»Schade. Eine echt amerikanische Christin, die auf unserer Seite steht, ware sehr vorteilhaft fur uns.«
»Nein, sie ist einfach eine nette Frau, die sich die Juden ungefahr so wie Tiere im Zoo ansieht. Ich bringe sie morgen nach Jerusalem, wo sie sich mit Harriet Salzmann trifft, um mit ihr zu besprechen, ob es bei der Jugend- Aliyah einen Job fur sie gibt.«
»Irgendwie personlich interessiert?«
»Herrgott noch mal, nein. Und jetzt richte deine judische Wi?begier bitte auf etwas anderes.«
Die Luft im Raum war stickig. Avidan holte ein gro?es blaues Taschentuch heraus und wischte sich den Schwei? von der Glatze. »Einen prachtigen Empfang haben uns die Makkabaer gestern bereitet«, sagte Ari. »Wie ich hore, wird die Raffinerie eine Woche lang weiterbrennen. Die Produktion ist im Eimer.«
Avidan schuttelte den Kopf. »Was sie gestern gemacht haben, war gut — wie aber steht es mit vorgestern, und was wird ubermorgen sein? Auf jede ihrer nutzlichen Aktionen kommen drei, die schadlich sind. Jedesmal, wenn sie ihre Zuflucht zur Brutalitat oder zum wahllosen Mord nehmen, hat der gesamte Jischuw darunter zu leiden. Wir sind es, die fur die Aktionen der Makkabaer geradestehen mussen. Morgen werden General Haven-Hurst und der Hohe Kommissar beim Jischuw-Zentralrat aufkreuzen. Sie werden bei Ben Gurion mit der Faust auf den Tisch schlagen und verlangen, da? wir die Hagana einsetzen, um weitere Aktionen der Makkabaer zu verhindern. Du kannst mir glauben, ich wei? manchmal wirklich nicht mehr aus und ein. Bisher haben die Englander die Hagana noch einigerma?en in Ruhe gelassen, doch ich furchte, wenn die Makkabaer so weitermachen ... Sie sind sogar dazu ubergegangen, Banken zu uberfallen, um die Arbeit ihrer Organisation zu finanzieren.«
»Britische Banken, will ich hoffen«, sagte Ari. Er steckte sich eine Zigarette an, stand auf und ging in dem engen Buroraum auf und ab. »Vielleicht ware es wirklich an der Zeit, da? auch die Hagana ein paar wirkungsvolle Sabotageakte unternimmt.«
»Nein — damit wurden wir das Weiterbestehen der Hagana aufs Spiel setzen, und das durfen wir einfach nicht. Wir mussen da sein zum Schutz fur alle Juden. Illegale Einwanderung — das ist in der gegenwartigen Situation die beste Methode des Kampfes gegen die Englander. Ein solches Unternehmen wie diese Sache mit der Exodus ist wichtiger, als zehn Raffinerien in die Luft zu sprengen.« »Doch eines Tages mussen wir aktiv werden, Avidan. Entweder haben wir eine Armee oder wir haben keine.«
Avidan nahm einige Schriftstucke von seinem Schreibtisch und hielt sie Ari hin. Ari nahm und las: ORDER OF BATTLE, 6TH AIRBORNE DIVISION.
Ari sah Avidan an: »Die Englander haben drei Brigaden Fallschirmjager in Palastina?«
»Lies weiter.«
ROYAL ARMORED CORPS WITH KING'S OWN HUSSARS, 53RD WORCESTERSHIRE, 249TH AIRBORNE PARK, DRAGOON GUARDS, ROYAL LANCERS, QUEEN'S ROYAL EAST SURREY, MIDDLESEX, GORDON HIGHLANDERS, ULSTER RIFLES, HERTFORDSHIRE REGIMENT — die Liste der in Palastina stationierten britischen Truppen nahm kein Ende. Ari warf das Schriftstuck auf Avidans Schreibtisch. »Gegen wen wollen die Englander hier eigentlich antreten — gegen die Russen?« »Begreifst du es jetzt, Ari? Tag fur Tag spreche ich die Sache mit einigen jungen Hei?spornen vom Palmach durch. Warum unternehmen wir nichts? fragen sie mich. Warum kommen wir nicht heraus aus unserem Versteck und treten an zum Kampf? — Meinst du vielleicht, es macht mir Spa?, hier in diesem Keller zu sitzen? Hor zu, Ari — die Englander haben zwanzig Prozent ihrer kampfenden Truppe in Palastina. Hunderttausend Soldaten, die Arabische Legion in Jordanien nicht mitgerechnet. Sicher, die Makkabaer rennen herum, knallen, machen Larm, setzen sich in Szene und werfen uns vor, wir trauten uns nicht heraus.« Avidan schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ich bemuhe mich, bei Gott, eine Armee zu organisieren. Aber wir haben noch nicht einmal zehntausend Gewehre, um damit zu schie?en, und wenn die Hagana erledigt ist, dann sind wir alle miteinander erledigt.«
Avidan kam um den Schreibtisch herum. »Sieh mal, Ari — die Makkabaer mit ihren paar tausend Hitzkopfen sind beweglich, konnen zuschlagen und sich wieder unsichtbar verkriechen. Wir aber, wir mussen mit Gewehr bei Fu? auf der Stelle treten, und dabei mussen wir auch bleiben. Wir konnen uns nicht auf eine Auseinandersetzung einlassen. Und wir konnen es uns auch nicht leisten, Haven-Hurst ernstlich zu reizen. Auf je funf Juden in Palastina kommt ein englischer Soldat.«
Ari nahm erneut die Liste der britischen Streitkrafte vom Schreibtisch und studierte sie schweigend.
