»Nein — obwohl ich naturlich etwas fur ihn ubrig habe.«

»Hundert Frauen haben etwas fur ihn ubrig. Nur sind Sie zufallig gerade die Frau, fur die er etwas ubrig hat.«

»Das glaube ich nicht, Harriet.«

»Wirklich nicht? Nun, das freut mich, Katherine. Es ist ein weiter Weg von Yad El bis nach Indiana. Er ist ein Sabre, und nur eine Sabre konnte ihn wirklich verstehen.«

»Sabre?«

»So nennen wir die, die hier im Lande geboren sind. Sabre ist die Frucht eines Kaktus, der uberall in Palastina wild wachst. Diese Frucht hat eine harte Schale — doch innen ist sie zart und su?.«

»Das scheint mir eine gute Beschreibung.«

»Ari und die anderen Sabres haben keine Vorstellung, was es bedeutet, in Amerika zu leben — genausowenig wie Sie eine Vorstellung davon haben, wie Aris Leben ausgesehen hat.«

Harriet Salzmann machte eine kurze Pause. Dann sagte sie: »Erlauben Sie mir, ganz offen zu sein. Wenn einer, der kein Jude ist, zu uns kommt, dann kommt er als Freund. Sie gehoren nicht zu uns, und Sie kommen auch nicht als Freund. Sie sind eine schone, wunderschone Amerikanerin, die vollig verwirrt durch diese sonderbaren Leute ist, die man Juden nennt. Wie kommt es also, da? Sie hier sind?«

»Das ist gar nicht so schwer zu erklaren. Ich habe eine gro?e Zuneigung zu einem jungen Madchen gefa?t, das auf der Exodus hierhergekommen ist. Wir hatten uns schon vorher in Caraolos kennengelernt. Ich habe Angst, der Versuch dieses Madchens, seinen Vater wiederzufinden, konnte unter Umstanden sehr unglucklich ausgehen. Wenn es ihr nicht gelingen sollte, ihren Vater zu finden, dann mochte ich sie gern adoptieren und nach Amerika mitnehmen.«

»Also, so ist das. Nun, Sie haben mir eine ehrliche Auskunft gegeben, und jetzt wollen wir sachlich miteinander reden. In einem unserer Jugenddorfer im Norden von Galilaa ist die Stelle der Chefpflegerin zu besetzen. Der Ort ist wunderschon gelegen. Der Leiter des Dorfes ist einer meiner altesten und besten Freunde, Dr. Ernst Liebermann. Das Dorf hei?t Gan Dafna. Wir haben dort vierhundert Kinder untergebracht; die meisten von ihnen waren im Konzentrationslager. Sie brauchen dringend jemanden, der sich ihrer annimmt. Ich wurde mich freuen, wenn Sie bereit waren, diesen Posten zu ubernehmen. Die Bezahlung und die Arbeitsbedingungen sind sehr gut.«

»Ich — ich wu?te gern —«

»Wo Karen Hansen ist?«

»Woher wissen Sie?«

»Ich habe Ihnen ja schon gesagt, da? wir hier in einem Dorf sind. Ja, Karen ist in Gan Dafna.«

»Ich wei? nicht, wie ich Ihnen danken soll.«

»Bedanken Sie sich bei Ari. Er war es, der das alles arrangiert hat. Er wird Sie mit dem Wagen hinbringen. Gan Dafna ist ganz in der Nahe der Siedlung, in der er zu Hause ist.«

Die alte Frau stellte ihre Teetasse hin und lehnte sich in ihrem Stuhl zuruck. »Darf ich Ihnen einen letzten gutgemeinten Rat geben?«

»Aber naturlich.«

»Ich habe seit 1933 mit Waisenkindern zusammengearbeitet. Die Zuneigung, die diese Kinder fur Palastina entwickeln, ist etwas, das fur Sie moglicherweise sehr schwer zu begreifen ist. Wenn die Kinder hier erst einmal die Luft der Freiheit geatmet haben, wenn sie erst einmal von dieser ganz sonderbaren Liebe zu diesem Lande erfullt sind, dann ist es fur sie au?erordentlich schwer, wieder von hier fortzugehen, und wenn sie es dennoch tun, dann gelingt es ihnen meist nicht mehr, sich anderswo einzugewohnen. Sie lieben dieses Land hei? und leidenschaftlich. Die Amerikaner nehmen in Amerika so viele Dinge fur selbstverstandlich. Hier erwachen die Menschen jeden Morgen zweifelnd und gespannt — und wissen nicht, ob ihnen alles, wofur sie ihren Schwei? und ihr Blut eingesetzt haben, nicht wieder abgenommen wird. Der Gedanke an ihre Heimat ist Tag und Nacht in ihnen lebendig. Palastina ist der Mittelpunkt ihres Lebens, der eigentliche Sinn ihrer Existenz.« »Wollen Sie damit sagen, da? es mir wahrscheinlich nicht gelingen wird, das Madchen zu uberreden, mit mir nach Amerika zu gehen?« »Ich versuche nur, Ihnen klarzumachen, was Sie bei diesem Versuch alles gegen sich haben.«

Es klopfte an der Tur, Harriet Salzmann sagte: »Herein«, und David ben Ami trat ein.

