waren zwei Juden einer Meinung. Wurde das Verwalten also auf endloses Reden, Diskutieren und Streiten hinauslaufen?

Es entstanden Fragen der Arbeitseinteilung, der Verantwortlichkeit bei Krankheit, der Fursorge und der Erziehung. Und was sollte mit denjenigen geschehen, die nicht bereit oder nicht in der Lage waren, den ganzen Tag zu arbeiten? Und mit denen, die mit der Arbeit unzufrieden waren, die man ihnen ubertragen hatte? Oder mit denen, denen das Essen nicht schmeckte, oder die nicht damit einverstanden waren, in so engen Unterkunften zusammenzuleben? Und wie sollte man personliche Reibereien schlichten?

Aber eins schien starker zu sein als alle diese Probleme: Jeder einzelne in Schoschana lehnte mit Leidenschaft die Umstande und Zustande ab, die aus ihm einen Ghetto-Juden gemacht hatten. Alle waren entschlossen, nie mehr in ein Ghetto zuruckzukehren. Sie wollten sich durch ihrer Hande Arbeit eine Heimat schaffen.

Die Gemeinschaft von Schoschana hatte ihren eigenen Ehrenkodex und ihre eigene Gesellschaftsordnung. Ehen wurden durch Gemeinschaftsbeschlu? geschlossen und geschieden. Man regelte das Leben innerhalb der Siedlung in einer Form, die sich uber die traditionellen Bindungen hinwegsetzte. Man warf die Fesseln der Vergangenheit ab.

Nach der langen Zeit der Unterdruckung erlebten die Juden von Schoschana, was sie so lange ersehnt hatten: die Entstehung einer wahrhaft freien judischen Landbevolkerung. Zum erstenmal kleideten sich Juden wie Bauern, tanzten sie Horra beim Schein eines Holzfeuers, und den Boden zu bearbeiten und ein Heimatland zu schaffen, erschien ihnen als wurdiger Lebenszweck.

Im Laufe der Zeit wurden Rasenflachen mit Blumen, Buschen und Baumen angelegt und neue ansehnliche Gebaude errichtet. Fur verheiratete Paare baute man kleine Hauschen. Eine Bibliothek wurde eingerichtet, und ein Arzt engagiert.

Dann kam der Aufstand der Frauen. Eine der vier Frauen, die von Anfang an dabeigewesen waren, ein untersetztes, wenig attraktives Madchen namens Ruth, war die treibende Kraft der Rebellion. Auf den Versammlungen der Siedlungsgemeinschaft vertrat sie die Ansicht, da? die Frauen aus Ru?land und Polen nicht aufgebrochen seien, um in Schoschana Domestiken zu werden. Sie forderten gleiches Recht und gleiche Verantwortlichkeit. Sie setzten die alten Tabus au?er Kurs und nahmen gemeinsam mit den Mannern an allen Arbeiten teil, sogar beim Pflugen der Felder. Sie ubernahmen den Huhnerhof und den Gemuseanbau, und sie erwiesen sich den Mannern an Fahigkeit und Ausdauer ebenburtig. Sie lernten, mit Waffen umzugehen und standen nachts Wache.

Ruth, die Anfuhrerin des Aufstandes der Frauen, hatte es besonders auf die funfkopfige Kuhherde von Schoschana abgesehen. Sie war darauf versessen, die Kuhe zu ubernehmen. Doch ihr Ehrgeiz scheiterte am Widerstand der Manner. Die Madchen gingen wirklich zu weit! Jakob, der wortgewaltigste Vertreter der Mannlichkeit, wurde zum Kampf gegen Ruth vorgeschickt. Sie sollte schlie?lich begreifen, da? es fur Frauen zu gefahrlich war, mit Kuhen umzugehen. Au?erdem stellten diese funf Kuhe den wertvollsten und am sorgsamsten gehuteten Schatz von Schoschana dar. Alle waren sehr erstaunt, als Ruth sich ohne Widerrede fugte. Das sah ihr so gar nicht ahnlich! Einen Monat lang erwahnte sie die Sache mit keinem weiteren Wort. Statt dessen stahl sie sich bei jeder Gelegenheit davon und ging in das nahegelegene Araberdorf, um dort die schwierige Kunst des Melkens zu erlernen. In ihrer freien Zeit las sie alle Broschuren uber Milchwirtschaft, die sie erwischen konnte.

Eines Morgens kam Jakob, der die Nacht uber Wachdienst gehabt hatte, in die Scheune. Ruth hatte ihr Wort gebrochen! Sie molk Jezebel, die beste Kuh. Eine Sondersitzung wurde einberufen, um Ruth wegen Ungehorsams zu tadeln. Ruth brachte Fakten und Zahlen vor, um zu beweisen, da? sie in der Lage sei, den Milchertrag richtige Futterung und gesunden Menschenverstand zu steigern, und sie beschuldigte die Manner der Ignoranz und der Intoleranz. Die Versammlung glaubte, Ruth zur Rason zu bringen, wenn man ihr vorubergehend die Verantwortung fur die Herde ubertrug. Die Sache endete damit, da? Ruth die Kuhe behielt. Sie vergro?erte die Herde um das Funfundzwanzigfache und wurde zu einer der besten Meiereifachleute von ganz Palastina.