»Von Tag zu Tag treiben es die Englander arger mit ihren Razzien, Stra?ensperren, Haussuchungen und Verhaftungen«, sagte Avidan. »Die Araber massieren ihre Streitkrafte, und die Englander tun, als merkten sie nichts davon.«
Ari nickte nachdenklich. Dann sagte er. »Und wohin gehe ich jetzt?«
»Ich habe nicht die Absicht, dir einen neuen Auftrag zu erteilen, vorlaufig jedenfalls nicht. Fahr nach Haus, ruh dich ein paar Tage aus und melde dich dann beim Palmach im Kibbuz Ejn Or. Ich mochte, da? du alle Siedlungen in Galilaa inspizierst, um festzustellen, wie stark unsere Verteidigung ist. Wir mochten gern wissen, was wir voraussichtlich halten konnen — und was wir verlieren werden.«
»Ich habe dich noch nie so reden gehort wie heute, Avidan.«
»Die Situation war auch noch nie so kritisch wie im Augenblick. Die Araber haben es sogar abgelehnt, sich in London mit uns an einen Tisch zu setzen und zu verhandeln.«
Ari ging zur Tur.
»Gru?e Barak und Sara von mir«, sagte Avidan, »und sage Jordana, sie soll nicht uber die Strange schlagen, wenn David ben Ami jetzt wieder im Land ist. Ich werde ihn und die anderen Jungens auch nach Ejn Or schicken.«
»Ich bin morgen in Jerusalem«, sagte Ari. »Kann ich dort irgend etwas fur dich erledigen?«
»Ja, sei so gut und organisiere mir zehntausend Soldaten mit Fronterfahrung — und die dazugehorigen Waffen, um sie auszurusten.« »Schalom, Avidan.«
»Schalom, Ari. Schon, da? du wieder da bist.«
Ari fuhr nach Tel Aviv zuruck, und seine Stimmung war duster. Normalerweise arbeitete er wie eine Maschine. Gefuhle waren Luxus in seiner Situation. Er war tuchtig und mutig, manchmal hatte er Erfolg, manchmal nicht. Doch zuweilen geschah es, da? Ari ben Kanaan die Wirklichkeit in ihrer ganzen Harte vor sich sah, und dann tat ihm das Herz weh. Die Exodus, die Raffinerie von Haifa, ein Uberfall hier, eine Sprengung dort. Menschen lie?en ihr Leben bei dem Versuch, funfzig Gewehre hereinzuschmuggeln. Menschen wurden gehangt, weil sie hundert verzweifelte Uberlebende des Hitlerregimes illegal ins Land gebracht hatten. Er war ein kleiner Mann, der gegen einen Riesen kampfte. Und im Augenblick wunschte er, ebenso wie David ben Ami an das plotzliche und wunderbare Eingreifen einer gottlichen Macht glauben zu konnen. Doch dazu war Ari zu sehr Realist.
Kitty Fremont wartete in der kleinen Bar am Ende der Halle auf Aris Ruckkehr. Er war ihr gegenuber so aufmerksam gewesen, da? sie noch nicht schlafen gehen wollte. Sie wartete auf ihn, um mit ihm noch ein bi?chen zu reden und vorm Schlafengehen noch einen Drink mit ihm zu nehmen. Sie sah, wie er durch die Halle zum Portier ging, um sich seinen Zimmerschlussel geben zu lassen.
»Ari!« rief sie.
Sein Gesicht hatte den gleichen Ausdruck tiefer Konzentration wie damals in Zypern, da sie ihn zum erstenmal gesehen hatte.
Sie winkte ihm zu, doch er schien sie weder zu sehen noch zu horen. Er sah in ihre Richtung, doch sein Blick ging durch sie hindurch, und er stieg stumm die Treppe hinauf.
II.
Zwei Busse, in denen funfzig der Kinder von der Exodus sa?en, fuhren an dem Ruinenberg von Chazor vorbei und in das Hule-Tal hinein. Auf der ganzen Fahrt von Haifa durch das Land Galilaa hatten sich die jugendlichen Reisenden gegenseitig mit lautem Jubel auf alles aufmerksam gemacht, was es im Gelobten Land zu sehen gab.
»Dov!« rief Karen. »Ist das nicht alles wunderbar?«
Dov brummte nur, was offenbar hei?en sollte, da? er deshalb keine Veranlassung sehe, einen solchen Larm zu machen.
Sie fuhren weit in das Hule-Tal hinein, bis nach Yad El. Hier zweigte von der gro?en Stra?e eine Nebenstra?e ab, die in das Gebirge an der libanesischen Grenze hinauffuhrte. Die Kinder sahen das Richtungsschild mit der Aufschrift Gan Dafna. Alle konnten es vor neugieriger Spannung kaum noch aushalten. Nur Dov Landau blieb weiterhin stumm und duster. Die Busse nahmen die Steigungen, und bald konnten die Reisenden das ganze Hule- Tal vor sich sehen, in dem sich wie Teppiche die grunen Felder der Kibbuzim und Moschawim erstreckten. Sie fuhren langsamer, als sie auf halbem Weg zur Hohe das Araberdorf Abu Yesha erreichten. Hier war nichts von der