»Es bleibt uns im Augenblick nichts anderes ubrig, als ihnen zu trauen«, sagte der alte Mann.

Dov hielt den Pa? gegen die Lampe, um zu prufen, ob man anhand des Wasserzeichens und des Stempels erkennen konnte, wo er radiert hatte. Es war eine gute Arbeit. Nicht einmal ein Fachmann konnte feststellen, wo er den Namen und die Beschreibung des fruheren Pa?inhabers verandert hatte. Dov beugte sich dicht uber den Pa? und ahmte die Unterschrift eines Pa?beamten des Staates Salvador nach. Dann legte er die Feder hin, stand auf und ging unruhig in dem engen Raum hin und her, sah immer wieder einmal nach, ob die Tinte schon getrocknet war, und nahm danach seine ruhelose Wanderung wieder auf, hin und her, hin und her.

»Sei nicht so ungeduldig, Kleiner Giora. Du wirst noch lernen, da? Warten das Schlimmste ist, wenn man illegal leben mu?. Das Warten — worauf eigentlich, frage ich mich oft?«

»Ich kenne diese Art zu leben schon von fruher«, sagte Dov. »Richtig, richtig«, sagte Akiba. Er richtete sich auf und reckte sich. »Warten, warten, warten. Du bist noch sehr jung, Dov. Du solltest lernen, nicht ganz so ernst und nicht ganz so verbissen zu sein. Das war immer mein Fehler. Ich war immer viel zu intensiv. Habe nie an mich gedacht, sondern Tag und Nacht nur fur die Sache gearbeitet.« »Das klingt seltsam aus dem Munde von Akiba«, sagte Dov.

»Wenn man alt wird, dann wird einem vieles klar. Wir warten — warten auf eine Moglichkeit, weiter zu warten. Wenn sie uns erwischen, konnen wir bestenfalls damit rechnen, da? man uns des Landes verweist oder fur lebenslanglich ins Gefangnis steckt. Doch heutzutage ist das Ubliche, da? man jeden, den man erwischt, aufhangt. Das ist es ja, weshalb ich dir den guten Rat gebe: sei nicht so tierisch ernst. Unter den Makkabaern gibt es viele hubsche Madchen, die es wunderbar fanden, wenn sie unseren Kleinen Giora kennenlernen konnten. Genie?e dein Leben, solange dazu noch Gelegenheit ist.«

»Interessiert mich nicht«, sagte Dov mit Entschiedenheit.

»Ach, wirklich«, sagte der Alte mit freundlichem Spott. »Vielleicht hast du schon eine Freundin, die du uns verschwiegen hast.«

»Ich war fruher mal mit einem Madchen befreundet«, sagte Dov, »aber jetzt nicht mehr.«

»Ich mu? Ben Mosche sagen, da? er ein Madchen fur dich ausfindig macht; dann sollst du mit ihr ausgehen und dich amusieren.«

»Ich will kein Madchen haben, ich will hier im Hauptquartier bleiben. Das ist wichtiger als alles andere.«

Der alte Mann streckte sich wieder auf das Feldbett aus und versank in Gedanken. Schlie?lich fing er an zu sprechen. »Du irrst dich, Kleiner Giora. Du irrst dich sehr. Das Wichtigste, was es gibt, das ist, morgens aufzuwachen und aus dem Fenster auf dein Land zu sehen, und dann hinauszugehen, dieses Land zu bearbeiten — und am Abend nach Haus zu kommen zu einem Menschen, den du liebst und der dich liebt.«

Der Alte wird wieder einmal sentimental, dachte Dov. Er untersuchte den Pa? und stellte fest, da? die Tinte getrocknet war. Er klebte das Pa?foto ein. Wahrend Akiba auf dem Feldbett ein Nickerchen machte, nahm Dov seine ruhelose Wanderung wieder auf. Seitdem er diesen Brief an Mrs. Fremont abgeschickt hatte, war es noch schlimmer geworden. Fruher oder spater wurden ihn die Englander schnappen und aufhangen, und dann war alles vorbei. Die Leute wu?ten nicht, da? der Grund fur seine sagenhaft gewordene Furchtlosigkeit die Tatsache war, da? ihm nichts daran lag, am Leben zu bleiben. Er betete geradezu darum, von einer feindlichen Kugel getroffen zu werden. In letzter Zeit war es mit seinen Angsttraumen wieder sehr schlimm geworden, und Karen war nicht da, um schutzend zwischen ihm und der Tur der Gaskammer zu stehen. Mrs. Fremont wurde sie jetzt nach Amerika mitnehmen. Das war richtig so! Und er wurde mit den Makkabaern weiter zu Terroraktionen hinausgehen, bis es ihn eines Tages erwischte — weil es sinnlos war, ohne Karen zu leben.

Drau?en vor dem Haus mischten sich funfzig britische Polizisten in ziviler Kleidung unter die Menge, die bei der Haltestelle der Autobusse stand. Sie schnappten sich rasch die Makkabaer, die rings um das Haus Wache hielten, und schafften sie fort, ehe sie ein Warnsignal geben konnten. Dann sperrten sie den ganzen Hauserblock ab.

Funfzehn Polizisten gingen, mit Maschinenpistolen, Tranengas, Axten und Vorschlaghammern ausgerustet, leise die Treppe zu der Souterrain-Wohnung hinunter und bauten sich vor der Tur auf.

Es klopfte an der Tur. Akiba, der eingeschlafen war, offnete halb die Augen. »Das konnen nur Ben Mosche und Nachum ben Ami sein. La? sie herein, Dov.«

Dov legte die Sperrkette vor und machte die Tur einen Spalt breit auf. Ein Vorschlaghammer fiel krachend herunter, und die Tur sprang auf.

»Englander!« schrie Dov.

Akiba und der Kleine Giora verhaftet! Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht durch ganz Palastina. Der sagenumwobene Akiba, der die Englander langer als ein Jahrzehnt zum Narren gehalten hatte, war jetzt ihr Gefangener!

Der englische Hohe Kommissar fur Palastina entschlo? sich, die beiden Gefangenen sofort vor Gericht zu stellen und ein Urteil uber sie zu fallen, das die Makkabaer noch mehr demoralisieren wurde. Er war der Meinung, da? eine rasche Verurteilung Akibas die Autoritat der britischen Obrigkeit wieder herstellen und die Aktivitat der Makkabaer eindammen wurde, da der alte Mann lange Zeit die treibende Kraft hinter den Aktionen der Terroristen gewesen war.

Der Hohe Kommissar veranla?te eine gerichtliche Verhandlung unter strenger Geheimhaltung. Auch der Name des Richters wurde nicht bekanntgegeben, um seine personliche Sicherheit nicht zu gefahrden. Akiba und der Kleine Giora wurden zum Tode durch den Strang verurteilt, und das Urteil war spatestens zwei Wochen nach der Festnahme zu vollstrecken. Die beiden Verurteilten wurden in die uneinnehmbare Festung des Gefangnisses von Akko eingeliefert.

In seinem Eifer hatte der Hohe Kommissar einen verhangnisvollen Fehler begangen. Man hatte den Vertretern der Presse nicht erlaubt, an der Gerichtsverhandlung teilzunehmen, aber die Makkabaer besa?en — besonders in den Vereinigten Staaten — einflu?reiche Freunde und finanzielle Hilfsquellen. Die Frage, ob Akiba und Dov Landau schuldig oder unschuldig waren, ging in der leidenschaftlichen Diskussion unter, die der Fall in der Offentlichkeit ausloste. Ahnlich wie damals der Zwischenfall mit der Exodus fuhrte die Verurteilung der beiden zu heftiger Kritik an der englischen Mandats-Politik. Dovs Vergangenheit im Warschauer Ghetto und in Auschwitz wurde von den Reportern aufgespurt und publiziert, was fur den Verurteilten in ganz Europa eine Welle der Sympathie hervorrief. Besonders verargert war die Offentlichkeit auch uber das geheime Gerichtsverfahren. Bilder des achtzigjahrigen Akiba und des achtzehnjahrigen Kleinen Giora wirkten auf die Vorstellungskraft der Leser wie die eines Propheten und seines Schulers, und die Zeitungsleute verlangten, die Gefangenen sehen und mit ihnen sprechen zu konnen.

Cecil Bradshaw befand sich als Mitglied der UNSCOP in Palastina. Nachdem er bei der Exodus erlebt hatte, was aus einer solchen Sache entstehen konnte, konferierte er unverzuglich mit dem Hohen Kommissar und erbat Weisungen aus London. Der Fall brachte die Weltoffentlichkeit zu dem sehr delikaten Zeitpunkt gegen England auf, als der Untersuchungsausschu? der UNO in Palastina war.

Der Hohe Kommissar und Bradshaw begaben sich in eigener Person in das Gefangnis von Akko, um Akiba und Dov die gute Nachricht zu uberbringen, da? man sich, mit Rucksicht auf das hohe Alter Akibas und der Jugend Dov Landaus, entschlossen habe, ein Gnadengesuch der beiden Verurteilten wohlwollend zu akzeptieren und ihnen das Leben zu schenken. Die beiden Haftlinge wurden in das Buro des Gefangnisdirektors gebracht, wo ihnen die beiden hohen Beamten ohne alle Umschweife erklarten, was sie ihnen vorzuschlagen hatten.

»Wir sind vernunftige Leute«, sagte der Hohe Kommissar. »Wir haben diese Petitionen hier vorbereitet. Sie brauchen nur zu unterschreiben. Der Form nach handelt es sich dabei um Gnadengesuche, doch im Grunde ist das nur eine Formalitat — eine Hintertur, wenn Sie so wollen.«

»Also, unterschreiben Sie jetzt diese Petitionen«, sagte Bradshaw, »und wir machen Ihnen einen fairen Kompromi?vorschlag. Wir werden Sie beide au?er Landes bringen. Sie werden in irgendeiner unserer afrikanischen Kolonien eine kurze Gefangnisstrafe abbu?en, und in ein paar Jahren wird kein Hahn mehr danach krahen.«

»Ich verstehe Sie nicht ganz«, sagte Akiba. »Weshalb sollen wir in Afrika eine Gefangnisstrafe abbu?en? Wir haben kein Verbrechen begangen. Wir haben nur unser selbstverstandliches historisches Recht verteidigt. Seit wann ist es ein Verbrechen, wenn ein Soldat fur sein Vaterland kampft? Wir sind Kriegsgefangene. Sie haben kein Recht, uns zu irgendeiner Strafe zu verurteilen. Wir befinden uns in einem vom Feind besetzten Land.«

Der alte Mann versteifte sich. Dem Hohen Kommissar brach der Schwei? aus. Ahnliches hatte er schon fruher von fanatischen Makkabaern zu horen bekommen. »Horen Sie, Akiba. Wir diskutieren hier keine politischen Fragen. Es geht um Ihren Hals. Entweder unterschreiben Sie diese Gnadengesuche, oder wir mussen das Urteil vollstrecken.«

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