Jakob und Ruth heirateten, und die Gemeinschaft war voll und ganz damit einverstanden. Es hie?, sie sei der einzige Mensch auf der Welt, der imstande war, in einem Streit mit ihm recht zu behalten. Sie liebten sich sehr und waren au?erordentlich glucklich miteinander.

Ganz besonders kritisch wurde die Situation, als die ersten Kinder geboren wurden. Die Frauen hatten um ihre Gleichberechtigung gekampft und sie erhalten. Sie waren fur die Okonomie des Ganzen wichtig geworden. Viele von ihnen hatten Schlusselstellungen inne. Die Sache wurde besprochen und durchdiskutiert. Sollten die Frauen ihre Posten etwa aufgeben und Hausangestellte werden? Oder gab es irgendeine andere Moglichkeit, das familiare Leben zu regeln? Die Angehorigen der Gemeinschaft Schoschana waren der Meinung, es musse auch moglich sein, eine neuartige Losung des Kinderproblems zu finden, da ja ihre gesamte Lebensform vollig neuartig war.

So kam es zur Entstehung von Kinderheimen, in denen ausgewahlte Mitglieder der Gemeinschaft die Kinder tagsuber beaufsichtigten und versorgten. Dadurch waren die Mutter fur ihre Arbeit frei. An den Abenden waren die Familien beisammen. Viele Au?enseiter hielten dadurch den familiaren Zusammenhalt fur gefahrdet, der die Juden in den langen Jahrhunderten der Verfolgung am Leben erhalten hatte. Ungeachtet dieser Kritiker war der familiare Zusammenhalt in Schoschana genauso stark wie anderswo.

Jakob Rabinski hatte endlich gefunden, was ihm gefehlt und was er gesucht hatte. Schoschana wuchs und wuchs, bis das Dorf hundert Mitglieder zahlte und mehr als tausend Dunam Landes urbar gemacht worden waren. Jakob besa? kein Geld, nicht einmal Kleidung. Er hatte eine Frau mit einer scharfen Zunge, die eine der besten Landwirte in Galilaa war. Am Abend, wenn des Tages Arbeit getan war, ging er mit Ruth uber die Rasenflachen und durch die Blumengarten, oder er stieg auf den kleinen Hugel und sah von dort uber die grunenden Felder — und er war zufrieden und ausgefullt.

Schoschana, der erste Kibbuz in Palastina, schien die Losung des Problems fur den Zionismus zu sein, nach der man so lange gesucht hatte.

X.

Eines Abends kam Yossi von einer Sondersitzung des Waad-Halaschon — des Arbeitsausschusses fur Fragen der hebraischen Sprache — nach Haus. Er war tief in Gedanken. Auf Grund seiner Stellung innerhalb der Gemeinde hatte man sich besonders an ihn gewandt.

Sara hatte stets einen Tee fur Yossi bereit, ganz gleich, zu welcher Tages- oder Nachtzeit er von einer seiner Versammlungen nach Haus kam. Sie sa?en beide auf dem Balkon ihrer Drei-ZimmerWohnung in der Hayarkon- Stra?e in Tel Aviv. Yossi konnte von hier aus die Kuste ubersehen, die im weiten Bogen verlief.

»Sara«, sagte er schlie?lich, »ich habe einen Entschlu? gefa?t. Ich war heute abend im Waad-Halaschon, und man hat mich gebeten, einen hebraischen Namen anzunehmen und nur noch Hebraisch zu sprechen. Ben Jehuda hielt heute abend eine Rede. Was er fur die Modernisierung der hebraischen Sprache getan hat, ist wirklich enorm.«

»Was fur ein Unsinn«, sagte Sara. »Du hast mir doch selbst gesagt, da? es noch nie gelungen ist, eine Sprache zu neuem Leben zu erwecken.«

»Ja, aber ich habe mir auch uberlegt, da? bisher noch niemals irgendein Volk versucht hat, eine Nation zu neuem Leben zu erwecken, wie wir das jetzt tun. Wenn ich mir ansehe, was in Schoschana und anderen Kibbuzim erreicht worden ist —.«

»Weil du gerade von Schoschana sprichst — du mochtest ja nur deshalb einen hebraischen Namen annehmen, weil dein Bruder, der fruher Jakob Rabinski hie?, das auch getan hat.«

»Unsinn.«

»Wie hei?t er jetzt eigentlich, der ehemalige Jakob Rabinski?«

»Er hei?t Akiba. Das ist der Name eines Mannes, fur den er sich als Knabe begeisterte.«

»Ach, und vielleicht mochtest du dich jetzt auch nach jemanden nennen, fur den du als Junge geschwarmt hast — vielleicht nach Jesus Christus?«

»Du bist unmoglich, Sara!« fauchte Yossi, stand auf und ging wutend hinein.

»Wenn du gelegentlich noch in die Synagoge gingest«, sagte Sara, die ihm nachgegangen war, »dann wu?test du, da? Hebraisch die Sprache ist, in der man mit Gott redet.«

»Sara — ich frage mich manchmal wirklich, weshalb du dir die Muhe gemacht hast, von Schlesien hierherzukommen. Wenn wir als Nation denken und handeln sollen, dann mussen wir auch wie eine Nation sprechen.«

»Das tun wir ja auch. Unsere Sprache ist Jiddisch.«

»Jiddisch ist die Sprache des Exils, die Sprache des Ghettos, Hebraisch aber ist die Sprache aller

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