die Juden wieder zu einer Nation zusammenschlossen, bestand die Moglichkeit, da? die Juden aller Lander eines Tages als freie Menschen leben konnten. Das Buch, in dem er seine Gedanken niederlegte, hie?: »Der Judenstaat.« Herzl, der nun plotzlich eine Mission hatte, machte sich fieberhaft und ohne Schonung seiner Person ans Werk, Unterstutzung fur seine Idee zu gewinnen. Er suchte die reichen Philanthropen auf, welche die judischen Kolonien in Palastina unterstutzten. Doch diese Manner bezeichneten die Idee eines judischen Staates als Unfug. Wohltatigkeit, bitte sehr — als Juden spendeten sie fur die Juden, die arm waren — aber von der Wiedererrichtung einer Nation zu reden, erschien ihnen als Hirngespinst.
Doch die Idee wuchs und verbreitete sich uber die ganze Welt. Herzls Idee war weder neu noch einzigartig, doch sein dynamischer Wille drangte auf ihre Verwirklichung.
Im Jahre 1897 fand in Basel ein Kongre? fuhrender Juden aus aller Welt statt. Es war in der Tat ein Parlament des Weltjudentums. So etwas hatte es seit der Zerstorung des Zweiten Tempels nicht mehr gegeben.
Die neue Bewegung gab sich den Namen Zionismus, und der Baseler Kongre? gab die historische Erklarung ab:
DER ZIONISMUS ERSTREBT FUR DAS JUDISCHE VOLK DIE SCHAFFUNG EINER OFFENTLICH- RECHTLICH
GESICHERTEN HEIMSTATTE IN PALASTINA.
In seinem Tagebuch schrieb Theodor Herzl damals: »Ich habe in Basel einen judischen Staat gegrundet. Wenn ich das heute laut sagte, wurde mich die ganze Welt auslachen. Vielleicht schon in funf, bestimmt aber in funfzig Jahren wird aller Welt klar sein, da? ich recht hatte.«
Wie ein Besessener sturzte sich Herzl in die Arbeit. Er war eine zwingende Personlichkeit und ri? durch seine Begeisterung alle Menschen in seiner Umgebung mit. Er sicherte das Gewonnene, warb neue Anhanger, errichtete Stiftungsfonds und baute den Zionismus zu einer organisierten Bewegung aus. Dabei ging es ihm zunachst vordringlich darum, einen Staatsvertrag oder irgendeine andere legale Basis zu erreichen, auf der der Zionismus aufbauen konnte.
Innerhalb des Judentums bestand eine Spaltung. Herzl stie? immer wieder auf den Widerstand derjenigen Juden, die den Zionismus seines politischen Charakters wegen ablehnten. Viele der alten Zionsfreunde machten seinen Kurs nicht mit. In den Kreisen der strengglaubigen Juden verurteilte man Herzl voller Abscheu als falschen Propheten, wahrend er in einem anderen Teil des Lagers als Messias gefeiert wurde. Doch die Bewegung, die er einmal ins Leben gerufen hatte, war nicht mehr aufzuhalten. Schon zahlte sie Hunderttausende von Juden zu ihren begeisterten Anhangern, die als Ausweis ihrer Stimmberechtigung einen »Schekel« bei sich trugen. Herzl arbeitete uber seine Krafte. Er erschopfte sein Privatvermogen, vernachlassigte seine Familie und uberforderte seine Gesundheit. Noch hatte er keinen Staatsvertrag. Doch auch ohne diesen begann er schon, bei Staatsoberhauptern zu antichambrieren, um mit ihnen uber seine Ideen zu verhandeln. Der Sultan des wankenden ottomanischen Reichs, Abdul Hamid II., gewahrte Herzl eine Audienz und schien nicht abgeneigt, den Zionisten gegen eine entsprechend hohe Summe Geldes einen Staatsvertrag fur Palastina zu geben; denn der alte Despot brauchte dringend Geld. Dann aber lehnte er, in der Hoffnung auf ein noch besseres Geschaft, den Vorschlag der Zionisten ab. Ein schwerer Ruckschlag fur Herzl.
Schlie?lich zeigte sich England seinen Wunschen geneigt. Das britische Empire erweiterte um die Jahrhundertwende seine Einflu?sphare im Nahen Osten. Den Englandern war daher sehr daran gelegen, die Gunst des Judentums zu gewinnen, um ihre eigenen Plane weiter verfolgen zu konnen. Sie boten den Zionisten einen Teil der Halbinsel Sinai fur die Ansiedlung judischer Einwanderer an. Bei diesem Vorschlag ging man von der mehr oder weniger stillschweigenden Unterstellung aus, da? dieses Gebiet sozusagen unmittelbar vor der Tur zu dem Gelobten Land lag, und da? diese Tur offenstehe, sobald die Englander die Herren im Lande waren. Doch der ganze Plan war zu unbestimmt, und weil Herzl immer noch hoffte, einen Staatsvertrag fur Palastina zu erreichen, lie? man die Sache fallen.
Als weitere Versuche, zu einem Palastina-Vertrag zu gelangen, fehlschlugen, kamen die Englander mit einem zweiten Vorschlag. Sie boten den Zionisten das afrikanische Territorium Uganda an. Da die Situation in Europa immer schwieriger wurde und Herzl die Uberzeugung gewann, da? man eine provisorische Zuflucht schaffen musse, um die Lage der Juden zu erleichtern, griff er den Vorschlag der Englander auf und erklarte sich bereit, ihn dem nachsten Zionistenkongre? zu unterbreiten.
