brechen sich diese Leute den Hals, um hinzukommen. Sie nennen es das Land, in dem Milch und Honig flie?t, und sie singen Lieder, in denen von Wassergraben und Berieselungsanlagen die Rede ist. Vor zwei Wochen habe ich Ari ben Kanaan erklart, das Leiden sei keine Sache, worauf die Juden ein Monopol besa?en; doch allmahlich beginne ich zu zweifeln. Im Ernst, ich bin mir wirklich nicht sicher. Ich frage mich, was einem Menschen so zusetzen kann, das ihn so fanatisch werden la?t.« »Versuche nicht, ihn zu verteidigen, Mark, und versuche auch nicht, diese Menschen zu verteidigen.«

»Vergi? bitte das eine nicht: Ben Kanaan konnte nicht tun, was er tut, wenn er die Kinder nicht hinter sich hatte. Und die Kinder stehen hundertprozentig hinter ihm.«

»Das ist es ja gerade«, sagte Kitty, »diese Loyalitat. Dieses phantastische Zusammengehorigkeitsgefuhl, das sie verbindet.«

Das Telefon lautete. Mark meldete sich, sagte »Danke« und legte wieder auf.

»Was war denn?« fragte Kitty. »Mark, ich habe dich gefragt, was war!«

»Sie haben weitere Kinder nach oben an Deck gebracht — ein halbes Dutzend.«

»Ist — ist Karen dabei?«

»Ich wei? es nicht. Ich werde hingehen und es feststellen.«

»Mark .. .«

»Ja?«

»Ich mochte auf die Exodus.«

»Das ist unmoglich.«

»Ich halte es einfach nicht mehr aus.«

»Wenn du das machst, bist du erledigt.«

»Nein, Mark — es ist anders. Wenn ich wu?te, sie ist am Leben, ist nicht ernstlich krank, dann konnte ich es ertragen. Das schwore ich dir. Ich wei? es genau. Aber ich kann nicht untatig dasitzen und mir vorstellen, da? sie vielleicht stirbt. Das kann ich einfach nicht.« »Selbst wenn ich Ben Kanaan dazu bringen konnte, da? er dich auf die Exodus la?t, werden es dir die Englander nicht erlauben.«

»Du mu?t es fur mich durchsetzen«, sagte sie bittend und nachdrucklich zugleich, »du mu?t!«

Sie stellte sich an die Tur und versperrte ihm den Weg. Mark sah sie an und senkte den Blick. »Ich werde mein Moglichstes tun.« HUNGERSTREIK: 35 STUNDEN

Vor den Gebauden der englischen Botschaft in Paris und Rom erschienen wutende Demonstranten. Erregte Sprechchore und gro?e Spruchbander forderten die Freigabe der Exodus. In Paris mu?te die Polizei mit Gummiknuppeln und Tranengas gegen die erregte Menge vorgehen. In Kopenhagen, in Stockholm, in Brussel und Den Haag fanden gleichfalls Demonstrationen statt. Diese waren gema?igter.

HUNGERSTREIK: 38 STUNDEN

In Zypern wurde aus Protest gegen die Englander der Generalstreik erklart. Der Verkehr stand still, die Laden wurden geschlossen. In den Hafen ruhte die Arbeit. Theater und Restaurants waren leer.

HUNGERSTREIK: 40 STUNDEN

Ari ben Kanaan stand vor seinen Untergebenen und Mitarbeitern. Er sah in die verdusterten Gesichter von Joab, David, Seew und Hank Schlosberg.

Seew, der Farmer aus Galilaa, sprach als erster. »Ich bin Soldat«, sagte er. »Ich kann nicht dabeistehen und zusehen, wie Kinder verhungern.«

»In Palastina«, erwiderte Ari heftig, »kampfen junge Menschen, die nicht alter sind als diese hier, bereits als Gadna-Soldaten.«

»Kampfen und Verhungern ist zweierlei.«

»Das hier ist nur eine andere Form des Kampfes«, sagte Ari. Joab Yarkoni hatte viele Jahre lang mit Ari zusammengearbeitet und war gemeinsam mit ihm im zweiten Weltkrieg Soldat gewesen. »Du wei?t, Ari«, sagte er, »da? ich immer zu dir gehalten habe. Aber in dem Augenblick, wo eines dieser Kinder stirbt, wird die ganze Sache zwangslaufig zu einem Bumerang, der auf uns zuruckfallt.«

Ari sah Hank Schlosberg an, den amerikanischen Kapt'n. Hank zog die Schultern hoch. »Du bist der Bo?, Ari, aber die Crew wird langsam nervos. Davon stand nichts in ihrem Heuervertrag.«

»Mit anderen Worten«, sagte Ari, »ihr wollt klein beigeben?«

Ihr Schweigen bestatigte seine Vermutung.

