Kassi zogerte nicht, Tahas passive Haltung zu nutzen. Wahrend Taha weiterhin schwieg, wurden Kassis Leute von Tag zu Tag dreister und aktiver. Die Stra?e nach Gan Dafna wurde gesperrt. Viele Leute in Abu Yesha waren daruber emport, doch es blieb beim leisen Murren von einzelnen. Dann wurden vier Araber aus Abu Yesha von den Irregularen dabei erwischt, wie sie Nahrungsmittel nach Gan Dafna brachten. Kassi lie? sie enthaupten und ihre Kopfe als Warnung auf dem Dorfplatz aufpflanzen. Von da an war jeglicher Widerstand in Abu Yesha gebrochen.

Ari hatte sich geirrt. Er war uberzeugt gewesen, da? die Leute von Abu Yesha Taha zwingen wurden, Farbe zu bekennen, zumal die Sicherheit von Gan Dafna auf dem Spiele stand. Als die Araber von Abu Yesha nichts unternahmen und die Stra?e nach Gan Dafna gesperrt wurde, sah sich Ari einer ungeheuren kritischen Situation gegenuber.

Nach der Sperrung der Stra?e fing Kassi an, Gan Dafna von Fort Esther aus Tag und Nacht mit seinen Gebirgsgeschutzen zu bombardieren.

Auf ein Ereignis dieser Art hatten sich die Juden von Gan Dafna vom ersten Tage vorbereitet. Jeder wu?te genau, was er zu tun hatte. Jetzt schaltete man rasch und ohne jeden Larm auf den Ernstfall um. Alle Kinder im Alter von mehr als zehn Jahren hatten bestimmte Funktionen bei der Verteidigung der Siedlung. Der Wassertank wurde durch Sandsacke geschutzt, und die Generatoren, die Waffenkammer, das Verpflegungslager und das Krankenrevier wurden unter der Erde untergebracht.

In den Bunkern ging das Leben wie bisher weiter. Unterricht, Mahlzeiten, Spielstunden und alles, was zum Tagesablauf von Gan Dafna gehorte, wurde unter der Erde fortgesetzt. Die Kinder schliefen in engen Kojen in Schlafraumen, deren Wande aus Betonrohren von einem Durchmesser von drei Meter funfzig bestanden, und die nach oben durch eine mehrere Meter dicke Schicht aus Erde und Sandsacken gesichert waren.

Wann immer der Artilleriebeschu? aufhorte, kamen die Kinder und das Personal aus den Bunkern heraus nach oben, um zu spielen, die steifen Glieder zu lockern und Rasenflachen und Garten in Ordnung zu halten. Innerhalb einer Woche hatte das Personal den Kindern die Uberzeugung beigebracht, das Heulen der Granaten und das Krachen der Explosionen sei nichts anderes als eine kleine Unannehmlichkeit des taglichen Lebens.

Kassi setzte das Bombardement von Gan Dafna Tag fur Tag fort. Seine Gebirgsgeschutze legten ein Gebaude der Siedlung nach dem anderen in Trummer. Gan Dafna hatte seine ersten Verluste, als eine Granate in der Nahe des Eingangs zu einem Schutzraum explodierte und dabei zwei Kinder ums Leben kamen.

Unten im Tal, im Kibbuz Ejn Or, setzte sich Ari mit dem Problem auseinander, vor das ihn die bedrohte Lage des Jugenddorfes gestellt hatte. Gan Dafna war vollig abgeschnitten; der einzige Weg, es zu erreichen, war eine gefahrliche und hollisch anstrengende Kletterei uber die steile westliche Flanke des Berges. Man mu?te einen Hohenunterschied von mehr als sechshundert Metern bewaltigen, noch dazu bei Nacht. Die Telefonleitung war unterbrochen, und die Nachrichtenverbindung mit Gan Dafna mu?te durch Blink-Signale von Yad El aus aufrechterhalten werden. Die Lebensmittel-Vorrate reichten fur einen Monat, und auch der Wasservorrat war ausreichend, falls der Tank nicht getroffen wurde.

