Seew Gilboa war allein. Sein Leben ging zu Ende. Die Araber lie?en eine halbe Stunde verstreichen. Sie warteten, ob die Juden irgend etwas unternehmen wurden, um dem Verwundeten zu Hilfe zu kommen. Sie wollten ihn lebend in ihre Hande bekommen. Schlie?lich offnete sich das Tor von Fort Esther. Einige drei?ig Araber stromten heraus und kamen von verschiedenen Seiten auf den Verwundeten zu.
Seew ri? die Zundung der Handgranate an und hielt sie dicht an seinen Kopf.
Ari horte das Krachen der Detonation und blieb stehen. Er wurde kreidebleich. Er schwankte. Sein Zwerchfell zog sich krampfhaft zusammen. Dann kroch er auf Handen und Fu?en weiter, zuruck nach Gan Dafna.
Ari sa? allein in dem Bunker, in dem sich sein Gefechtsstand befand. Sein Gesicht war bleich und starr. Nur das Zittern seiner Backenmuskeln lie? erkennen, da? Leben in ihm war. Seine Augen blickten stumpf aus dunklen Hohlen.
Die Juden hatten vierundzwanzig Leute verloren: elf Jungens und drei Madchen vom Palmach, sechs Angehorige des Stabspersonals und vier Kinder. Dazu kamen zweiundzwanzig Verwundete. Von Mohammed Kassis Leuten waren vierhundertachtzehn tot und hundertsiebenundsiebzig verwundet.
Die Juden hatten soviel Waffen und Munition erbeutet, da? Kassi es kaum wagen wurde, Gan Dafna noch einmal anzugreifen. Doch die Araber sa?en nach wie vor in Fort Esther und beherrschten die Stra?e, die durch Abu Yesha fuhrte.
Kitty Fremont betrat den Bunker. Auch sie war am Ende ihrer Krafte. »Alle verwundeten Araber sind nach Abu Yesha gebracht worden, bis auf diejenigen, die Sie vernehmen wollten.«
Ari nickte. »Und wie steht es mit unseren Verwundeten?«
»Zwei von den Kindern werden wohl kaum durchkommen. Bei den ubrigen besteht keine Gefahr. Da — ich habe Ihnen ein bi?chen Cognak mitgebracht«, sagte Kitty.
»Danke — danke —.«
Ari nahm einen Schluck und blieb stumm.,
»Und hier habe ich ein paar Sachen von Seew Gilboa«, sagte Kitty. »Es ist nicht viel — nur ein paar personliche Dinge.«
»Ein Kibbuzbewohner hat nur wenig, was ihm selbst gehort. Nicht einmal sein Leben ist sein Eigentum«, sagte Ari sarkastisch.
»Ich habe Seew sehr gern gehabt«, sagte Kitty. »Gerade gestern abend erzahlte er mir noch, wie er sich darauf freue, wieder seine Schafe zu huten. Ich konnte mir denken, da? seine Frau Wert darauf legt, diese Dinge zu bekommen. Sie wissen vielleicht, da? sie wieder ein Kind erwartet.«
»Seew war ein verdammter Idiot!« stie? Ari zwischen den Zahnen hervor. »Er hatte nicht die geringste Veranlassung dazu, dieses Fort einnehmen zu wollen.«
Ari ergriff das Taschentuch, das die magere Hinterlassenschaft Seew Gilboas enthielt, und warf es in den Kerosinofen. »Liora ist ein feiner Kerl, und sie ist zah. Sie wird daruber hinwegkommen. Aber mir wird es schwer werden, einen Ersatz fur ihn zu finden.«
Kitty musterte Ari aus schmalen Augen. »Ist das Ihr einziger Gedanke — da? es schwer fur Sie sein wird, einen Ersatz fur ihn zu finden?«
Ari stand auf und zundete sich eine Zigarette an. »Leute wie Seew, die kann man nicht aus dem Boden stampfen.«
»Ist Ihnen eigentlich uberhaupt nichts heilig?«
»Sagen Sie mal, Kitty — als damals Ihr Mann gefallen war, bei Guadalcanal, hat da sein Kommandeur etwa Totenwache fur ihn gehalten?«
»Ich hatte gedacht, da? die Sache hier doch etwas anders sei, Ari.
Sie kennen Seew seit Ihrer Kindheit. Seine Frau ist ein Madchen aus Yad El. Sie ist in Ihrer unmittelbaren Nachbarschaft aufgewachsen.« »Na und? Was sollte ich Ihrer Meinung nach tun?«
»Weinen sollten Sie, weinen um dieses arme Madchen!«
Einen Augenblick zuckte es in Aris Gesicht, und seine Lippen zitterten; doch dann war sein Gesicht wieder starr und unbeweglich. »Es ist fur mich nichts Neues, einen Mann auf dem Schlachtfeld sterben zu sehen. Und jetzt verschwinden Sie hier —.«
VII.
Die Belagerung von Safed hatte genau einen Tag nach der Abstimmung der UNO-Vollversammlung vom 29. November 1947 begonnen, bei der die Mehrheit fur die Teilung Palastinas gestimmt hatte. Als die Englander im Fruhling 1948 aus Safed abzogen, ubergaben sie, wie nicht anders zu erwarten gewesen war, den Arabern die drei Schlusselpositionen: das unmittelbar oberhalb des judischen Viertels gelegene Gebaude der Polizei, die Akropolis, die die gesamte Stadt beherrschte, und das vor der Stadt am Berge Kanaan gelegene Teggart-Fort.