»Und was ist mit dir, David? Du hast dich noch nicht geau?ert.« »Sechs Millionen Juden sind in Gaskammern gestorben, ohne zu wissen, warum oder wofur sie starben«, sagte David. »Wenn jetzt dreihundert von uns auf der Exodus sterben, dann wissen wir sehr genau, warum und wofur. Und die Welt wird es auch wissen. Als wir vor zweitausend Jahren eine Nation waren und uns gegen die Herrschaft der Romer und der Griechen emporten, da begrundeten wir Juden die Tradition, bis zum letzten Mann zu kampfen. Wir taten es bei Arbela und in Jerusalem. Wir kampften nach dieser Devise bei Bejtar, bei Herodium und Nachaeros. In Massada haben wir vier Jahre lang der Belagerung durch die Romer standgehalten, und als die Romer in die Festung eindrangen, war keiner von uns mehr am Leben. Nirgends und niemals hat irgendein Volk fur seine Freiheit so gekampft, wie unser Volk es getan hat. Wir haben die Romer und die Griechen aus unserem Lande vertrieben, bis wir schlie?lich in alle vier Winde zerstreut wurden. Wir haben seit zweitausend Jahren nicht viel Gelegenheit gehabt, als Nation zu kampfen. Und als wir eine solche Moglichkeit im Ghetto von Warschau hatten, da haben wir getreu unserer Tradition bis zum letzten Mann gekampft. Wenn wir jetzt von Bord gehen und freiwillig hinter den Stacheldraht zuruckkehren, dann haben wir Gott die Treue gebrochen.«

»Noch irgendwelche Fragen?« sagte Ari.

HUNGERSTREIK: 42 STUNDEN

In den Vereinigten Staaten, in Sudafrika und in England vereinigten sich die Juden in den Synagogen in Massen zum Gebet, und auch in vielen christlichen Kirchen betete man fur die Kinder an Bord der Exodus.

HUNGERSTREIK: 45 STUNDEN

In Argentinien begannen die Juden zu fasten, um ihre Sympathie fur die Kinder an Bord der Exodus zu bekunden.

HUNGERSTREIK: 47 STUNDEN

Es wurde bereits dunkel, als Kitty an Bord kam. Der Gestank war atemberaubend. Uberall an Deck lagen die Kinder in drangvoller Enge, und alle lagen lang ausgestreckt und vollig bewegungslos, um Krafte zu sparen.

»Ich mochte mir die Kinder ansehen, die bewu?tlos geworden sind«, sagte sie.

David fuhrte sie zum Vorderdeck, wo sechzig bewu?tlose Kinder in drei Reihen nebeneinander lagen. David leuchtete mit seiner Laterne, wahrend Kitty von einem Kind zum nachsten ging, den Puls fuhlte und die Pupillen prufte. Ein halbdutzendmal meinte sie, ohnmachtig zu werden, wenn sie den Korper eines Kindes herumdrehte, das Ahnlichkeit mit Karen hatte.

David fuhrte sie auf dem Deck herum, wo die Kinder eng nebeneinander lagen. Sie starrten Kitty aus glanzlosen Augen an. Ihre Haare waren verfilzt und ihre Gesichter von einer Dreckkruste uberzogen.

Dann fuhrte David sie hinunter in den Raum. Kitty wurde fast ubel von dem Gestank, der ihr entgegenschlug. Sie sah in dem dammrigen Licht die Kinder, die auf schmalen Brettern ubereinanderlagen.

In einer Ecke fand sie Karen, in einem Gewirr von Armen und Beinen. Neben ihr eingeschlafen lag Dov. Sie lagen auf Lumpen, und der Boden unter ihnen war feucht.

»Karen«, flusterte sie. »Karen, ich bin's Kitty.«

Karen offnete muhsam die Augen. Sie hatte tiefe, dunkle Ringe unter den Augen, und ihre Lippen waren vor Trockenheit aufgesprungen. Sie war zu schwach, um sich aufzusetzen.

»Kitty?«

»Ja, ich bin's.«

Karen streckte ihr die Arme entgegen, und Kitty hielt sie lange fest. »Geh nicht fort, Kitty. Ich habe solche Angst.«

»Ich bleibe in deiner Nahe«, sagte Kitty leise und lie? Karen los. Sie ging in den Lazarettraum, nahm den geringen Bestand an Medikamenten in Augenschein und seufzte. »Damit ist nicht viel zu machen«, sagte sie zu David. »Aber ich werde versuchen, den Kindern jede mogliche Erleichterung zu verschaffen. Konnen Sie und Joab mir dabei helfen?«

»Selbstverstandlich.«

»Von den Bewu?tlosen sind einige in einem sehr bedenklichen Zustand. Wir mussen versuchen, ihnen kalte Umschlage zu machen, damit das Fieber sinkt. Aber da oben an Deck ist es kuhl. Wir mussen sie zudecken. Und

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