Die Nachrichtenverbindung und das Versorgungsproblem waren jedoch nicht Aris gro?te Sorge. Starker beunruhigte ihn die Gefahr eines Massakers. Er hatte keine Ahnung, wie lange es dauern werde, bis die Wahrheit uber die »bewaffnete Macht« Gan Dafnas bekannt wurde. Es gelang ihm, ein Dutzend spanischer Gewehre, Modell 1880, dreiundzwanzig in Palastina hergestellte Maschinenpistolen und eine ausrangierte ungarische Panzerabwehrkanone mit funf Schu? Munition zusammenzubringen. Er schickte Seew Gilboa mit zwanzig Palmach- Soldaten als Verstarkung nach Gan Dafna. Sie waren zugleich beauftragt, die zusatzlichen Waffen mit hinaufzunehmen. Seews Leute wurden zu menschlichen Packeseln. Die Panzerabwehrkanone mu?te auseinandergenommen und stuckweise transportiert werden.

Am nachsten Tag traf ein Kurier vom Hauptquartier der Hagana in Tel Aviv bei Ari ein. Ari rief sofort die militarischen Befehlshaber der Siedlungen in seinem Gebietsabschnitt zusammen. Man hatte in Tel Aviv eine allgemeine Entscheidung uber die Kinder in den Siedlungen an der Grenze getroffen. Es wurde nahegelegt, alle Kinder aus diesen Siedlungen in das Gebiet Scharon-Tel Aviv in der Nahe der Kuste zu evakuieren, wo die Situation nicht so kritisch war und wo jedes Haus, jeder Kibbuz und Moschaw bereit war, sie aufzunehmen. Man konnte zwischen den Zeilen lesen: die Situation hatte sich so bedrohlich gestaltet, da? die Hagana offensichtlich daran dachte, die Kinder eventuell per Schiff zu evakuieren, falls es den Arabern gelingen sollte, bis zur Kuste vorzusto?en.

Diese Empfehlung war kein Befehl. Die Entscheidung blieb jeder Siedlung selbst uberlassen. Einerseits wurden die Siedler mit noch gro?erer Entschlossenheit kampfen, wenn ihre Kinder bei ihnen waren; andererseits war der Gedanke an ein Massaker grauenhaft. Fur diese Pioniere und Neusiedler war die Evakuierung ihrer Kinder doppelt schmerzlich, sie wurde ihnen zum Symbol dafur, da? ihre Flucht noch immer nicht zu Ende war. Die meisten von ihnen waren nach schrecklichen Erlebnissen hierhergefluchtet; ihre Siedlungen bedeuteten fur sie die letztmogliche Zuflucht. Au?erhalb von Palastina hatten sie nichts mehr zu hoffen.

Jede Siedlung traf ihre Entscheidung. Einige der alteren Siedlungen lehnten es rundheraus ab, ihre Kinder ziehen zu lassen. Andere erklarten, sie seien entschlossen, gemeinsam Widerstand zu leisten und gemeinsam zu sterben; sie wollten nicht, da? ihre Kinder die Leiden einer Flucht kennenlernen sollten. Siedlungen in den Bergen, die abgeschnitten waren und bereits die Harten der Belagerung zu ertragen hatten, brachten es irgendwie fertig, einen Teil der Kinder hinauszuschmuggeln, um sie aus der Gefahrenzone abtransportieren zu lassen.

Aber fur die Kinder von Gan Dafna war jedermann verantwortlich. Aris Spione hatten ihm berichtet, Kawuky wurde Mohammed Kassi immer starker unter Druck setzen, um ihn zu veranlassen, Gan Dafna anzugreifen. In Gan Dafna wurden die Lebensmittel knapp und auch das Heizmaterial war fast vollkommen aufgebraucht. Der Wassertank hatte durch Einschlage in nachster Nahe mehrere lecke Stellen bekommen. Bei den Menschen begannen sich Folgen des Bunkerlebens bemerkbar zu machen, wenn sich auch niemand beklagte.

