Sein Gluck war allerdings durch den Gedanken an Jordana und Ari getrubt, die nicht glucklich waren. Jordana konnte uber den Tod von David ben Ami nicht hinwegkommen. Sie war eine Zeitlang in Frankreich herumgereist, und sie war mehrere unuberlegte Verbindungen mit Mannern eingegangen, die sich sehr bald als unhaltbar erwiesen hatten. Schlie?lich war sie nach Jerusalem, der Stadt Davids, zuruckgekehrt, und hatte wieder an der Universitat zu arbeiten angefangen; doch war in ihr eine innere Leere geblieben. Ari hatte sich selbst in die Verbannung der Negev-Wuste geschickt. Barak wu?te, warum; doch an seinen Sohn konnte er nicht heran. Kurze Zeit nach seinem funfundachtzigsten Geburtstag machten sich bei Barak Magenschmerzen bemerkbar. Viele Wochen lang sagte er nichts davon. Er fand es ganz in Ordnung, da? sich in seinem Alter einige Beschwerden einstellten. Den Schmerzen folgte ein qualender Husten, den er trotz aller Anstrengungen vor Sara nicht verheimlichen konnte. Sie bestand darauf, da? er zum Arzt ging, und Barak versprach es ihr schlie?lich, fand aber immer wieder einen Grund, den Besuch beim Arzt zu verschieben. Eines Tages rief Ben Gurion bei Barak an und fragte ihn, ob er Lust hatte, mit Sara nach Haifa zu kommen, um an der Feier des dritten Jahrestages der Unabhangigkeitserklarung teilzunehmen und bei der Parade auf der Ehrentribune zu sitzen. Das war eine au?erordentliche Ehrung und Barak sagte zu. Sara benutzte die Gelegenheit der Reise nach Haifa, um Barak das Versprechen abzuverlangen, zum Arzt zu gehen. Funf Tage vor dem Fest fuhren sie nach Haifa. Barak begab sich in ein Krankenhaus, um sich grundlich untersuchen zu lassen, und er blieb dort bis zum Vorabend des Jahrestages der Unabhangigkeit.

»Nun«, fragte Sara, »was haben die Arzte gesagt?«

»Schlechte Verdauung und Altersbeschwerden«, sagte Barak lachend. »Sie haben mir irgendwelche Pillen verordnet.«

Sara wollte es genau wissen.

»Nun la? schon, altes Madchen. Wir sind hier, um den Tag der Unabhangigkeit zu feiern.«

Den ganzen Tag uber waren Massen von Menschen nach Haifa gestromt: per Anhalter, im Auto, mit dem Zug und mit dem Flugzeug. Die Stadt wimmelte von Menschen. Den ganzen Tag uber erschienen Besucher in Baraks Hotelzimmer, die ihn begru?ten und ihm ihre Hochachtung bezeugen wollten.

Am Abend wurden die Feierlichkeiten durch einen Fackelzug der Jugendgruppen eroffnet. Sie marschierten am Rathaus auf dem Karmelberg vorbei, und nach den ublichen Ansprachen wurde auf dem Gipfel des Karmel ein Feuerwerk abgebrannt.

Die ganze Herzlstra?e entlang drangten sich Zehntausende von Menschen. Aus Lautsprechern ertonte Musik, und uberall tanzten frohliche Menschen Horra. Auch Barak und Sara reihten sich in den Kreis der Horratanzer ein, und die umstehende Menge spendete begeistert Beifall.

Spat in der Nacht begaben sich Sara und Barak in ihr Hotel, um sich noch ein wenig auszuruhen. Am nachsten Vormittag fuhren die beiden, im offenen Wagen jubelnd von der Menge begru?t, die Paradestrecke entlang und begaben sich zur Ehrentribune, wo sie ihre Platze neben dem Prasidenten einnahmen.

Und dann marschierte das neue Israel vorbei, mit Bannern wie die Stamme aus biblischer Zeit: die Jemeniten, inzwischen stolze Soldaten, und die gro?gewachsenen kraftigen Manner und Frauen der Sabre- Generation, die Flieger aus Sudafrika und Amerika, und die judischen Kampfer, die aus allen Teilen der Welt in die neue Heimat gekommen waren. Die Fallschirmjager mit ihren roten Baskenmutzen kamen vorbei, und die Manner des Grenzschutzes in ihren grunen Uniformen. Tanks rasselten und Flugzeuge drohnten. Und dann schlug Baraks Herz heftiger, und die jubelnden Zurufe der Menge wurden lauter: die bartigen, braungebrannten Wustenwolfe marschierten vorbei und gru?ten den Vater ihres Kommandeurs.

Nach der Parade gab es weitere Ansprachen und festliche Veranstaltungen. Als Barak und Sara zwei Tage spater Haifa verlie?en, um nach Yad El zuruckzufahren, tanzten die Menschen noch immer auf den Stra?en.

