wachsender Ungeduld den dienstfreien Tagen entgegen, die sie mit Karen in Sutherlands Villa verbringen konnte. Wenn sie bei Sutherland war, wurde ihr jedesmal wieder der Unterschied bewu?t, der zwischen ihr und den Juden bestand. Harriet Salzmann kam zweimal zu Besuch nach Gan Dafna. Beide Male versuchte die alte Frau, Kitty dazu zu uberreden, in einem der Jugend-Aliyah-Zentren im Gebiet von Tel Aviv die Stellung einer Chef-Pflegerin zu ubernehmen. Kitty war eine hervorragende Organisatorin und sorgte mit gro?er Energie dafur, da? der Betrieb reibungslos lief. Diese Eigenschaften, zu denen noch ihre umfassende berufliche Erfahrung und Fahigkeit hinzukamen, wurden an all den Orten, die nicht so gut organisiert waren wie Gan Dafna, dringend benotigt. Doch Kitty lehnte ab. Sie hatte sich in Gan Dafna eingelebt, und Karen fuhlte sich bei ihr ganz wie zu Hause. Kitty hatte keinen beruflichen Ehrgeiz und auch kein Interesse, in der Jugend-Aliyah Karriere zu machen.

Der entscheidende Grund ihrer Absage war jedoch, da? sie keinen Posten ubernehmen wollte, auf dem sie fur Gadna-Aktionen und den Waffenschmuggel verantwortlich gewesen ware. Kitty war entschlossen, neutral zu bleiben. Ihre Arbeit sollte auch weiterhin nur beruflichen, nicht aber politischen Charakter haben.

Fur Karen war Kitty Fremont wie eine altere Schwester, die Elternstelle an ihr vertrat. Kitty tat alles, um das Madchen glucklich zu machen. Sie wollte fur Karen unentbehrlich werden, um damit ihren heimlichen Gegner aus dem Felde zu schlagen: die Macht von Erez Israel.

Im Mai, als die Regenzeit vorbei war, das Hule-Tal und die syrischen und libanesischen Berghange uppig ergrunten, die Taler sich mit Teppichen wildwachsender Blumen schmuckten und die Knospen der Fruhlingsrosen von Galilaa in prachtigen wei?en, roten und gelbroten Tonen erbluhten, bereitete sich Gan Dafna auf einen Festtag besonderer Art. Es galt, Schawuot zu feiern, das Fest der ersten Fruchte des neuen Jahres.

Alle Feste, die mit dem landlichen Leben zusammenhingen, standen dem Herzen der Juden von Palastina besonders nahe. Es war Sitte geworden, da? zu Schawuot die Siedlungen des Hule-Gebietes Delegationen nach Gan Dafna entsandten, die an der Festlichkeit in dem Jugenddorf teilnahmen.

Von uberallher kamen die Lastwagen mit den Gasten. Sie kamen von dem Moschaw Yad El, von dem Kibbuz Kfar Gileadi oben an der libanesischen Grenze, von dem am See gelegenen Ayelet Haschachar und von Ejn Or. Sie kamen von Dan an der syrischen Grenze und von Manara auf dem Gipfel des Berges.

Kitty wu?te es so einzurichten, da? sie jeden der Wagen sah, der herankam. Jedesmal hoffte sie, Ari ben Kanaan unter den Gasten zu entdecken, und es gelang ihr nicht, ihre Enttauschung zu verbergen.

Jordana, die Kitty beobachtete, sah es und lachelte hohnisch.

Der Tag war von festlicher Heiterkeit erfullt. Es gab sportliche Wettkampfe, und die Unterrichtsraume und Werkstatten, die sonst so kahl wirkten, waren zum Empfang der Gaste geschmuckt. Auf der Grunflache in der Mitte des Dorfes wurde Horra getanzt, wahrend auf dem Rasen langgereiht Tische standen, die sich unter der Fulle der Speisen bogen.

