Remez und Yarkoni waren sich daruber klar, da? ihre Taktik aus Verzweiflungsma?nahmen bestand. Sie waren nicht in der Lage, dem Gegner ernsthaften Schaden zuzufugen, und das rein zahlenma?ige Ubergewicht der Araber, ihre bessere Ausrustung und Positionsvorteile machten sich immer bedrohlicher bemerkbar. Wenn Palmach oder Hagana einen Mann verloren, so konnte er nicht ersetzt werden. Fast genauso schwierig war es, Nahrung heranzuschaffen. Die Munition war so knapp, da? jeder Soldat, der unuberlegt einen Schu? abgab, bestraft werden mu?te.
Ungeachtet dieser absoluten Uberlegenheit des Gegners verteidigten und hielten die Juden jeden Zentimeter ihres Viertels, und ihr gro?artiger Kampfgeist blieb unverandert. Ihre einzige Verbindung mit der Au?enwelt stellte ein Funkgerat dar; dennoch ging der Schulunterricht unverandert und regelma?ig weiter, jeden Tag erschien eine Ausgabe der kleinen Zeitung, und die Frommen versaumten keine Minute in der Synagoge.
Den ganzen Winter hindurch und in den Fruhling hinein hielt die Belagerung an. Yarkoni besprach eines Tages mit Sutherland und Remez die Lage. Das Ergebnis war bitter. Die Juden hatten funfzig ihrer besten Soldaten verloren, sie waren bei den letzten zwolf Sack Mehl angelangt, und die Munition reichte keine funf Tage mehr. Yarkoni hatte nicht einmal mehr Knallkorper fur seine Nachtpatrouillen. Die Araber, die die Schwache spurten, wurden allmahlich dreister.
»Ich hatte Ari versprochen, ihn nicht mit unseren Schwierigkeiten hier zu behelligen«, sagte Yarkoni. »Doch ich furchte, ich mu? ihn jetzt aufsuchen und mit ihm reden.«
Noch in der gleichen Nacht stahl er sich aus Safed fort und suchte Ari in seinem Hauptquartier auf. Er gab ihm einen genauen Lagebericht und sagte zum Schlu?: »Es ist mir sehr unangenehm, dich damit zu behelligen, Ari, aber in drei Tagen werden wir anfangen mussen, Ratten zu essen.«
Ari brummte vor sich hin. Die standhafte Verteidigung der Juden von Safed war fur den gesamten Jischuw ein begeisternder Ansporn gewesen. Safed war nicht nur ein strategisch wichtiger Punkt, es hatte sich auch zu einem Symbol des entschlossenen Widerstandes entwickelt. »Wenn es uns gelingen sollte, die Schlacht um Safed zu gewinnen, dann ware das ein verheerender Schlag fur die Moral der Araber in ganz Galilaa«, sagte er.
»Ari — jedesmal, wenn wir einen Schu? abgeben mussen, gibt es vorher eine Diskussion daruber.«
»Ich habe eine Idee«, sagte Ari. »Komm mit.«
Ari teilte eine Nachtpatrouille ein, die wenigstens einen kleinen Nachschub an Verpflegung nach Safed hineinbringen sollte, und ging dann mit Joab zur Waffenkammer. Dort zeigte er dem verblufften Marokkaner ein seltsames Gebilde aus Gu?eisen und Schrauben.
»Was zum Teufel ist das?« fragte Joab.
»Joab — was du vor dir siehst, ist eine Davidka.«
»Eine Davidka?«
»Ja, ein Kleiner David, ein Erzeugnis judischen Erfindungsgeistes.« Joab strich sich nachdenklich uber das Kinn. In gewisser Hinsicht mochte das Ding Ahnlichkeit mit einer Waffe haben. Und doch gab es auf der ganzen Welt nichts, was man mit diesem Gebilde hatte vergleichen konnen.
»Und was kann man mit diesem Ding anfangen?« fragte Joab.
»Wie mir gesagt wurde, kann man damit Granaten abschie?en, wie mit einem Morser.«
»Und wie funktioniert das?«
»Keine Ahnung. Wir haben es noch nicht ausprobiert. Doch nach einem Bericht aus Jerusalem soll es sich als sehr wirkungsvoll erwiesen haben.«
»Fur wen — fur die Juden oder fur die Araber?«
»Hor zu, Joab. Ich habe diese Waffe fur eine besondere Gelegenheit aufgespart. Jetzt ist diese Gelegenheit da. Der Kleine David ist dein — nimm ihn mit nach Safed.«
Die Nachtpatrouille, die die Notrationen nach Safed trug, brachte auch den Kleinen David und funfzehn Kilo Munition mit. Sofort nach seiner Ruckkehr rief Joab Yarkoni die Fuhrer der Hagana und des Palmach zusammen, und stundenlang stellte man Vermutungen daruber an, wie das Monstrum wohl funktionierte. Zehn Leute waren dabei anwesend, und es gab zehn verschiedene Ansichten.
Schlie?lich kam jemand auf den Gedanken, Brigadier Sutherland kommen zu lassen. Er wurde im Hotel aus dem Bett geholt und zum Hauptquartier gebracht. Er betrachtete den Kleinen David mit unglaubigem Staunen.
