»Ja, ich glaube, so ungefahr hatte ich es mir vorgestellt.«

»Es gibt vieles hier, was ich schatzen und lieben gelernt habe. Doch dieses Land ist nicht meine Heimat, und die Menschen hier sind nicht meine Landsleute.«

»Ich bin wahrscheinlich sehr egoistisch gewesen«, sagte Karen. »Ich habe nie daran gedacht, da? du Heimweh bekommen oder irgend etwas fur dich selbst wunschen konntest.«

»Das ist das netteste Kompliment, das mir jemals irgendein Mensch gemacht hat.«

Karen schenkte Tee ein und versuchte nachzudenken. Kitty bedeutete alles fur sie — aber fortgehen, Palastina verlassen?

»Ich wei? nicht, Kitty, wie ich das erklaren soll — aber die ganze Zeit, seit ich alt genug bin, Bucher zu lesen, schon in Danemark, hat mich die Frage beschaftigt, was es eigentlich bedeutet, da? ich Judin bin. Ich wei? die Antwort auf diese Frage bis heute nicht. Ich wei? nur, da? ich hier irgend etwas habe, was mir gehort — etwas, was mir nie jemand nehmen kann. Ich wei? nicht genau, was das ist, aber es ist das Wichtigste, was es fur mich uberhaupt auf der Welt gibt. Vielleicht kann ich es eines Tages in Worte fassen — aber jedenfalls kann ich nicht aus Palastina fortgehen.« »Was immer dir gehort, wirst du auch in Amerika haben. Die Juden in Amerika — und, wie ich glaube, auch die Juden in allen anderen Landern — haben das gleiche Gefuhl der Zusammengehorigkeit, wie du es hast. Dadurch, da? du aus Palastina fortgehst, andert sich daran nichts.«

»Aber diese anderen Juden leben im Exil.«

»Nein, Kind — begreifst du denn gar nicht, da? die Juden in Amerika dieses Land als ihre Heimat lieben?«

»Die Juden in Deutschland haben auch ihre deutsche Heimat geliebt.«

»Hor auf damit!« schrie Kitty plotzlich. »Wir Amerikaner sind nicht so, und ich mag von diesen Lugen nichts horen, mit denen man euch futtert!« Sie beherrschte sich rasch wieder. »In Amerika gibt es Juden, die ihre amerikanische Heimat so sehr lieben, da? sie lieber sterben wurden, falls jemals das, was in Deutschland geschah, auch in Amerika geschehen sollte.« Sie trat hinter den Stuhl, auf dem Karen sa?, und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Meinst du vielleicht, ich wu?te nicht, wie schwierig das fur dich ist? Und glaubst du, ich ware fahig, irgend etwas zu tun, das dir weh tut?« »Nein«, flusterte Karen.

Kitty kniete sich vor Karens Stuhl auf den Boden und sah das Madchen an. »Ach, Karen — du wei?t ja uberhaupt gar nicht, was Frieden ist. Du hast in deinem ganzen Leben noch nie die Moglichkeit gehabt, wirklich frei und ohne Furcht zu leben. Glaubst du, da? es hier besser wird? Da? es hier jemals besser werden konnte? Karen, ich wunsche mir, da? du nicht aufhorst, eine Judin zu sein und dieses Land hier zu lieben — doch es gibt noch andere Dinge, die ich mir auch fur dich wunsche.«

Karen sah beiseite.

»Wenn du hierbleibst«, sagte Kitty, »wirst du dein ganzes Leben lang ein Gewehr tragen. Du wirst hart und zynisch werden, genau wie Ari und Jordana.«

»Wahrscheinlich war es falsch von mir, zu hoffen, du wurdest immer hierbleiben.«

»Komm mit, Karen, komm mit mir nach Amerika. Gib uns beiden eine Chance. Wir brauchen einander. Wir haben beide genug gelitten.«

»Ich wei? nicht, ob ich aus diesem Land fortgehen kann«, sagte Karen mit bebender Stimme. »Ich wei? es nicht — ich wei? es einfach nicht.« »Ach, Karen — ich wunsche mir so sehr, dich in Reitstiefeln zu sehen und in Faltenrocken und mit dir in einem schnittigen Ford zu einem Fu?ballspiel zu fahren. Ich mochte horen, wie das Telefon klingelt und du dich kichernd mit einem deiner Verehrer unterhaltst. Ich mochte, da? du all die reizenden und unwichtigen Dinge im Kopf hast, mit denen sich ein Madchen in deinem Alter beschaftigt, anstatt ein Gewehr zu tragen oder Munition zu schmuggeln. Es gibt so vieles, was dir hier entgeht. Du sollst wenigstens einmal erleben, da? es all diese Dinge gibt, ehe du dich endgultig entscheidest. Bitte, Karen — bitte.«

Karens Gesicht war bleich. Sie stand auf und entfernte sich von Kitty. »Und was ist mit Dov?«

Kitty nahm Dovs Brief aus ihrer Tasche und gab ihn Karen. »Das da habe ich heute auf meinem Schreibtisch gefunden. Wie es dorthin gekommen ist, wei? ich nicht.«