Kaum waren sie zu Hause angelangt, als Barak einen langen krampfhaften Hustenanfall bekam, so heftig, als hatte er ihn wahrend der Feierlichkeiten mit aller Macht zuruckgehalten. Erschopft sank er in seinen Lehnstuhl, wahrend Sara ihm eine Medizin brachte. »Ich hatte dir doch gleich gesagt, die Aufregung wurde zuviel fur dich werden«, sagte sie. »Du solltest endlich anfangen, dich deinem Alter entsprechend zu benehmen.«

Barak war mit seinen Gedanken bei den braungebrannten, drahtigen jungen Mannern, die an der Tribune vorbeimarschiert waren.

»Das Heer Israels«, murmelte er.

»Ich werde uns einen Tee machen«, sagte Sara und fuhr ihm zartlich durchs Haar.

Barak ergriff ihr Handgelenk und zog sie auf seinen Scho?. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und sah dann fragend zu ihm auf. Barak wandte den Blick beiseite.

»Die Feier ist vorbei«, sagte Sara. »Und jetzt erzahle mir bitte, was dir die Arzte wirklich gesagt haben.«

»Es ist mir nie sonderlich gut gelungen, dich anzuschwindeln«, sagte er.

»Ich werde auch ganz vernunftig sein, das verspreche ich dir.«

»Dann darf ich dir sagen, da? ich bereit bin«, sagte Barak. »Ich glaube, ich habe es schon die ganze Zeit gewu?t.«

Sara stie? einen kleinen Schrei aus und bi? sich auf die Lippen.

»Es ist wohl besser, wenn du Ari und Jordana Bescheid gibst, da? sie herkommen«, sagte Barak.

»Krebs?«

»Ja.«

»Und — wie lange?«

»Ein paar Monate noch, ein paar wunderbare Monate.«

Es war schwer, sich Barak anders als stark und riesig vorzustellen. Doch in den folgenden Wochen machte sich sein Alter erschreckend bemerkbar. Er war hager und gebeugt, und sein Gesicht war bleich geworden. Er hatte gro?e Schmerzen auszustehen, doch er verheimlichte sie und weigerte sich standhaft, in ein Krankenhaus gebracht zu werden.

Man hatte sein Bett ans Fenster geruckt, damit er hinaussehen konnte auf die Felder seiner Farm und hinauf zu den Bergen an der libanesischen Grenze. Als Ari nach Hause kam, sah er, wie Barak bekummert zu der Stelle hinstarrte, wo einst Abu Yesha gestanden hatte.

»Schalom, Aba«, sagte Ari und umarmte seinen Vater. »Ich bin so rasch gekommen, wie ich konnte.«

»Schalom, Ari. La? dich ansehen, Sohn. Es ist so lange her — uber zwei Jahre. Ich hatte gedacht, du wurdest vielleicht mit deinen Leuten an der Parade teilnehmen.«

»Die Agypter hatten bei Nitzana mehrere Uberfalle unternommen. Wir mu?ten Vergeltungsma?nahmen ergreifen.«

Barak musterte seinen Sohn. Ari war von der Wustensonne dunkel gebraunt und sah prachtvoll aus, stark wie ein Lowe.

»Die Wuste scheint dir gut zu bekommen«, sagte Barak.

»Was ist das fur ein Unsinn, den mir die Ima da erzahlt?«

»Denke bitte nicht, du mu?test mich aufheitern, Ari. Ich bin alt genug, um mit Anstand zu sterben.«

Ari schenkte sich einen Cognak ein und zundete sich eine Zigarette an, wahrend ihn Barak weiterhin aufmerksam beobachtete. Die Tranen stiegen dem alten Mann in die Augen.

»Ich bin die letzte Zeit heiter und ruhig gewesen«, sagte er. »Nur der Gedanke an dich und Jordana machte mir zu schaffen. Wenn ich doch nur in dem Bewu?tsein sterben konnte, da? ihr glucklich seid.« Ari nahm einen Schluck von seinem Cognak und sah beiseite. Barak ergriff die Hand seines Sohnes.

»Man sagt mir, du konntest eines Tages Chef des Generalstabs werden, wenn du dich nur entschlie?en wolltest, aus der Wuste herauszukommen.«

»Es gibt viel zu tun in der Negev-Wuste, Vater. Irgend jemand mu? es schlie?lich machen. Die Agypter stellen Morderbanden auf, die uber die Grenze heruberschleichen und unsere Siedlungen uberfallen.«

»Ja, Ari — aber du bist nicht glucklich.«

»Glucklich? Du kennst mich doch, Vater. Es ist mir nun einmal nicht gegeben, mein Gluck offen zu zeigen, wie das die neuen Einwanderer tun.«

»Warum hast du dich zwei Jahre lang von mir und deiner Mutter ferngehalten?«

»Ja, das war falsch, und das tut mir auch leid.« »Wei?t du, Ari, in diesen letzten beiden Jahren habe ich mir zum erstenmal in meinem ganzen Leben den Luxus leisten konnen, einfach dazusitzen und nachzudenken. Es ist etwas Wunderbares, wenn man die Moglichkeit hat, in Ruhe und Frieden zu meditieren. Und in den letzten Wochen habe ich noch mehr Zeit dazu gehabt. Ich habe uber alles nachgedacht. Und ich bin mir klar geworden, da? ich dir und Jordana kein guter Vater gewesen bin.«

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