Juden.«
Sie drohte ihrem Mann, der gro? wie ein Riese war, mit dem Finger. »Verschone mich mit zionistischer Propaganda, Yossi. Fur mich wirst du Yossi Rabinski sein und bleiben, solange ich lebe.«
»Ich habe meinen Entschlu? gefa?t, Sara. Ich gebe dir den guten Rat, dein Hebraisch aufzufrischen. Denn das ist die Sprache, die wir von jetzt an sprechen werden.«
»Das ist ja vollkommener Blodsinn, dieser Entschlu?!«
Yossi hatte lange gebraucht, ehe er Ben Jehuda und den anderen zustimmte. Aber sie hatten recht: die hebraische Sprache mu?te wieder zum Leben erweckt werden. Wenn das Verlangen nach nationaler Einheit stark genug war, dann mu?te es auch moglich sein, einer toten Sprache neues Leben zu verleihen.
Doch Sara hatte ihren eigenen Kopf. Sie sprach Jiddisch, denn Jiddisch hatte bereits ihre Mutter gesprochen. Sie hatte nicht die Absicht, in ihrem Alter noch einmal die Schulbank zu drucken. Eine Woche lang schlo? sich Sara abends im Schlafzimmer ein. Doch Yossi war nicht gewillt, nachzugeben. Drei Wochen lang sprach er mit Sara nur Hebraisch, und sie antwortete Jiddisch.
»Yossi«, rief sie eines Abends, »Yossi, komm doch mal her und hilf mir.«
»Verzeihung«, sagte Yossi. »Hier in diesem Hause gibt es niemanden mit Namen Yossi. Solltest du etwa mich meinen«, fuhr er fort, »mein Name ist Barak — Barak ben Kanaan.«
»Barak ben Kanaan!«
»Ja«, sagte er. »Ich habe lange nachgedacht, um den richtigen Namen zu finden. Die Araber pflegten meinen Ochsenziemer den ,Blitz' zu nennen, und auf hebraisch hei?t Blitz ,Barak'. Au?erdem hie? Deborahs General so. Und Kanaan nenne ich mich, weil ich den Berg Kanaan nun einmal liebe.«
Sara schlug die Tur mit einem Knall zu und drehte den Schlussel um.
Yossi rief von drau?en: »Ich war glucklich, damals auf dem Berge Kanaan! Denn damals hatte ich noch kein halsstarriges Weib! Gewohne dich daran, Sara ben Kanaan — Sara ben Kanaan!«
Yossi, nunmehr Barak, hatte von neuem keinen Zutritt zum Schlafzimmer. Eine geschlagene Woche lang sprachen die beiden kein Wort miteinander.
Einen Monat, nachdem der Streit zwischen ihnen ausgebrochen war, kam Barak eines Abends von einer sehr anstrengenden dreitagigen Sitzung in Jerusalem nach Hause zuruck. Es war schon spat in der Nacht, er war erschopft und mude. Er suchte Sara, um ihr bei einer Tasse Tee alles berichten zu konnen.
Doch die Tur zu ihrem Zimmer war verschlossen. Er seufzte, zog sich die Schuhe aus und legte sich auf das Sofa. Er war so gro?, da? seine Beine uber die Armlehne hingen. Er war mude und hatte gern in seinem Bett geschlafen. Es tat ihm leid, da? er die ganze Sache angefangen hatte. Kurz bevor ihn der Schlaf ubermannte, entdeckte er plotzlich einen Lichtstrahl, der unter der Tur zum Schlafzimmer herausfiel. Sara kam leise heran, kniete sich neben ihm hin und legte ihren Kopf an seine Brust.
»Ich liebe dich, Barak ben Kanaan«, flusterte sie in einwandfreiem Hebraisch.
Es gab viel Arbeit fur Barak ben Kanaan in der funkelnagelneuen Stadt Tel Aviv. Er war ein einflu?reicher Mann in der Zionistischen Siedlungsgesellschaft. Dauernd mu?te er zu Versammlungen oder zu Verhandlungen mit den Turken und den Arabern, die viel Fingerspitzengefuhl verlangten. Er verfa?te schriftliche Abhandlungen uber wichtige politische Fragen, und haufig fuhr er mit Sara zum Zentralburo der Zionisten nach London oder in die Schweiz zu den internationalen Zionistenkongressen.
Doch das Gluck, das sein Bruder Akiba in Schoschana gefunden hatte, gab es fur Barak nicht. Mit seinem Herzen war er bestandig in dem Land nordlich vom Berge Kanaan, im Hule-Tal. Sara liebte ihn sehr und verstand ihn gut. Sie wunschte sich Kinder, um seine Sehnsucht nach dem Boden vor dem Berg Kanaan zu lindern. Doch ihr Wunsch blieb unerfullt. Funfmal hintereinander hatte sie eine Fehlgeburt. Es war bitter fur beide, denn Barak war bereits Mitte Vierzig.
Im Jahre 1908 kam es zu einem Aufstand der Jungturken, die den korrupten alten Tyrannen und Despoten, Abdul Hamid II., absetzten. Alle Zionisten waren voller Hoffnung, als Mohammed V., Sultan der Ottomanen und geistlicher Oberherr der mohammedanischen Welt, sein Nachfolger wurde. Doch es zeigte sich bald, da? der Aufstand den Abschlu? eines Staatsvertrages fur Palastina nicht gunstig beeinflu?t hatte. Mohammed V. hatte das Erbe eines verfallenden Reiches angetreten und hie? uberall nur der »kranke Mann am Bosporus«.