Mrs. Fremont,

aus Grunden, die Ihnen bekannt sein durften, gelangt dieser Brief auf einem besonderen Wege zu Ihnen. Ich habe zur Zeit sehr viel zu tun. Ich befinde mich bei guten Freunden. Es ist das erstemal seit langer Zeit, da? ich bei Freunden bin, und es sind wirklich gute Freunde. Nachdem ich hier jetzt eine feste Bleibe habe, mochte ich Ihnen gerne schreiben, um Ihnen zu sagen, wie froh ich bin, nicht mehr in Gan Dafna zu sein, wo mir alle Leute auf die Nerven gingen, auch Sie und Karen Clement! Ich schreibe diesen Brief, um Ihnen mitzuteilen, da? ich Karen Clement nicht mehr wiedersehen werde, da ich dazu viel zu beschaftigt bin, und weil ich mit Menschen zusammen bin, die wirklich meine Freunde sind. Ich mochte nicht, da? Karen Clement denkt, ich kame zuruck, um mich um sie zu kummern. Sie ist ja nichts als ein Kind. Ich habe hier eine richtige Frau, die so alt ist wie ich, und wir beide leben zusammen. Warum fahren Sie eigentlich nicht mit Karen Clement nach Amerika, denn hierher gehort sie ja doch nicht?

Dov Landau

Kitty nahm Karen den Brief aus der Hand und ri? ihn in kleine Stucke. »Ich werde Dr. Liebermann sagen, da? ich von meinem Posten zurucktrete. Sobald wir hier alles geordnet haben, bestellen wir Schiffsplatze fur die Uberfahrt nach Amerika.«

»Ja, Kitty«, sagte Karen. »Ich komme mit.«

XIV.

Der Fuhrungsstab der Makkabaer wechselte alle paar Wochen sein Hauptquartier. Nach der Ermordung Haven-Hursts hielten es Ben Mosche und Akiba fur besser, fur eine Weile aus Jerusalem zu verschwinden.

Da das Hauptquartier bestandig verlegt werden mu?te, bestand der Stab nur aus einem halben Dutzend Manner. Jetzt war die Situation so bedrohlich geworden, da? sich auch diese kleine Fuhrungsgruppe aufteilte und nur vier davon nach Tel Aviv gingen. Diese vier waren Akiba und Ben Mosche, au?erdem Nachum ben Ami, der Bruder von David ben Ami, und Dov Landau, der inzwischen als Kleiner Giora bekannt und beruhmt geworden war. Durch seinen ungewohnlichen Mut und die wertvollen Dienste, die er als hochqualifizierter Fachmann fur Falschungen leistete, war er in den obersten und innersten Fuhrungskreis der Makkabaer aufgestiegen und der besondere Gunstling von Akiba geworden.

Diese vier Leute schlugen ihr Hauptquartier in einer SouterrainWohnung auf, die einem Mitglied der Makkabaer gehorte. Das Haus lag an der B'nej-B'rak-Stra?e, in der Nahe der AutobusZentralstation und des Alten Marktes, in einer sehr verkehrsreichen Gegend. Rund um das Haus wurden Wachtposten aufgestellt, und fur den Notfall wurde ein Fluchtweg ausgearbeitet. Es schien ideal — und hatte nicht schlimmer sein konnen.

Fast funfzehn Jahre lang hatte Akiba alle Bemuhungen der CID und des Britischen Intelligence Service vereitelt, seiner habhaft zu werden. Jetzt fugte es sich zufallig, da? der CID ein anderes Haus auf der B'nej-B'rak- Stra?e beobachten lie?, das nur drei Hauser von dem neuen Hauptquartier der Makkabaer entfernt war. Bei den Bewohnern dieses anderen Hauses handelte es sich um eine Schmugglerbande, die im Hafen von Jaffa ein Lager von unverzollten Waren unterhielt. Den Mannern der CID, die von einem Haus auf der gegenuberliegenden Stra?enseite aus die Wohnung der Schmuggler uberwachten, fielen dabei die verdachtigen Posten auf, die Tag und Nacht in der Nahe der Souterrain-Wohnung standen. Sie fotografierten sie mit einem Teleobjektiv und identifizierten zwei der Wachtposten als bekannte Mitglieder der Makkabaer. Wahrend sie Jagd auf Schmuggler machten, waren sie rein zufallig auf ein Versteck der Makkabaer gesto?en. Auf Grund ihrer langjahrigen Erfahrung mit den Makkabaern schien es ihnen geraten, das Nest sofort auszuheben. Sie organisierten die Sache in aller Eile und griffen vollig uberraschend zu. Dabei hatten sie noch gar keine Ahnung, da? es sich bei dem verdachtigen Unternehmen sogar um das Hauptquartier der Makkabaer handelte.

Dov sa? in einem der drei Zimmer der Souterrain-Wohnung, damit beschaftigt, einen Pa? des Staates Salvador zu falschen. Au?er ihm war nur Akiba anwesend. Nachum ben Ami und Ben Mosche waren fortgegangen, um sich mit Seew Gilboa, dem Verbindungsmann zwischen der Hagana und den Makkabaern, zu treffen. Akiba kam in das Zimmer, in dem Dov arbeitete.

»Nun verrat mir doch mal, Kleiner Giora«, sagte Akiba, »wie hast du es blo? fertiggebracht, Ben Mosche einzureden, dich heute mitzunehmen?«

»Ich mu? diesen Pa? fertig machen«, brummte Dov.

Akiba sah auf seine Uhr und streckte sich dann auf dem Feldbett aus, das hinter Dov stand. »Sie mu?ten bald wieder da sein«, sagte er.

»Ich traue den Leuten von der Hagana nicht«, sagte Dov.

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