»Vater, was redest du denn da. Hor doch auf mit diesen unsinnigen Selbstvorwurfen.«

»Nein, es ist etwas Wahres daran, was ich sage. Ich sehe jetzt alles so deutlich. Wenn ich daran denke, wie wenig Zeit ich dir und Jordana widmen konnte — und Sara. Glaub mir, Ari, fur eine Familie ist das nicht gut.«

»Ich bitte dich, Vater. Kein Sohn hat so viel Liebe und Verstandnis erfahren wie ich. Vielleicht sind alle Vater der Meinung, sie hatten mehr tun konnen.«

Barak schuttelte den Kopf. »Du warst noch ein kleiner Junge, da mu?test du schon ein Mann sein. Mit zwolf Jahren hast du neben mir in den Sumpfen gearbeitet. Du hast mich nicht mehr gebraucht, seit ich dir einen Ochsenziemer in die Hand gab.«

»Ich will nichts mehr davon horen. Unser Leben in diesem Lande ist dem gewidmet, was wir fur die Zukunft tun konnen. So hast du leben mussen, und so lebe ich jetzt. Du hast keinerlei Grund, dir irgendeinen Vorwurf zu machen. Es blieb uns gar nichts anderes ubrig, als so zu leben.«

»Das versuche ich mir ja auch zu sagen, Ari. Denn, sage ich mir, was denn sonst? Ein Ghetto? Konzentrationslager? Gaskammern? Das, was wir hier haben, sage ich mir, lohnt jeden Einsatz. Und doch, diese unsere Freiheit — der Preis dafur ist hoch.«

»Kein Preis ist zu hoch fur Israel«, sagte Ari.

»Doch, er ist zu hoch — wenn ich die Trauer in den Augen meines Sohnes sehe.«

»Es ist nicht deine Schuld, wenn deiner Tochter der Geliebte genommen wurde. Es ist der Preis, den man dafur zahlt, als Jude geboren zu sein. Aber ist es nicht besser, kampfend fur das Vaterland zu sterben, als so zu sterben, wie dein Vater starb, in einem Ghetto, unter den Handen einer wutenden Meute?«

»Doch die Trauer meines Sohnes ist meine Schuld, Ari.« Barak machte eine kleine Pause und fuhr dann zogernd fort: »Jordana hat sich mit Kitty Fremont sehr angefreundet.«

Ari blinzelte bei der Erwahnung ihres Namens.

»Sie besucht uns jedesmal, wenn sie im Hule-Tal ist. Schade, da? du dich gar nicht mehr um sie gekummert hast.«

»Vater, ich —.«

»Meinst du, ich wurde nicht sehen, wie sich diese Frau vor Sehnsucht nach dir verzehrt? Und ist das die Art, wie man als Mann seine Liebe zeigt, indem man sich in der Wuste versteckt? Ja, Ari, la? uns endlich einmal daruber reden. Du bist vor ihr davongelaufen und hast dich versteckt. Gestehe es doch ein. Sage es mir, und sage es auch dir selber.«

Ari stand vom Bettrand auf und ging an das andere Ende des Zimmers.

»Was in dir ist es eigentlich, das es dir unmoglich macht, zu dieser Frau hinzugehen und ihr zu sagen, da? dir vor Sehnsucht nach ihr das Herz bricht.«

Ari fuhlte den brennenden Blick seines Vaters im Rucken. Er wandte sich langsam um und schlug die Augen nieder. »Sie hat einmal zu mir gesagt, ich mu?te solche Sehnsucht nach ihr haben, da? ich auf den Knien zu ihr krieche.«

»Dann tue es doch! Krieche zu ihr!«

»Das kann ich nicht! Ich wei? gar nicht, wie man das macht! Verstehst du denn nicht, Vater — ich kann doch niemals der Mann sein, den sie sich wunscht.«

»Und das ist der Punkt, wo ich unrecht an dir gehandelt habe, Ari«, sagte Barak und seufzte bekummert. »Siehst du, ich ware zu deiner Mutter auf den Knien gekrochen, tausendmal. Ich wurde zu ihr kriechen, weil ich ohne sie nicht leben kann. Gott verzeih mir, Ari — ich habe ein Geschlecht von Mannern und Frauen gegrundet, die so hart sind, da? sie nicht mehr wissen, was es hei?t, weinen zu konnen.«

»Dasselbe hat sie mir auch einmal gesagt«, sagte Ari leise.

»Fur euch ist Zartlichkeit gleichbedeutend mit Schwache. Ihr haltet Tranen fur etwas Unehrenhaftes. Doch das ist ein Irrtum, und in diesem Irrtum befindest du dich auch. Du bist so verblendet, da? du nicht einmal fahig bist, deine Liebe zu zeigen.«

»Wenn ich es nicht kann, dann kann ich es eben nicht«, rief Ari heftig.

»Und mir tut es leid um dich, Ari. Es tut mir leid um dich und um mich.«

Am nachsten Tag trug Ari seinen Vater auf seinen Armen zum Wagen und fuhr mit ihm nach Tel Chaj hinauf, dem Ort, uber den Barak mit seinem Bruder Akiba vor mehr als einem halben Jahrhundert vom Libanon her nach Palastina gekommen war. Dort befanden sich die Graber der Wachter, der ersten bewaffneten Juden, die um die Wende des Jahrhunderts die judischen Siedlungen gegen die Beduinen verteidigt hatten. Die Grabsteine der Toten bildeten zwei Reihen, und ein Dutzend weiterer Grabstellen erwartete diejenigen Wachter, die noch am Leben waren. Auch die sterblichen Uberreste von Akiba waren hierhergebracht und auf diesem Ehrenhain beigesetzt worden. Der Platz neben Akiba war fur Barak reserviert.

