Yossi knapp bis an die Brust.

Das also, dachte sie geruhrt, war fur Yossi die einzige Moglichkeit, seinem geheimsten Herzenswunsch Ausdruck zu verleihen.

»Yossi Rabinski«, flusterte sie, »wurden Sie mich bitte, bitte heiraten?«

Yossi rausperte sich und stammelte verlegen: »Ja — hm — komisch, da? Sie davon reden. Ich wollte Sie gerade auch so etwas Ahnliches fragen.«

Noch nie hatte es in Palastina eine Hochzeit gegeben wie die von Yossi und Sara. Sie dauerte fast eine Woche, und die Gaste kamen aus ganz Galilaa und sogar aus Jaffa, obwohl es bis nach Safed eine Reise von zwei Tagen war. Es kamen die Manner vom Haschomer, und Jakob kam und die Siedler von Rosch Pina, es kamen turkische Gaste, und Kammal erschien, und sogar Suleiman. Als die letzten Gaste gegangen waren, ging Yossi mit seiner jungen Frau nach Jaffa, wo es fur ihn viel Arbeit bei der Zionistischen Siedlungsgesellschaft gab. Sein Ruf lie? ihn als den geeigneten Mann erscheinen, die frisch zugewanderten Ansiedler unter seine Fittiche zu nehmen und ihnen bei den mannigfaltigen Schwierigkeiten behilflich zu sein. Er machte einen Vertrag und ubernahm einen leitenden Posten bei der Zionistischen Siedlungsgesellschaft.

Im Jahr 1909 wurde Yossi in einer sehr wichtigen Angelegenheit um Rat gefragt. Viele Angehorige der immer gro?er werdenden judischen Gemeinde von Jaffa wunschten bessere Wohnungen, bessere sanitare und kulturelle Verhaltnisse, die die alte arabische Stadt nicht zu bieten hatte. Yossi half, einen Streifen Land nordlich von Jaffa zu erwerben, der gro?tenteils aus Sand und Orangenhainen bestand.

Auf diesem Boden wurde zum erstenmal seit zweitausend Jahren die erste rein judische Stadt erbaut. Man nannte sie: Hugel des Fruhlings — Tel Aviv.

IX.

Die bestehenden landwirtschaftlichen Siedlungen hatten schwere Zeiten durchzustehen. Dafur gab es vielerlei Grunde. Zunachst einmal waren die Siedler gleichgultig und lethargisch und besa?en keinerlei Idealismus. Sie bauten nach wie vor Feldfruchte ausschlie?lich fur den Export an und verwendeten weiterhin die billigeren arabischen Arbeitskrafte. Obwohl jetzt viele Juden nach Palastina kamen, die gern auf dem Land arbeiten wollten, konnten die Gutsbesitzer nur mit Muhe dazu uberredet werden, diese Juden als Arbeitskrafte zu verwenden.

Die Gesamtsituation war entmutigend. Es sah in Palastina noch nicht wesentlich besser aus als vor zwanzig Jahren, als die Bruder Rabinski hierher gekommen waren. Der Schwung und der Idealismus, den die jungen Leute der zweiten Aliyah-Welle ins Land gebracht hatten, waren versandet. Ahnlich wie Jakob und Yossi wanderten auch die neuen Einwanderer von Ort zu Ort und von Stellung zu Stellung, ohne festes Ziel und ohne sich niederzulassen. Je mehr Land die Zionistische Siedlungsgesellschaft erwarb, desto deutlicher wurde es, da? man das ganze Siedlungsproblem vollig anders anpacken mu?te. Yossi und viele seiner Freunde waren schon lange zu der Ansicht gelangt, da? die Landbestellung fur den einzelnen schier unmoglich war. Die Unsicherheit der Verhaltnisse, die Unerfahrenheit der Juden in landwirtschaftlichen Fragen und die vollige Verkommenheit des Bodens waren die Hauptgrunde.