Die Hagana-Kommandeure der Siedlungen im Hule-Tal waren mit Ari einer Meinung, da? die jungeren Kinder aus Gan Dafna fortgeschafft werden sollten. Es fragte sich nur, wie. Wieder einmal sah sich Ari genotigt, einen Plan zur Uberwindung unuberwindlich scheinender Schwierigkeiten zu entwickeln. Da ihm keine andere Wahl blieb, fa?te er einen phantastischen Entschlu?, waghalsiger und riskanter als alles, was er bisher unternommen hatte.

Nachdem Ari die Einzelheiten seines Planes entwickelt hatte, lie? er David mit dem Auftrag zuruck, ein Kommando fur das Unternehmen aufzustellen, und machte sich selbst auf den Weg nach Gan Dafna. Jeder Schritt auf dem steilen Weg verursachte ihm heftige Schmerzen. Das angeschossene Bein versagte ihm im Laufe der Nacht mehrmals den Dienst. Dieses Handikap konnte er durch seine genaue Kenntnis des Weges wettmachen. Er war als Junge oft hier hinaufgeklettert. Er erreichte Gan Dafna, als der Morgen graute, und berief sofort die Gruppenfuhrer und Abteilungsleiter zu einer Besprechung in den Kommandobunker. Unter den Versammelten befanden sich Seew, Jordana, Dr. Liebermann und Kitty Fremont.

»In Gan Dafna sind zweihundertfunfzig Kinder im Alter von weniger als zwolf Jahren«, sagte Ari ohne jede Einleitung. »Diese zweihundertfunfzig Kinder werden morgen abend evakuiert.«

Er sah in ein Dutzend verbluffte Gesichter.

»Im Augenblick versammelt sich eine Einsatzgruppe in Yad El«, fuhr Ari fort. »David ben Ami wird diese Gruppe von vierhundert Mann heute abend uber den Westhang herauffuhren. Wenn alles planma?ig verlauft und sie nicht entdeckt wird, mu?ten sie morgen bei Tagesanbruch hier sein. Zweihundertfunfzig Mann dieser Gruppe werden morgen abend die Kinder auf dem Rucken hinuntertragen. Der Rest von hundertfunfzig Mann wird den Transport sichern. Ich mochte noch erwahnen, da? diese Gruppe mit samtlichen automatischen Schnellfeuerwaffen ausgerustet sein wird, die es im Hule-Tal gibt.«

Die Leute im Bunker starrten Ari an, als ob sie einen Wahnsinnigen vor sich hatten. Eine Minute lang herrschte betretenes Schweigen. Schlie?lich erhob sich Seew Gilboa. »Ari«, sagte er, »ich habe dich vielleicht nicht ganz richtig verstanden. Hast du tatsachlich vor, zweihundertfunfzig Kinder bei Nacht den Berg hinuntertragen zu lassen?«

»Ja, so ist es.«

»Das ist schon am Tage fur einen Mann ein gefahrlicher Weg«, sagte Dr. Liebermann. »Und nun erst bei Nacht, mit einem Kind auf dem Rucken — einige der Leute werden bestimmt absturzen.«

»Diese Gefahr besteht, aber das mussen wir eben riskieren.«

»Hor mal, Ari«, sagte Seew, »sie kommen verdammt nahe an Abu Yesha vorbei. Kassis Leute werden sie bestimmt entdecken.«

»Wir werden jede mogliche Vorsichtsma?nahme beachten.«

Alle begannen plotzlich gleichzeitig zu reden und zu diskutieren. »Ruhe!« rief Ari. »Hier ist keine

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