Safed hatte die Form eines umgekehrten Kegels. Das judische Viertel bildete ein schmales Segment, das etwa ein Achtel der Oberflache dieses Kegels ausmachte, und dieses Segment war oben und unten auf beiden Seiten von Arabern umgeben. Die Juden verfugten nur uber zweihundert Mann Hagana, die noch dazu mangelhaft ausgebildet waren. Ihre Weigerung, sich evakuieren zu lassen, und ihr Entschlu?, bis zum letzten Mann zu kampfen, entsprach der heroischen Tradition der alten Hebraer. Die Juden von Safed, die ihr Leben dem Studium der Kabbala gewidmet hatten und am wenigsten dazu fahig gewesen waren, sich zur Wehr zu setzen, waren die ersten Opfer der vom Mufti inszenierten blutigen Ausschreitungen gewesen. Es war nicht das erste Mal, da? eine fanatisierte arabische Meute uber sie hergefallen war, und sie hatten sich stets geduckt und angstlich verkrochen. Diesmal aber waren sie entschlossen, sich zum Kampf zu stellen und notigenfalls kampfend zu sterben. Einen Tag, nachdem die Englander abgezogen waren, schleuste Ari Joab Yarkoni mit drei?ig jungen Mannern und zwanzig jungen Frauen vom Palmach heimlich in das judische Viertel von Safed. Ihre Ankunft wurde mit einem ausgelassenen Fest gefeiert. Es war Sabbat, Yarkonis Leute waren vom Marsch durch feindliches Gebiet erschopft und hungrig. Zum erstenmal seit Jahrhunderten brachen die strengglaubigen Kabbalisten die Vorschriften des Sabbats, indem sie fur die Manner und Frauen, die zu ihrer Verstarkung gekommen waren, eine warme Mahlzeit bereiteten. Kawuky, der Safed als vorlaufigen Sitz des Mufti sicherzustellen wunschte, gab seinen Streitkraften den Befehl, das judische Viertel zu erobern. Wiederholt versuchten die Araber einzudringen, aber jedesmal wurden sie wieder hinausgeworfen. Sie waren sich sehr bald daruber klar, da? sie das judische Viertel nur in einem harten Kampf um jede Stra?e und jedes Haus besetzen konnten. Sie uberlegten sich die Sache noch einmal, verlegten sich dann wieder auf ihre alte Taktik der Belagerung und schossen nur aus sicherer Entfernung.
Die militarische Fuhrung der Juden lag bei Remez und Joab Yarkoni. Brigadier Sutherland hatte seine Villa auf dem Berge Kanaan verlassen. Er war der einzige Gast in dem Touristenhotel von Remez. Man holte ihn gelegentlich heran, um ihn um seinen Rat zu bitten, doch er stellte fest, da? die Juden ihre Sache auch ohne ihn sehr gut machten.
Remez hielt es fur seine erste Aufgabe, eine bestimmte Zone als Gefechtsfront und Schu?feld freizulegen. Das judische Viertel und die anschlie?enden arabischen Wohnviertel lagen so dicht beieinander, da? es fur arabische Spahtrupps leicht war, sich einzuschleichen und die ohnehin schwache Defensive aufzusplittern. Remez wollte einen klaren Zwischenraum zwischen seinen eigenen Leuten und dem arabischen Gegner schaffen. Yarkoni drang mit einem Sto?trupp in das arabische Viertel ein, besetzte ein Dutzend der an der Grenze gelegenen Hauser und begann, aus den Fenstern dieser Hauser auf die Araber zu schie?en. Dann zog er sich wieder zuruck. Sobald die Araber in die eroberten Hauser zuruckkamen, griff Yarkoni von neuem an und eroberte dieselben Hauser am Rande des arabischen Viertels zuruck. Schlie?lich sprengten die Araber diese Hauser in die Luft, damit die Juden sie nicht weiter als Schie?stande benutzen konnten. Das war genau das, was Remez gewollt hatte — dadurch entstand zwischen den beiden Sektoren ein freier Raum, der fur die Juden besser und leichter zu verteidigen war. Dann inszenierten Remez und Yarkoni die zweite Phase ihres Planes. Yarkoni machte sich daran, die Araber Tag und Nacht zu beunruhigen. Jeden Tag schickte er drei oder vier Patrouillen in den arabischen Sektor, die plotzlich zuschlugen und sich dann sofort wieder zuruckzogen. Der Angriff erfolgte jedesmal an einer anderen Stelle. Wann immer die Araber ihre Leute an einem bestimmten Platz konzentriert hatten, waren die Juden durch ihr Spionagesystem genau daruber unterrichtet. Sie wu?ten stets, wo sie anzugreifen und welche Orte sie zu meiden hatten.
Doch was die Araber in geradezu hysterische Angst versetzte, waren die Nachtpatrouillen des Palmach. Yarkoni, der in Marokko aufgewachsen war, kannte seinen Gegner genau. Die Araber waren zumeist aberglaubische Menschen, die eine ubertriebene Furcht vor der Dunkelheit hatten. Das machte sich Yarkoni zunutze. Seine Nachtpatrouillen, die nichts weiter taten, als mit harmlosen Feuerwerkskorpern zu knallen, hielten die arabische Bevolkerung in bestandiger Furcht.