»Nur ein Jude konnte sich so etwas ausdenken«, sagte er schlie?lich. »Wie ich hore, soll sich das Ding in Jerusalem als sehr wirkungsvoll erwiesen haben«, sagte Joab entschuldigend.
Sutherland betatigte samtliche Hebel, Griffe und Visiereinrichtungen, und im Verlauf der nachsten Stunden entwickelten sie ein Abschu?verfahren, das moglicherweise zum Ziel fuhren wurde — allerdings nur moglicherweise.
Am nachsten Morgen wurde die Davidka an eine freie Stelle gebracht und so aufgestellt, da? sie ungefahr in die Richtung des von den Arabern besetzten Polizeigebaudes und einiger in der Nahe gelegener Hauser zeigte, die von den Arabern benutzt wurden, um von dort aus Schusse auf das judische Viertel abzugeben.
Die Munition des Kleinen David sah genauso sonderbar aus wie das Geschutz. Sie hatte die Form einer Keule, deren oberes Ende aus einem Eisenzylinder bestand, der mit Dynamit gefullt und mit Zundkopfen versehen war. Der dicke Stiel der Keule sollte angeblich in das Rohr des Morsers hineinpassen. Beim Abschu? sollte der Stiel mit solcher Gewalt herausgeschleudert werden, da? er die ganze vorderlastige Dynamitladung auf das Ziel zuwirbelte. Sutherland furchtete, da? die sonderbare Keule nur ein paar Meter weit fliegen und unmittelbar vor ihnen in die Luft gehen wurde.
»Falls dieser Sprengkopf einfach nur aus dem Ende des Rohres herausfallt — wie ich mit Sicherheit annehme«, sagte er, »dann werden wir hochstwahrscheinlich die gesamte judische Bevolkerung von Safed einbu?en.«
»Dann schlage ich vor, da? wir eine lange Leine daran festmachen, damit wir das Ding aus sicherer Entfernung abschie?en konnen«, sagte Remez.
»Und wie zielen wir damit?« fragte Yarkoni.
»Es hat nicht viel Sinn, mit diesem Monstrum zielen zu wollen«, sagte Sutherland. »Stellt es einfach so auf, da? es ungefahr in die richtige Richtung zeigt, und dann wollen wir beten, da? alles gut geht.« Der Rabbi und viele der frommen Kabbalisten versammelten sich um den Kleinen David und debattierten lang und breit daruber, ob diese Waffe fur sie alle den Tag des Gerichts bedeutete oder nicht. Schlie?lich sprach der Rabbi uber dem Geschutz segnende Worte und bat Gott, sie gnadigst zu verschonen, denn sie hatten wahrlich in Frommigkeit gelebt und alle Gesetze beachtet.
»Also los — damit wir es bald hinter uns haben«, sagte Remez pessimistisch.
Die Kabbalisten entfernten sich eilig und begaben sich in Sicherheit. In das Rohr des Morsers wurden Zundhutchen geschoben. Eins der keulenahnlichen Geschosse wurde vorsichtig hochgehoben. Man steckte den langen Stiel in das Rohr. Der mit Dynamit gefullte eiserne Zylinder schwebte bedrohlich uber dem Ende des Rohres. An dem Abschu?mechanismus wurde eine lange Leine befestigt. Alles begab sich in Deckung. Die Erde stand still.
»In Gottes Namen — schie?t«, befahl Yarkoni mit unsicherer Stimme.
Remez ri? an der Leine — und das Unerwartete geschah: der Kleine David scho?. Der Stiel fuhr zischend aus dem Rohr, und der Dynamitkubel flog, sich um sich selbst drehend, im Bogen den Berg hinauf. Wahrend er durch die Luft wirbelte und kleiner und kleiner wurde, machte er ein unheimlich zischendes Gerausch. Dann schlug das Gescho? krachend in ein arabisches Haus in der Nahe des Polizeigebaudes ein.
Sutherland fiel der Unterkiefer herunter.
Yarkonis Schnurrbart ging in die Hohe.
Remez machte gro?e Augen.
Die alten Kabbalisten unterbrachen ihr Gebet lange genug, um dem Gescho? erstaunt nachzusehen.
Die Keule explodierte mit Donnergetose und lie? die Stadt bis in ihre Grundfesten erzittern. Es horte sich an, als sei der halbe Hang in die Luft gesprengt worden.
Nach einer kurzen Pause schweigender Verbluffung brachen die Verteidiger des judischen Viertels in laute Freudenrufe aus, umarmten und ku?ten sich, beteten und jubelten.
»Beim Zeus!« war alles, was Sutherland sagen konnte. »Beim Zeus!«
Die Palmach-Angehorigen bildeten einen Ring um den Kleinen David und tanzten eine Horra.
»Kommt, Leute, wir wollen einen zweiten Schu? abgeben.«
Die Araber horten, wie die Juden jubelten, und sie wu?ten, warum. Schon das Gerausch der fliegenden Bombe genugte, um todlichen Schrecken zu verbreiten, ganz zu schweigen von der Explosion. Weder von den