Akiba sah die beiden Manner an, deren Gesichtern deutlich abzulesen war, wie sehr ihnen an einer Regelung in dieser Form gelegen war. Er war sich vollig daruber klar, da? die Englander versuchten, einen Vorteil zu gewinnen oder einen Fehler wiedergutzumachen.
»Hor mal zu, mein Junge«, sagte Bradshaw zu Dov. »Du hast doch bestimmt keine Lust, am Galgen zu baumeln, nicht wahr? Also, du unterschreibst jetzt, und Akiba wird dann auch unterschreiben.« Bradshaw schob das Gnadengesuch uber den Tisch und zog seinen Fullfederhalter heraus. Dov sah einen Augenblick auf das Dokument und spuckte dann darauf.
Akiba sah die beiden Englander an. »Dein eigener Mund hat dir das Urteil gesprochen«, sagte er mit schneidendem Hohn.
Da? Akiba und der Kleine Giora es abgelehnt hatten, die Gnadengesuche zu unterschreiben, erschien in der Presse in dicken Schlagzeilen als dramatischer Protest gegen die Englander. Zehntausende der in Palastina lebenden Juden, die bisher wenig fur die Makkabaer ubrig gehabt hatten, waren von der Haltung, die die beiden an den Tag gelegt hatten, begeistert. Der Greis und der Knabe wurden uber Nacht zum Symbol des judischen Widerstands. Die Englander, die gehofft hatten, die Makkabaer kleinzukriegen, waren stattdessen auf dem besten Wege, zwei Martyrer zu schaffen. Es blieb ihnen nichts weiter ubrig, als den Termin der Urteilsvollstreckung festzusetzen: in zehn Tagen.
Die Spannung in Palastina wuchs von Tag zu Tag. Die Aktionen der Makkabaer und der Hagana hatten aufgehort, doch uberall im ganzen Lande hatte man das deutliche Gefuhl, da? man auf einem Pulverfa? sa? und ein Zeitzunder tickte.
Die ausschlie?lich von Arabern bewohnte Stadt Akko befindet sich am Nordende der Bucht, an deren Sudende Haifa liegt. Das Gefangnis ist ein auf Ruinen aus der Zeit der Kreuzfahrer errichtetes ha?liches Gebaude. Es liegt auf einer Mole, die sich von dem Gefangnis am nordlichen Stadtrand bis zum entgegengesetzten Ende der Stadt erstreckt. Ahmad el Jazzar — der Schlachter — hatte es zu einer Festung des Ottomanenreiches ausgebaut, und diese Festung hatte dem Ansturm Napoleons standgehalten. Es war ein Konglomerat von Brustwehren, Verliesen, unterirdischen Gangen, Turmen, ausgetrockneten Wassergraben, Hofen und dicken Wanden. Die Englander hatten daraus eines der gefurchtetsten Gefangnisse des ganzen Empire gemacht.
Dov und Akiba wurden in winzige Zellen gesperrt, die sich im nordlichen Flugel befanden. Die Wande, die Decke und der Fu?boden waren aus Stein. Die Zellen hatten ein Ausma? von einsachtzig mal zweivierzig. Die Au?enwand war annahernd funf Meter dick. Es gab weder elektrisches Licht noch W. C. Die Luft war muffig. Die Zellenturen waren aus Eisen, und durch ein kleines Loch konnten die Haftlinge beobachtet werden. Die einzige weitere Offnung war ein Schlitz in der Au?enwand, der funf Zentimeter weit und funfundzwanzig Zentimeter hoch war.
Akiba ging es nicht gut in seiner Zelle. Die Wande schwitzten, und die feuchte Luft verschlimmerte den Gelenkrheumatismus, an dem er seit vielen Jahren litt. Er hatte hollische Schmerzen.
Jeden Tag kamen zwei- oder dreimal irgendwelche Vertreter der britischen Behorde, um uber einen Kompromi? zu verhandeln, durch den man die Vollstreckung des Urteils vermeiden konnte. Dov nahm von diesen Leuten uberhaupt keine Notiz. Akiba rief ihnen so lange Zitate aus der Bibel zu, bis sie fluchtartig den Ruckzug antraten.
Es waren nur noch sechs Tage bis zur Vollstreckung des Urteils. Akiba und Dov wurden in die Todeszellen gebracht, die neben dem Raum lagen, in dem die Erhangungen stattfanden. Beide wurden mit den scharlachroten Hosen und Hemden bekleidet, dem traditionellen englischen Kostum fur diejenigen, auf die der Galgen wartet.
XV.
Es war ein Uhr nachts. Bruce Sutherland sa? in seiner Bibliothek und las. Er hob uberrascht den Kopf, als es an der Tur klopfte. Karen Clement kam herein.
Sutherland fuhr sich verwundert uber die Augen. »Was zum Teufel tust du denn hier zu dieser nachtlichen Stunde?«
Karen stand stumm und zitternd vor ihm.