Was sich Yossi fur das neuerworbene Land wunschte, waren Siedlungen, deren Bewohner den Boden selbst bearbeiteten, die eine Gemischtwirtschaft fuhrten, um sich selbst zu ernahren, und die zusammenhielten, wenn es galt, sich zu verteidigen. Um das zu verwirklichen, mu?te zunachst einmal das ganze angekaufte Land als judischer Grund und Boden, der allen Juden gehorte, nominell in der Hand der Zionistischen Siedlungsgesellschaft verbleiben. Und die Siedler mu?ten den Boden selbst bearbeiten und durften keine anderen Arbeitskrafte dingen, weder judische noch arabische. Der nachste dramatische Schritt wurde getan, als sich Juden der zweiten Aliyah-WeIle dazu verpflichteten, ausschlie?lich fur die Erschlie?ung des Landes zu arbeiten. Sie gelobten, das Land zu einer Heimstatte zu machen, ohne an privaten Gewinn oder personlichen Vorteil zu denken. Durch diese Verpflichtungen kamen sie der spateren Idee des landwirtschaftlichen Kollektivs schon sehr nahe. Die genossenschaftliche Form der Landbestellung entsprang nicht so sehr einem sozialen oder politischen Idealismus als vielmehr der Notwendigkeit des Existenzkampfes; es gab keine andere Losung. Damit waren die Voraussetzungen fur ein dramatisches Experiment gegeben, das im Jahr 1909 gestartet wurde. Die Zionistische Siedlungsgesellschaft erwarb unterhalb von Tiberias, an der Stelle, wo der Jordan in den See Genezareth mundet, viertausend Dunam Land, das zum gro?ten Teil aus Moor oder Sumpf bestand. Die Gesellschaft rustete zwanzig junge Manner und Frauen mit Geld und Lebensmitteln fur ein Jahr aus. Sie sollten das Land urbar machen. Yossi begleitete sie, als sie sich aufmachten und am Rande des Sumpfes ihre Zelte aufschlugen. Sie gaben ihrer Neusiedlung den Namen nach den wilden Rosen, die am Rande des Tiberias-Sees wuchsen:    Schoschana. Man errichtete drei Schuppen aus ungehobelten Brettern. Der eine diente als gemeinsamer Speiseraum und Versammlungssaal, der zweite als Scheune und Gerateschuppen, der dritte als Unterkunft fur die sechzehn Manner und die vier Frauen.

Im ersten Winter wurden die Schuppen ein dutzendmal durch Wind und Wasser umgerissen. Stra?en und Wege waren so morastig, da? die Neusiedler fur lange Zeit von der ubrigen Welt vollig abgeschnitten waren. Schlie?lich waren sie gezwungen, in ein nahegelegenes Araberdorf auszuweichen und dort den Fruhling abzuwarten.

Yossi kehrte im Fruhling nach Schoschana zuruck, als es dort ernstlich an die Arbeit ging. Die Sumpfe und Moore mu?ten Meter fur Meter zuruckgedrangt werden. Man pflanzte Hunderte von australischen Eukalyptusbaumen an, die das Wasser aufsaugen sollten. Entwasserungsgraben wurden gezogen. Alles mu?te mit der Hand gemacht werden, eine morderische Arbeit. Die Gruppe arbeitete vom Morgen bis zum Abend, und ein Drittel lag bestandig mit Malaria darnieder. Das einzige bekannte Mittel dagegen war die arabische Heilmethode, die Ohrlappchen anzustechen und Blut abzuzapfen. Sie arbeiteten in der hollischen Hitze des Sommers, und der Schlamm ging ihnen bis an die Huften.

Im zweiten Jahr war schon ein gewisser Erfolg dieser Schufterei zu sehen: ein Teil des Landes war urbar. Jetzt mu?ten die Steine mit Eselsgespannen von den Feldern geschleppt und das dichte Unterholz abgehackt und verbrannt werden.

