»Wenn Whitehall wirklich so besorgt um das Wohl dieser Kinder ist, dann fordere ich die Englander auf, den Pressevertretern die Erlaubnis zu geben, das Lager bei Caraolos in Augenschein zu nehmen. Es ist nicht mehr und nicht weniger als ein Konzentrationslager: Stacheldraht, Wachtturme mit Maschinengewehren, unzureichende Ernahrung, zu wenig Wasser, ungenugende sanitare Einrichtungen. Gegen die Menschen, die dort hinter Stacheldraht sitzen, liegt nichts vor; man hat keinerlei Anklage gegen sie erhoben, dennoch aber werden sie zwangsweise in Caraolos festgehalten.«
»Whitehall redet davon, da? wir versuchten, die Englander in der Frage des Palastina-Mandats zu einer ungerechten Losung zu zwingen. In Europa sitzt eine Viertelmillion Juden, die uberlebenden von sechs Millionen. Die englische Quote fur Palastina gestattet monatlich siebenhundert Juden, dort legal einzuwandern. Ist das die ,gerechte' Losung der Englander?«
»Zum Schlu?: ich bestreite das Recht der Englander, in Palastina zu sein. Haben sie etwa mehr Recht, dort zu sein als die Uberlebenden des Hitler-Regimes? Die Herren von Whitehall taten gut daran, ihre Erklarungen grundlicher zu uberdenken. Ich richte an den Au?enminister die gleiche Aufforderung, die ein gro?er Mann vor dreitausend Jahren an einen anderen Unterdrucker gerichtet hat: LASS MEIN VOLK HEIMKEHREN.
Auf den Rat von Mark gestattete Ari auch anderen Reportern, an Bord der Exodus zu kommen und die Presseleute lagen den Englandern in den Ohren, da? sie das Lager in Caraolos sehen wollten. Cecil Bradshaw hatte Kritik in der Offentlichkeit erwartet, aber er hatte nicht damit gerechnet, da? die Entrustung ein solches Ausma? erreichen wurde. Eine Besprechung loste die andere ab. Denn im Augenblick war die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf den Hafen von Kyrenia gerichtet. Jetzt der Exodus die Erlaubnis zum Auslaufen zu erteilen, ware geradezu verheerend gewesen.
General Sir Clarence Tevor-Browne begab sich per Flugzeug und in aller Stille nach Zypern, um das Kommando zu ubernehmen und zu sehen, ob noch irgend etwas zu retten war.
Das Flugzeug, mit dem er kam, landete kurz nach Mitternacht auf dem abgesperrten Flugplatz von Nikosia. Major Alistair nahm ihn in Empfang, beide stiegen rasch in einen Wagen und fuhren zur Kommandantur in Famagusta.
»Ich wollte gern mit Ihnen sprechen, Alistair, ehe ich die Geschafte von Sutherland ubernehme. Ich habe Ihren Brief bekommen, Sie konnen also ganz offen reden.«
»Ja, Sir«, sagte Alistair, »ich wurde sagen, da? Sutherland den Anforderungen einfach nicht gewachsen war. Mit dem Mann ist irgend etwas vorgegangen. Caldwell erzahlt mir, da? er dauernd Angsttraume hat. Er geht die ganze Nacht herum, bis gegen Morgen, und er verbringt seine Zeit damit, in der Bibel zu lesen.«
»Wirklich ein Jammer«, sagte Tevor-Browne. »Und dabei war Bruce Sutherland ein so hervorragender Soldat. Ich verlasse mich darauf, da? das Gesagte unter uns bleibt. Wir mussen den Mann decken.«
»Selbstverstandlich, Sir«, sagte Alistair.
Mark ging an Bord der Exodus und lie? Kanaan bitten, in das Ruderhaus zu kommen. Er war unruhig, als er sich muhsam einen Weg uber das uberfullte Deck bahnte. Die Kinder sahen bla? und eingefallen aus, und sie rochen schlecht, weil Waschwasser knapp war.
Ari, den er im Ruderhaus traf, war so ruhig und gelassen wie immer. Mark gab ihm Zigaretten und ein paar Flaschen Brandy.
»Wie steht's denn da drau?en?« fragte Ari.
»Sieht nicht nach irgendeinem Kurswechsel aus, nachdem Tevor-Browne jetzt hergekommen ist. Die Story der Exodus beherrscht noch immer uberall die erste Seite. Macht mehr Aufsehen, als ich erwartet hatte. Horen Sie, Ari, die Sache hat fur uns beide, fur Sie und fur mich, genau den Erfolg gehabt, der beabsichtigt war. Sie haben erreicht, was Sie wollten, es ist den Englandern genau ins Auge gegangen. Doch ich habe zuverlassige Information, da? die Englander entschlossen sind, nicht nachzugeben.«
»Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«
»Ich bin der Meinung, da? Sie dieser ganzen Sache eine letzte Steigerung geben konnen, indem Sie eine humane Geste machen und mit dem Schiff an den Kai zuruckgehen. Wir bringen einen ganz gro?en Bericht daruber, wie die Englander die Kinder nach Caraolos zuruckbringen — einen Bericht, der den Leuten das Herz brechen wird.«
»Hat Kitty Sie mit diesem Vorschlag zu mir geschickt?«
»Ach, lassen Sie das doch, bitte. Sehen Sie sich nur mal die Kinder da unten an Deck an. Die stehen das nicht mehr lange durch.«
»Sie wissen, um was es geht.«
»Die Sache hat auch noch eine andere Seite, Ari. Ich furchte, wir haben den Rahm abgeschopft. Sicher, jetzt sind wir mit unserer Geschichte noch auf der Titelseite, aber Frank Sinatra braucht nur morgen in einem Nachtlokal irgendeinem Pressemann einen Linkshaken zu verpassen, und dann gehoren wir zu ,Ferner liefen'.« Karen kam in das Ruderhaus. »Guten Tag, Mr. Parker«, sagte sie mit leiser Stimme.