»Wei? Kitty, da? du hier bist?«
Karen schuttelte den Kopf. Sutherland fuhrte sie zu einem Stuhl. »Nun erzahl mal, Madchen, was ist eigentlich los?«
»Ich mochte Dov Landau im Gefangnis besuchen. Ich kenne au?er Ihnen niemanden, der mir dazu verhelfen konnte.«
Sutherland verschrankte die Hande auf dem Rucken und ging im Raum auf und ab. »Selbst wenn es mir moglich sein sollte, dir die Erlaubnis zu verschaffen — ich wurde dir damit keinen Dienst erweisen. In ein paar Wochen wirst du mit Kitty Palastina verlassen. Warum versuchst du nicht lieber, ihn zu vergessen, Kind?«
»Bitte«, sagte Karen. »Ich wei? genau, was ich will. Ich habe an nichts anderes denken konnen, seit man ihn gefangengenommen hat. Ich mu? ihn noch einmal sehen. Helfen Sie mir, General Sutherland, bitte.«
»Ich werde tun, was ich kann«, sagte er. »Aber jetzt wollen wir erst einmal Kitty anrufen und ihr sagen, da? du hier bist. Sie ist vermutlich vor Angst halb von Sinnen. Wie konntest du dich aber auch nur allein und zu dieser Zeit durch arabisches Gebiet wagen!« Am nachsten Morgen rief Sutherland in Jerusalem an. Der Hohe Kommissar beeilte sich, der Bitte stattzugeben. Die Englander versuchten noch immer, Dov und Akiba dazu zu bewegen, es sich anders zu uberlegen, und griffen dabei nach jedem Strohhalm. Es war immerhin moglich, da? Dov durch Karens Besuch in seiner ablehnenden Haltung schwankend gemacht wurde.
Kitty fuhr von Gan Dafna nach Safed, wo Sutherland sie abholte. Zu dritt fuhren sie nach dem an der Kuste gelegenen Nahariya.
Von der Polizeiwache in Nahariya wurden sie unter polizeilicher Begleitung in das Gefangnis von Akko gebracht und hier in das Buro des Gefangnisdirektors gefuhrt.
Karen war auf dem ganzen Weg wie betaubt gewesen. Hier im Gefangnis kam ihr alles noch unwirklicher vor.
Der Gefangnisdirektor kam herein und forderte Karen auf, mitzukommen.
»Ich glaube, es ist besser, wenn ich dich begleite«, sagte Kitty. »Nein«, sagte Karen, »ich mochte mit ihm allein sein.«
Drau?en vor dem Zimmer des Direktors wurde Karen von zwei bewaffneten Wachtposten in Empfang genommen. Sie fuhrten sie durch eine Reihe eiserner Turen und uber einen riesigen, mit Steinen gepflasterten Hof, der rings von vergitterten Fenstern umgeben war. Karen konnte die Augen der Gefangenen sehen, die lustern hinter ihr herschielten. Dann ging es eine schmale Treppe hinauf in den abgelegenen Teil des Gefangnisses, in dem die zum Tode Verurteilten ihre engen Zellen hatten. Sie kamen an einem durch Stacheldraht abgesicherten Maschinengewehr vorbei zu einer weiteren Tur, an der zwei Soldaten mit aufgepflanzten Seitengewehren standen.
Karen wurde in eine winzige Zelle gefuhrt. Die Tur hinter ihr wurde geschlossen, und ein Soldat trat neben sie. Er offnete eine Klappe, hinter der ein Loch in der Wand war, das vielleicht zehn oder zwolf Zentimeter breit und ebenso hoch war.
»Da, Kleene, durch das Loch kannste mit ihm reden«, sagte der Posten.
Karen nickte und sah durch die Offnung. Sie konnte die beiden gegenuberliegenden Zellen sehen. Sie sah Akiba in der einen Zelle, und Dov in der anderen. Er lag in seinem scharlachroten Gewand auf dem Rucken und starrte an die Decke. Karen sah, wie ein Posten kam und die Tur seiner Zelle aufschlo?.
»Komm hoch, Landau«, schnauzte der Posten. »Da ist jemand, der mit dir reden will.«
Dov nahm ein Buch, das auf dem Fu?boden lag, schlug es auf und fing darin zu lesen an.
»He, du hast Besuch!«
Dov blatterte eine Seite um.
»Bist du schwerhorig? Da ist Besuch fur dich, hab' ich gesagt.«
»Ich bin fur keinen dieser Leute mit ihren Vorschlagen zu sprechen, sagen Sie ihnen —.«
»Das ist keiner von uns. Das ist jemand von euch. Ein Madchen, Landau.«
Dovs Hand umklammerte krampfhaft das Buch. Sein Herz hammerte. »Sagen Sie ihr, ich hatte keine Zeit.«
Der Posten zuckte die Schultern und kam an die Offnung in der Wand. »Er sagt, er will keinen sehen.«
»Dov!« rief Karen. »Dov!«
Das Echo ihrer Stimme hallte durch die Todeszelle. »Dov! Ich bin's, Karen!«
Akiba richtete den Blick gespannt auf Dovs Zelle. Dov bi? die Zahne aufeinander und blatterte die nachste