Doch als Herzl dem Kongre? den Uganda-Plan vorlegte, stie? er auf heftige Opposition, deren Wortfuhrer die russischen Zionisten waren. Sie lehnten ihn ab, weil sie in der Bibel keinen Hinweis auf Uganda finden konnten.
Funfundzwanzig Jahre unablassiger Pogrome in Ru?land und in Polen hatten dazu gefuhrt, da? die Juden jetzt zu Tausenden aus Osteuropa flohen. Um die Jahrhundertwende waren es funfzigtausend, die den Weg nach Palastina gefunden hatten. Abdul Hamid II., der diese Einwanderer als Bundesgenossen der Englander betrachtete, ordnete an, da? keine weiteren Juden aus Ru?land, Polen oder Osterreich ins Land durften. Doch die Dinge im Staate des Sultans waren »faul«, und die Bestechungsgelder der Zionisten hielten die Tur von Palastina fur alle offen, die hineinwollten.
Dies war die erste Aliyah-Welle des judischen Exodus!
Doch wahrend die Juden aus dem Exil in ihr Gelobtes Land zuruckzukehren begannen, ereignete sich in der arabischen Welt etwas Neues. Nach Jahrhunderten der Unterjochung regte sich bei den Arabern eine schwelende, wachsende Unruhe, die den Beginn des arabischen Nationalismus ankundigte.
Das zwanzigste Jahrhundert! Chaos im Nahen Osten! Zionismus! Arabischer Nationalismus! Niedergang der ottomanischen und Aufstieg der britischen Macht! Das alles brodelnd in einem riesigen Kessel, der irgendwann kochen und uberlaufen mu?te.
Theodor Herzl vollendete seine Bahn mit der Leuchtkraft und der Schnelligkeit eines Kometen. Seit jenem Tag, an dem er Alfred Dreyfu? hatte rufen horen: »Ich bin unschuldig!« waren nur zehn Jahre verstrichen bis zu dem Tag, an dem er, vierundvierzigjahrig, einem Herzschlag erlag.
VII.
Als die zionistische Bewegung aufkam, gehorten die beiden Bruder Rabinski in Palastina schon zur alten Garde. Sie kannten das Land in- und auswendig, und es gab kaum einen Beruf, in dem sie nicht gearbeitet hatten. Ihre Illusionen hatten sie fast samt und sonders eingebu?t.
Jakob war ruhelos und bitter. Yossi versuchte, seinem Dasein ein gewisses Ma? von Befriedigung abzugewinnen. Er wu?te die relative Freiheit zu schatzen, die er geno?. Au?erdem traumte er nach wie vor von dem Land im Hule-Tal, oberhalb von Safed.
Jakob verachtete die Araber und die Turken. Er betrachtete sie genauso als Feinde wie in Ru?land die Kosaken und die Gymnasiasten. Gewi?, die Turken duldeten nicht, da? man die Juden erschlug, doch alles andere, was man ihnen antat, schienen sie zu billigen. Manchen Abend und manche Nacht sa?en Jakob und Yossi und diskutierten.
»Es stimmt schon«, sagte Jakob, »wir sollten das Land rechtma?ig erwerben, indem wir es kaufen — doch woher bekommen wir die Leute, die den Boden bearbeiten, und wie sollen wir die Beduinen und die Turken dazu bringen, da? sie uns in Ruhe lassen?«
»Leute, die den Boden bearbeiten, werden wir bekommen, sobald es mit den Pogromen wieder schlimmer wird«, antwortete Yossi. »Was die Turken angeht — die kann man kaufen. Und was die Araber angeht, so mussen wir lernen, Seite an Seite mit ihnen in Frieden zu leben. Das aber wird uns nur gelingen, wenn wir sie verstehen lernen.«
Jakob zog die Schultern hoch. »Das einzige, was ein Araber versteht, ist das da.« Und er hob die Faust und schuttelte sie.
»Du wirst eines Tages noch am Galgen enden«, sagte Yossi.
Die beiden Bruder entfernten sich in ihren Ansichten immer weiter voneinander. Yossi hielt an seinem Wunsch nach friedlicher Verstandigung fest, und Jakob hielt nach wie vor den offenen Angriff fur das beste Mittel, sich gegen Ungerechtigkeit zu schutzen. Kurz nach der Jahrhundertwende schlo? sich Jakob einer Gruppe von funfzehn jungen Mannern an, die ein kuhnes Wagnis unternahmen. Eine der von den reichen Wohltatern dotierten Stiftungen erwarb einen Zipfel Land hoch oben im Yesreel-Tal, einem Gebiet, in das sich seit Jahrhunderten kein Jude mehr gewagt hatte. Hier errichteten die funfzehn Pioniere eine Farm, die der Ausbildung von Landwirten, und der Erprobung landwirtschaftlicher Methoden dienen sollte. Sie nannten die Neusiedlung Sde Tov — Feld der Gute. Ihre Lage war au?erordentlich gefahrlich, denn sie waren rings von arabischen Siedlungen umgeben und auf Gnade oder Ungnade den Beduinen ausgeliefert, die nicht davor zuruckscheuten, einen Mord zu begehen, wenn es etwas