Ari trug seinen Vater an den Grabern vorbei zu einer Stelle, wo ein riesiger steinerner Lowe stand, der in das Tal hinabblickte, Symbol eines Konigs, der das Land beschutzt. Auf dem Sockel standen die Worte: »ES IST EHRENVOLL, FUR SEINE HEIMAT STERBEN ZU KONNEN.«

Barak sah ins Tal hinunter. Uberall lagen Ortschaften, und uberall entstanden neue Siedlungen. »Es ist schon, eine Heimat zu haben, fur die man sterben kann«, sagte Barak.

Ari trug seinen Vater vom Gipfel wieder hinunter zum Wagen. Zwei Tage spater entschlummerte Barak ben Kanaan. Man brachte ihn nach Tel Chaj und bestattete ihn neben Akiba.

IV.

Dov Landau, der gegen Ende des Freiheitskrieges in die israelische Armee eingetreten war, nahm am Kampf gegen die agyptischen Streitkrafte teil. Auf Grund seiner Tapferkeit bei der Ersturmung von Fort Suweidan war er zum Offizier befordert worden. Dann blieb er mehrere Monate lang als einer der Wustenwolfe Colonel Ben Kanaans in der Negev-Wuste. Ari, der Dov Landaus ungewohnliche Begabung erkannte, schickte ihn zum Oberkommando, um ihn testen zu lassen. Das Oberkommando schickte Dov auf die Technische Hochschule in Haifa, wo er an Speziallehrgangen teilnehmen konnte, die mit den gro?en Projekten der Bewasserung und Erschlie?ung der Negev-Wuste zusammenhingen. Dov zeigte dabei eine au?erordentliche Befahigung fur wissenschaftliche Arbeit. Er hatte seine Menschenscheu vollig uberwunden. Er war jetzt aufgeschlossen, voller Humor und von tiefem Mitgefuhl fur das Leiden anderer. Er war ein ausgesprochen gut aussehender junger Mann geworden, noch immer sehr schlank und mit sensiblen Gesichtszugen; er und Karen liebten sich hei? und innig und verbrachten so viel Zeit miteinander wie moglich.

Doch das junge Paar litt unter der standigen Trennung, der Ungewi?heit und der ewig gespannten Lage. Wie das Land, so befanden auch sie sich in standigem Aufruhr: jeder von ihnen hatte seine eigenen schweren Pflichten. Es war die alte Geschichte in Israel, die Geschichte von Ari und Dafna, die Geschichte von David und Jordana. Jedesmal, wenn sie sich sahen, wuchs ihre Sehnsucht und zugleich ihre Enttauschung. Dov, der Karen geradezu anbetete, wurde zum Starkeren von ihnen.

Als er funfundzwanzig Jahre alt wurde, war er Hauptmann im Pionierkorps und galt als eine der verhei?ungsvollsten Begabungen auf seinem Spezialgebiet. Seine Zeit war dem Studium an der Technischen Hochschule und am Weizmann-Institut in Rechowot gewidmet.

Nach dem Ende des Freiheitskrieges verlie? Karen Gan Dafna und trat gleichfalls in die Armee ein. Dort setzte sie ihre Ausbildung als Krankenschwester fort. Sie hatte bei der Arbeit mit Kitty wertvolle Erfahrungen gesammelt und konnte die Grundausbildung daher sehr rasch abschlie?en. Die Krankenpflege sagte ihr sehr zu, und sie wunschte sich, eines Tages in Kittys Fu?stapfen zu treten und sich als Kinderpflegerin zu spezialisieren. Sie arbeitete in einem Krankenhaus im Scharon-Tal. Von hier aus konnte sie per Anhalter nach Jerusalem fahren, um Kitty zu besuchen, wenn sie gerade dort war, und es war auch nicht weit nach Haifa, so da? sie Dov haufig sehen konnte.

Kitty wu?te, da? Karen sie nicht mehr brauchte. Ebenso wu?te sie, da? auch sie selbst Karen nicht mehr als Lebensinhalt notig hatte. Sie wagte zu hoffen, da? sie irgendwann und irgendwo ein normales Leben und echtes Gluck erwarteten.

Nein, was Karen und sie selbst anging, so hatte Kitty keine Sorge, abzureisen. Doch jetzt bewegte sie eine neue Furcht — die Sorge um die Zukunft Israels.

Die Araber sa?en an den Grenzen Israels und warteten nur auf den Tag, an dem sie sich auf die kleine Nation sturzen und sie in der mit gro?em Trara angekundigten »Zweiten Runde« zerstoren konnten. Die arabischen Fuhrer druckten den Massen Schu?waffen an Stelle von Pflugscharen in die Hand. Die wenigen, die die Chancen erkannten, die in der Zusammenarbeit mit Israel lagen, wurden umgebracht. Die Presse und das Radio der arabischen Lander wiederholten die alten Ha?gesange. Das Fluchtlingsproblem wurde zusatzlich so verscharft, da? es unlosbar wurde.

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