»Tag, Kleine. Hier ist ein Brief und ein Packchen von Kitty.«
Sie nahm den Brief und gab Mark einen fur Kitty. Das Packchen lehnte sie genauso ab wie alle anderen vorher.
Als sie gegangen war, sagte Mark: »Ich bringe es einfach nicht ubers Herz, Kitty zu sagen, da? sie das Packchen nicht fur sich personlich annehmen will. Das Madchen ist krank. Haben Sie die Ringe unter ihren Augen gesehen? In ein paar Tagen werden Sie hier auf diesem Schiff ernstliche Schwierigkeiten haben.«
»Wir sprachen davon, wie man das Interesse in der Offentlichkeit aufrechterhalten konnte. Ich mochte zunachst einmal das eine klarstellen, Parker: wir gehen nicht zuruck nach Caraolos. In Europa sitzt eine Viertelmillion Juden, die auf eine Antwort warten, und wir sind die einzigen, die ihnen diese Antwort geben konnen. Von morgen an treten wir in den Hungerstreik. Jeden, der ohnmachtig wird, werden wir oben an Deck hinlegen, damit ihn die Englander sich ansehen konnen.«
»Sie Satan«, fauchte Mark, »Sie stinkendes Untier!«
»Nennen Sie mich, wie Sie wollen, Parker. Meinen Sie, es macht mir Spa?, eine Horde von Waisenkindern verhungern zu lassen? Geben Sie mir irgendeine andere Waffe! Geben Sie mir etwas, womit ich auf diese Tanks und die Zerstorer schie?en kann! Wir haben nichts als unseren Mut und unseren Glauben. Zweitausend Jahre lang hat man uns geschlagen und erniedrigt. Damit ist es Schlu?! Diesmal gewinnen wir.«
XXXII.
HUNGERSTREIK AUF DER EXODUS!
DIE KINDER WOLLEN LIEBER VERHUNGERN, ALS NACH CARAOLOS ZURUCKGEHEN!
Nachdem der Kampf der Exodus zwei Wochen lang von Tag zu Tag in der Offentlichkeit standig wachsendes Aufsehen erregt hatte, verbluffte und uberrumpelte Ari ben Kanaan jetzt alle Welt, indem er zum Angriff uberging. Nun war es nicht mehr moglich, abzuwarten; die Kinder erzwangen eine Entscheidung.
An der Bordwand der Exodus wurde eine gro?e Tafel befestigt, auf der in englischer, franzosischer und hebraischer Sprache zu lesen war:
HUNGERSTREIK: l STUNDE HUNGERSTREIK: 15 STUNDEN
Zwei Jungen und ein Madchen, im Alter von zehn, zwolf und funfzehn Jahren, wurden zum Vorderdeck der Exodus gebracht und dort hingelegt. Sie waren bewu?tlos.
HUNGERSTREIK: 20 STUNDEN
Zehn Kinder lagen nebeneinander auf dem Vorderdeck.
»Ich bitte dich, Kitty, lauf nicht dauernd hin und her! Setz dich endlich hin!«
»Es ist jetzt schon uber zwanzig Stunden. Wie lange will er damit noch weitermachen? Ich habe einfach nicht den Mut gehabt, zum Hafen zu gehen und nachzusehen. Gehort Karen zu den Kindern, die bewu?tlos an Deck liegen?«
»Ich habe dir schon zehnmal gesagt, da? sie nicht dabei ist.«
»Die Kinder sind ohnehin nicht besonders kraftig, und sie sind jetzt zwei Wochen lang auf diesem Schiff eingesperrt gewesen. Sie haben keine Widerstandskraft mehr.«
Kitty zog nervos an ihrer Zigarette und fuhr sich durch die Haare. »Dieser Ari ben Kanaan ist kein Mensch — er ist ein Unmensch, eine Bestie.«
»Ich habe auch daruber nachgedacht«, sagte Mark. »Ich habe sogar ziemlich viel daruber nachgedacht. Ich wei? nicht, ob wir wirklich begreifen, was es ist, was diese Menschen so fanatisch macht. Bist du einmal in Palastina gewesen? Im Suden eine Wuste, in der Mitte verwittert, und im Norden ein Sumpf. Ausgedorrt von der Sonne und rings umgeben von einem Heer von Feinden, von funfzig Millionen erbitterter Gegner. Und trotzdem