Bei Sonnenuntergang begaben sich alle zu dem Freilichttheater, das in einen Hang hineingebaut und rings von Pinien umgeben war. Das Theater fullte sich bis auf den letzten Platz, und Hunderte weiterer Zuschauer lagerten sich auf den umliegenden Wiesen. Als es dunkel wurde, erstrahlten bunte Lichtergirlanden zwischen den Pinien.

Das Orchester von Gan Dafna spielte ,Hatikwa' — die Hoffnung — Dr. Liebermann hielt eine kurze Begru?ungsansprache und gab das Zeichen zum Beginn der Schawuot-Parade. Dann kehrte er zu seinem Platz neben Kitty, Bruce Sutherland und Harriet Salzmann zuruck.

Kitty verspurte Angst, als sie Karen auf einem gro?en wei?en Pferd die Parade anfuhren sah. Sie hielt die Stange der Fahne mit dem blauen Davidstern auf dem wei?en Feld. Sie trug lange, dunkelblaue Hosen, eine bestickte Bauernbluse und Sandalen. Ihr dichtes braunes Haar hing in Zopfen uber ihre Schultern.

Kitty umklammerte die Armlehnen ihres Stuhles. Karen sah aus wie die Inkarnation des judischen Geistes. Habe ich sie verloren, dachte Kitty, habe ich sie verloren? Der Wind lie? die Fahne flattern; das Pferd scheute und wollte ausbrechen, doch Karen hatte es rasch wieder in der Gewalt. Sie ist von mir fortgegangen, wie sie von den Hansens fortgegangen ist, mu?te Kitty denken. Harriet Salzmann sah zu ihr hinuber, und Kitty blickte zu Boden. Karen verschwand aus dem Rampenlicht; der Zug ging weiter. Es kamen die funf Traktoren von Gan Dafna, auf Hochglanz poliert. Jeder zog einen Tafelwagen, beladen mit den Fruchten der Felder des Jugenddorfes. Jeeps und Erntewagen kamen vorbei, uber und uber geschmuckt mit Blumen. Es kamen Wagen, auf denen Kinder in Farmerkleidung mit Harken, Sensen und anderen Werkzeugen in der Hand standen.

Das Vieh des Dorfes zog vorbei, angefuhrt von den Kuhen, die mit Blumen und bunten Bandern geschmuckt waren. Es folgten die Pferde mit glanzend gestriegeltem Fell, Mahnen und Schwanze in Zopfe geflochten. Die Schafe und die Ziegen wurden vorbeigetrieben, und die Kinder trugen ihre Lieblinge, Hunde und Katzen, ein Affchen, wei?e Mause und Hamster vorbei.

Kinder zogen voruber und hielten Stoffe in der Hand, die sie gesponnen und gewebt, und Zeitungen, die sie gedruckt hatten. Sie zeigten Kunsthandwerksgegenstande, Korbe und Keramik aus ihren eigenen Werkstatten. Die Leichtathleten und Sportmannschaften des Jugenddorfes marschierten vorbei, von den Zuschauern und Gasten mit lauten Zurufen begru?t.

Dr. Liebermanns Sekretarin kam zu ihm heran und flusterte ihm etwas ins Ohr. »Entschuldigen Sie bitte«, sagte er. »Ich werde dringend am Telefon verlangt.«

»Fassen Sie sich kurz und kommen Sie schnell wieder her«, rief Harriet Salzmann ihm nach.

Die Lampen in den Baumen gingen aus, und das Theater lag einen Augenblick im Dunkeln, bis der Scheinwerfer anging, der die Buhne beleuchtete. Der Vorhang offnete sich, eine Trommel ertonte, und auf einer Flote aus Schilfrohr ertonte eine alte Melodie. Begleitet von der wehmutigen Monotonie der beiden Instrumente begannen die Kinder, eine Pantomime aufzufuhren: Das Lied der Ruth.