»Schalom, Harriet. Schalom, Kitty. Ich horte von Ari, da? ich Sie hier finden wurde. Store ich auch nicht?«

»Nein«, sagte Harriet. »Wir haben schon alles besprochen, was wir zu besprechen hatten. Katherine geht nach Gan Dafna.«

»Na gro?artig. Ich hatte gedacht, es ware nicht schlecht, mit Kitty durch Me'a Schaarim zu gehen, wenn der Sabbat beginnt.«

»Das ist eine sehr gute Idee, David«, sagte Harriet.

»Dann gehen wir am besten gleich. Kommen Sie mit, Harriet?« »Diese alten Knochen wollt ihr durch die Stadt schleppen? Das la?t mal schon bleiben. In zwei Stunden liefern Sie Katherine bei mir zum Essen ab.«

Kitty stand auf, gab Harriet Salzmann die Hand, dankte ihr und drehte sich dann zu David um. David stand da und starrte sie an.

»Ist irgend etwas nicht in Ordnung, David?« fragte Kitty.

»Ich habe Sie noch nie so angezogen gesehen. Sie sehen wunderbar aus.« Er sah verlegen an sich herunter. »Ich wei? gar nicht, ob ich gut genug angezogen bin, um mit Ihnen durch die Stadt zu gehen.« »Aber Unsinn. Ich habe mich nur schick gemacht, weil ich bei meiner neuen Chefin Eindruck schinden wollte.«

»Schalom, Kinder«, sagte Harriet. »Bis nachher.«

Kitty war sehr froh, da? David sie abgeholt hatte. In seiner Gesellschaft fuhlte sie sich wohler als mit irgendeinem der anderen Juden. Sie verlie?en das Gebaude der Zionistischen Siedlungsgesellschaft und uberquerten die Stra?e der Propheten. Kitty nahm seinen Arm. Es schien, als sei David derjenige, der die Stadt besichtigte. Alles, was es in Jerusalem zu sehen gab, entdeckte er ganz neu und freute sich wie ein Kind. »Es ist so schon, wieder hier zu sein«, sagte er. »Wie finden Sie meine Heimatstadt?«

»Gibt es dafur uberhaupt Worte? Ich finde, alles ist uberwaltigend und ein bi?chen unheimlich.«

»Ja, genauso ist mir Jerusalem auch immer vorgekommen, schon seit ich ein kleiner Junge war. Diese Stadt ist fur mich jedesmal wieder faszinierend und verwirrend.«

»Ich finde es reizend von Ihnen, da? Sie Zeit fur mich haben, nachdem Sie so lange nicht zu Hause waren.«

»Wir sind noch nicht alle versammelt«, sagte David. »Ich habe sechs Bruder, mussen Sie wissen. Die meisten von ihnen sind beim Palmach. Ich bin das Nesthakchen, und deshalb versammelt sich jetzt naturlich die ganze Familie — bis auf einen meiner Bruder. Den werde ich spater allein besuchen mussen.«

»Ist er krank?«

»Nein, er ist bei den Makkabaern. Mein Vater erlaubt nicht, da? er unser Haus betritt. Er ist bei Ben Mosche, einem der fuhrenden Manner der Makkabaer. Fruher war Ben Mosche mein Professor an der Hebraischen Universitat.« David blieb stehen und zeigte hinuber zum Skopusberg, der sich jenseits des Kidron-Tales erhob. »Da, das ist die Universitat.«

»Sie fehlt Ihnen sehr, Ihre Universitat, nicht wahr?«

»Ja, naturlich. Doch eines Tages wird es mir moglich sein, wieder dort zu arbeiten.«

Es wurde dunkel, ein heiseres Horn ertonte, und durch die Stra?en tonte der Ruf: »Sabbat! Sabbat!«

In ganz Jerusalem war der Klang des jahrtausendealten Horns zu horen. David setzte eine kleine Kappe auf und fuhrte Kitty zur Me'a Schaarim — der Stra?e der hundert Tore, in der die orthodoxen Juden wohnten.

»Hier in Me'a Schaarim konnen Sie in den Synagogen Manner sehen, die auf die verschiedenste Art und Weise beten. Von den Yemeniten beten einige mit einer schwingenden Bewegung des Oberkorpers, als ob sie auf einem Kamel ritten. Auf diese Weise rachen sich die Juden dafur, da? es ihnen fruher verboten war, auf Kamelen zu reiten, weil es nicht anging, da? der Kopf eines Juden den eines Muselmanns uberragte.«

»Das ist mir neu.«

»Oder die Nachkommen der spanischen Juden. In der Zeit der Inquisition waren die spanischen Juden, wenn sie nicht den Tod erleiden wollten, gezwungen, den katholischen Glauben anzunehmen. Sie sagten die lateinischen Gebete mit lauter Stimme, doch am Ende eines jeden Satzes beteten sie unhorbar Worte eines hebraischen Gebetes. Deshalb beten sie noch heute am Ende eines jeden Satzes einige Worte schweigend.«

Kitty war sprachlos, als sie in die Stra?e der hundert Tore einbogen. An beiden Seiten zogen sich

Вы читаете Exodus
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату