doch nicht, Ima — nicht weinen.«

Jetzt erschien die machtige Gestalt Barak ben Kanaans, der eilig herankam und Ari in seine Arme schlo?.

»Schalom, Aba, Schalom!«

Der alte Riese schlug seinem Sohn auf den Rucken und sagte immer wieder: »Gut siehst du aus, Ari, gut siehst du aus.«

Sara musterte das Gesicht ihres Sohnes. »Mude ist er. Siehst du denn gar nicht, Barak, wie abgespannt und erschopft er ist?«

»Nein, Ima«, sagte Ari, »mir geht es prima. Ubrigens, ich habe jemanden mitgebracht. Darf ich vorstellen — Mrs. Katherine Fremont. Sie wird ab morgen in Gan Dafna arbeiten.«

»Sie also sind Katherine Fremont«, sagte Barak und nahm ihre Hand in seine beiden machtigen Pranken. »Willkommen in Yad El.«

»Nein, Ari, was bist du fur ein dummer Kerl«, sagte seine Mutter. »Warum hast du nicht angerufen und uns gesagt, da? du Mrs. Fremont mitbringst? Aber kommen Sie, kommen Sie herein — machen Sie es sich bequem, ziehen Sie sich um, inzwischen werde ich ein bi?chen was zu essen machen, und Sie werden sich wohler fuhlen. Du bist so ein dummer Kerl, Ari.« Sara legte den Arm um Kitty und fuhrte sie zum Haus. »Barak! Bring den Koffer von Mrs. Fremont herein.«

Jordana bat Kanaan stand in dem Freilichttheater vor der Schar der neu angekommenen Kinder von der Exodus. Sie war gro? und stand fest und aufrecht auf langen, gutgeformten Beinen. Mit ihrem roten Haar, das ihr offen auf den Rucken herabhing, war sie von auffallender Schonheit. Sie war neunzehn Jahre alt und seit ihrem Abgang von der Universitat beim Palmach. Man hatte sie nach Gan Dafna abkommandiert, damit sie dort die Leitung der Gruppe ubernehme, in der alle Angehorigen des Jugenddorfes uber Vierzehn militarisch ausgebildet wurden. Gan Dafna war au?erdem eines der wichtigsten heimlichen Waffenlager. Von hier aus wurden die Waffen in die Siedlungen des Hule-Gebietes geschmuggelt. Jordana arbeitete auch bei dem Geheimsender, wenn er im Hule- Gebiet stationiert war. Sie wohnte in Gan Dafna und schlief in ihrem Buro.

»Ich bin Jordana bat Kanaan«, erklarte sie den Kindern von der Exodus. »Ich bin euer Gadna-Kommandeur. Ihr werdet in den nachsten Wochen lernen, Spionage zu treiben, Nachrichten zu ubermitteln und Waffen zu reinigen. Ihr werdet lernen, mit diesen Waffen zu schie?en, mit Stocken zu fechten, und wir werden auch mehrere Gelandemarsche machen. Ihr seid jetzt in Palastina, und ihr braucht euch von nun an nie mehr zu ducken oder zu furchten, weil ihr Juden seid. Wir werden hart arbeiten, denn Erez Israel braucht euch.«

Als Jordana einige Zeit spater in das Verwaltungsgebaude kam, wurde sie zum Telefon gerufen. Am Apparat war ihre Mutter, die ihr Aris Ankunft mitteilte.

Jordana rannte in den Pferdestall, holte den wei?en Araberhengst ihres Vaters heraus, sa? auf und galoppierte ohne Sattel die Stra?e entlang, auf Abu Yesha zu, da? ihr rotes Haar im Wind wehte.

Sie sprengte durch die Hauptstra?e des Araberdorfes, wo sich ein Dutzend Leute eiligst in Sicherheit brachte. Die Manner, die vor dem Kaffeehaus sa?en, sahen ihr giftig nach. Welche Unverschamtheit besa? diese rothaarige Hure! Sie wagte es, in kurzen Hosen durch die Stra?en ihres Ortes zu reiten! Ein Gluck fur sie, da? sie Baraks Tochter und Aris Schwester war!

Ari nahm Kitty bei der Hand und fuhrte sie nach drau?en. »Kommen Sie«, sagte er, »ich mochte Ihnen unsere Farm zeigen, bevor es dunkel wird.«

»Haben Sie auch genug zu essen bekommen, Mrs. Fremont?«

»Mehr als genug.«

»Und sind Sie mit Ihrem Zimmer zufrieden?«

»Danke, ich finde alles ganz wunderbar, Mrs. Ben Kanaan.«

»Also, bleibt nicht zu lange. Wenn Jordana kommt, wollen wir zu Abend essen.«

Sara und Barak sahen den beiden nach, als sie zusammen fortgingen, und dann sah Sara Barak an. »Sie ist sehr schon«, sagte sie. »Aber eine Frau fur unseren Ari?«

»Hor endlich auf, eine jiddische Mamme zu sein. Dauernd machst du Heiratsplane fur Ari«, sagte Barak.

»Was redest du denn da, Barak? Hast du nicht gesehen, wie er sie ansieht? Kennst du deinen eigenen Sohn noch immer nicht?«

Ari ging mit Kitty durch Saras Garten zu einem niedrigen Gartenzaun. Er stellte den Fu? auf die Querleiste und sah hinaus uber die Felder von Yad El. Die Wasserspruher drehten sich und verbreiteten feuchte Kuhle, wahrend die Blatter der Obstbaume sacht in der abendlichen Brise bebten. Die Luft war erfullt vom Duft der Winterrosen, die in Saras Garten bluhten.

Kitty sah Ari an, wie er dastand und auf sein Land sah. Zum erstenmal in der ganzen Zeit, seit sie Ari ben Kanaan kannte, schien er innerlich ruhig und entspannt zu sein.

»Naturlich nicht mit Ihrem Indiana zu vergleichen«, sagte Ari.

»Oh«, sagte Kitty, »es macht sich.«

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