Die Kostume der Kinder waren historisch, und ihr Tanz entsprach den langsamen und ausdrucksvollen Gebarden, wie sie uberliefert waren aus der Zeit, da Ruth und Naomi gelebt hatten. Dann traten andere Tanzer auf, die wilde Sprunge vollfuhrten und leidenschaftliche Erregung ausdruckten.

Wie waren diese Kinder von der Aufgabe erfullt, die Vergangenheit ihres Volkes wieder lebendig werden zu lassen, dachte Kitty. Mit welcher Inbrunst setzten sie sich dafur ein, den Ruhm Israels neu erstehen zu lassen.

Jetzt betrat Karen die Buhne, und unter den Zuschauern entstand erwartungsvolle Stille. Karen tanzte die Rolle der Ruth. Ihre Gebarden berichteten die so einfache und so gro?artige Geschichte von dem Madchen aus dem Volk der Moabiter, die mit ihrer hebraischen Schwiegermutter nach Bethlehem zog — dem Hause des Brotes. Die Geschichte der Liebe und des einziges Gottes, die seit den Tagen der Makkabaer immer wieder beim Schawuot-Fest berichtet worden war. Ruth war eine Fremde gewesen, eine Unglaubige im Lande der Juden. Und doch gehorte sie zu den Vorfahren des Konigs David.

Kitty war mutlos wie nie zuvor. Sie war eine Fremde hier, und sie wurde immer eine Fremde bleiben, eine Unglaubige unter den Hebraern. Und es war ihr nicht moglich, wie Ruth zu sagen: »Wo du hingehst, da will auch ich hingehen; dein Volk sei mein Volk, und dein Gott sei mein Gott.« Bedeutete das, da? sie Karen verlor? Dr. Liebermanns Sekretarin beruhrte Kitty an der Schulter: »Dr. Liebermann la?t Sie bitten, sofort in sein Buro zu kommen.«

Der Weg war dunkel, und Kitty mu?te auf die Laufgraben achten. Sie nahm ihre Taschenlampe und leuchtete damit den Boden ab. Sie uberquerte die Grunflache und kam an der Statue von Dafna vorbei. Hinter sich konnte sie das Schlagen der Trommeln und das Weinen der Flote horen. Sie ging rasch zu dem Verwaltungsgebaude und offnete die Tur zu Dr. Liebermanns Buro.

»Um Gottes willen«, sagte sie, durch den Ausdruck seines Gesichtes erschreckt. »Was ist los? Sie machen ein Gesicht, als hatten Sie —« »Man hat Karens Vater gefunden«, sagte er leise.

VIII.

Am nachsten Tag brachte Bruce Sutherland Kitty und Karen nach Tel Aviv. Kitty hatte erklart, da? sie einige dringende Einkaufe machen musse und Karen bei der Gelegenheit endlich einmal die Stadt zeigen wolle. Sie erreichten Tel Aviv gegen Mittag und begaben sich in das Gat-Rimon-Hotel auf der Hayarkon-Stra?e, unmittelbar am Mittelmeer. Nach dem Essen bat Sutherland, ihn zu entschuldigen, und ging in die Stadt. Wahrend der Mittagsstunden waren die Laden geschlossen. Kitty und Karen schlenderten den sandigen Strand unterhalb des Hotels entlang und erfrischten sich dann durch ein Bad im Meer.

Gegen drei Uhr bestellte Kitty ein Taxi. Sie fuhren zum RothschildBoulevard und hielten Ecke Allenby-Road. Durch die Allenby-Road mit ihren vielen neuen Geschaften und den Rothschild-Boulevard mit dem breiten Grunstreifen in der Mitte ergo? sich ein unablassiger Strom von Wagen und Bussen, und die Menschen bewegten sich in der Gangart der Gro?stadter und hatten es alle eilig.

»Ich finde es wunderbar und aufregend«, sagte Karen. »Ich bin froh, da? ich mitfahren konnte. Es fallt mir

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