In Tel Aviv setzte Yossi seinen Kampf um weitere Unterstutzung des Experimentes fort. Er hatte etwas sehr Erstaunliches entdeckt. Die Sehnsucht, sich eine Heimat zu schaffen, war so stark, da? diese zwanzig Leute bereit waren, die schwerste Arbeit ohne Bezahlung auf sich zu nehmen.

In Schoschana nahmen die Strapazen und Schwierigkeiten kein Ende. Doch nach dem zweiten Jahr war schon so viel Land urbar gemacht, da? man an den Anbau denken konnte. Das war ein kritisches Unternehmen, denn die meisten Angehorigen der Gruppe hatten keine Ahnung von Landwirtschaft, ja sie wu?ten kaum, was der Unterschied zwischen einer Henne und einem Hahn war. Sie versuchten den Anbau auf gut Gluck, und das Ergebnis war in den meisten Fallen ein Mi?erfolg. Sie wu?ten nicht, wie man mit dem Pflug eine gerade Furche zieht, wie man sat oder eine Kuh melkt, oder wie man Baume pflanzt. Der Boden war fur sie ein ungeheures Ratsel.

Doch sie gingen dem Problem der Bodenbestellung mit der gleichen zahen Entschlossenheit zu Leibe wie dem Sumpf. Nachdem der Sumpf entwassert war, mu?te der Boden kunstlich bewassert werden. Zunachst wurde das Wasser in Kanistern auf Eselsrucken vom Flu? herangebracht. Man experimentierte mit einem arabischen Wasserrad und versuchte es mit Brunnen. Aber schlie?lich legten sie Bewasserungsgraben an und bauten Damme, um das Wasser der winterlichen Regenfalle aufzufangen.

Nach und nach gab das Land seine Geheimnisse preis. Oftmals, wenn Yossi nach Schoschana kam, verschlug ihm die unvergleichliche Moral dieser Neusiedler den Atem. Sie besa?en nur das, was sie auf dem Leib trugen, und selbst das war genossenschaftliches Eigentum. In dem gemeinsamen Speiseraum verzehrten sie die denkbar karglichsten Mahlzeiten, hatten gemeinsame Waschraume und schliefen alle unter ein und demselben Dach.

Die Araber und Beduinen sahen mit Erstaunen, wie die Siedlung Schoschana langsam, aber stetig wuchs. Als die Beduinen feststellten, da? mehrere hundert Morgen Land kultiviert waren, beschlossen sie, die Juden zu vertreiben. Alle Feldarbeit mu?te von nun an unter dem Schutz bewaffneter Wachtposten verrichtet werden. Zu der Malaria und dem Uberflu? an Arbeit kam nun auch das Problem der Sicherheit. Nach einem unerhort harten Arbeitstag auf den Feldern mu?ten die ermudeten Siedler die Nacht uber Wache stehen. Doch sie gaben Schoschana nicht auf und lie?en sich durch ihre Isoliertheit und Unwissenheit, durch Drohungen der Beduinen, durch den Sumpf, die morderische Hitze, die Malaria und ein Dutzend anderer Kalamitaten nicht beirren.

Jakob Rabinski kam nach Schoschana, um dort sein Gluck zu versuchen; desgleichen Joseph Trumpeldor, der als Offizier im russischen Heer gedient und wegen seiner Tapferkeit im russischjapanischen Krieg, in dem er einen Arm verloren hatte, beruhmt war. Der Appell des Zionismus hatte ihn nach Palastina gebracht. Nachdem Trumpeldor und Jakob fur die Sicherheit zu sorgen begonnen hatten, horten die Uberfalle der Beduinen sehr bald auf. Doch das gemeinschaftliche Leben schuf noch andere Probleme: Fragen, die die Allgemeinheit betrafen; zwar regelte man sie durchaus demokratisch, doch die Juden neigten von Haus aus zur Unabhangigkeit, und nur selten

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