Die Englander hatten von Anfang an die gro?te Sympathie fur die Zionisten bekundet. Barak war uberzeugt, da? es moglich sein mu?te, die judischen und die britischen Interessen miteinander in Ubereinstimmung zu bringen, wahrend es keine Grundlage fur ein Zusammengehen mit den Turken gab. Die Englander hatten den Juden Sinai und Uganda als Siedlungsgebiete angeboten. Es gab viele hohe britische Beamte, die sich offen fur die Unterstutzung einer judischen Heimstatte aussprachen. England war das Hauptquartier der Zionisten, und in England sa? auch Dr. Chaim Weizmann, ein in Ru?land geborener Jude, der die zionistische Bewegung vertrat. Als der Einflu? der Englander im Nahen Osten immer mehr zunahm und der Niedergang des Reiches der Ottomanen offensichtlich zu werden begann, konnten sich Barak und die Juden in Palastina mit den Zionisten in aller Welt auch offentlich zu England bekennen.
Mohammed V. hatte auf dem Balkan eine Reihe kostspieliger Kriege verloren. Seine Stellung als »Schatten Gottes«, als geistliches Oberhaupt des Islams, war ins Wanken geraten. Die funfhundertjahrige Herrschaft der Ottomanen drohte zusammenzubrechen, weil das Reich vor einem wirtschaftlichen Ruin stand.
Es kam das Jahr 1914. Der erste Weltkrieg brach aus!
Mohammed V. tat weder den Russen — die sich schon seit Jahrhunderten die Finger nach den eisfreien Hafen des Mittelmeeres geleckt hatten — noch den Englandern den Gefallen, in die Knie zu gehen. Im Gegenteil, die Turken kampften mit einem Mut und einer Entschlossenheit, die man ihnen gar nicht zugetraut hatte. Sie hielten die russische Armee auf, die den Kaukasus zu uberqueren versuchte. Im Nahen Osten stie?en sie von Palastina aus vor, durchquerten die Wuste Sinai und standen dicht vor der empfindlichsten Schlagader des Britischen Empire, dem Suez-Kanal. In dieser Situation verlegten sich die Englander darauf, den Arabern alle moglichen Versprechungen zu machen, um sie dazu zu bewegen, sich gegen die Ottomanen zu erheben. Eine dieser englischen Versprechungen war die, den Arabern als Gegenleistung fur ihre Hilfe ihre Unabhangigkeit zu garantieren. Englische Agenten waren fieberhaft am Werk, um eine arabische Revolte auf die Beine zu bringen. Sie wandten sich an den einflu?reichsten arabischen Prinzen, Ibn Saud; doch Ibn Saud beschlo?, zunachst einmal abzuwarten, bis genau zu ubersehen war, woher der Wind wehte.
Die Englander sahen ein, da? arabische Verbundete gekauft werden mu?ten. Sie streckten ihre Fuhler nach dem Gouverneur von Mekka aus, der offiziell »Statthalter von Mekka und Medina« war. Der Scherif von Mekka war innerhalb der arabischen Welt ein an sich unbedeutender Mann. Au?erdem war er der Erzfeind von Ibn Saud. Als sich die Englander an ihn wandten, sah er fur sich eine Moglichkeit, die Macht uber die gesamte arabische Welt an sich zu rei?en, falls Mohammed V. und die Ottomanen unterliegen sollten. So schlug sich der Scherif von Mekka, um den Preis von mehreren hunderttausend Pfund Sterling, auf die Seite der Briten. Der Scherif hatte einen Sohn mit Namen Faisal, der eine seltsame Ausnahme unter den arabischen Fuhrern darstellte, weil er so etwas wie ein soziales Gewissen hatte. Er erklarte sich bereit, seinem Vater zu helfen, die arabischen Stamme gegen die Ottomanen aufzubringen. Bei den Juden von Palastina — fur die inzwischen die Bezeichnung Jischuw ublich geworden war — waren weder Bestechungen noch Versprechungen notig. Sie standen geschlossen auf seiten der Englander. Als erklarte Freunde aller Feinde der Ottomanen befanden sie sich daher, als der Krieg ausbrach, in einer sehr gefahrlichen Situation. Kemal Pascha, der spatere Ataturk, bemachtigte sich durch ein rasches Manover der Provinz Palastina und begann uber die dort lebenden Juden seine Herrschaft des Schreckens.
Barak ben Kanaan mu?te innerhalb von sechs Stunden Palastina verlassen. Sowohl er wie auch sein Bruder Akiba standen auf der Liquidierungsliste der turkischen Polizei. Die Zionistische Siedlungsgesellschaft mu?te ihre Buros schlie?en, und jedwede offizielle judische Tatigkeit hatte ein Ende.
»Wie bald mussen wir fort, Liebster?« fragte Sara.
»Noch vor Tagesanbruch. Pack bitte nur einen kleinen Handkoffer. Alles andere mussen wir dalassen.«
Sara taumelte, lehnte sich gegen die Wand und strich mit der Hand uber ihren Leib. Sie war im sechsten Monat.
»Ich kann nicht fortgehen«, sagte sie. »Ich kann nicht.«
Barak wandte sich um und sah sie an. »Sei vernunftig, Sara«, sagte er. »Die Zeit drangt.«
Sie lief zu ihm hin und warf sich in seine Arme. »Barak«, sagte sie, »ach, Barak — dann verliere ich auch noch dieses Kind — das kann ich nicht — ich kann nicht, kann nicht.«
Barak seufzte tief. »Du mu?t mit mir kommen. Wer wei?, was geschieht, wenn dich die Turken erwischen.«